Polens Regierung bekam Anfang Mai im Sejm die erforderliche Zustimmung für das gewaltige Vorhaben, die 58 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds der Europäischen Union nun in verschiedene Landesprojekte unterzubekommen. Die Zustimmung bekam sie allerdings ohne die Regierungsmehrheit, in die Lücke sprangen andere – die Linksfraktion. Die Aufregung ist entsprechend groß, die Diskussion wogt hin und her. Bereits vorher hatte Justizminister Zbigniew Ziobro im Namen seiner kleinen und sich besonders nationalistisch-patriotisch gebenden Partei angekündigt, dem Regierungsvorhaben die Zustimmung zu verweigern, so dass die nationalkonservative Regierung von vornherein auf andere Stimmen angewiesen war.
Ziobro, der ganze 20 Stimmen ins Feld führen kann, hält die an den Wiederaufbaufonds gekoppelte Klausel zur Rechtsstaatlichkeit für einen nicht hinzunehmenden Eingriff in die Souveränitätsrechte Polens, womit er übrigens ganz auf der ursprünglichen Linie steht, mit der die Nationalkonservativen 2015 an die Machttöpfe gelangten. Eine neue Verfassung müsse her, weil die alte – aus dem Jahre 1997 – die Menschen im Lande vor den Zumutungen durch die Mitgliedschaft in der EU gar nicht schützen könne, denn damals habe noch niemand recht gewusst, was das im Einzelnen bedeute. Während die Nationalkonservativen anfangs tatsächlich Sturm liefen gegen die geltende Verfassung, die Opposition schließlich im Sommer 2017 die Menschen massenhaft auf die Straße brachte, um die Verfassung zu verteidigen, spielen sich Jarosław Kaczyński und Gefolge nun seit geraumer Zeit so auf, als wären sie – und nicht die demokratischen Gegner – die Gralshüter für den Verfassungsgeist von 1997. Das mit rechtswidrigen Mitteln unter die eigene Kontrolle gebrachte Verfassungstribunal ist tatsächlich in der Lage, im Zweifelsfalle alles so hinzubiegen, wie es aus Regierungssicht gerade gebraucht wird. Der schwere Eingriff in Frauenrechte vom Oktober 2020 ist dafür nur ein prominentes Beispiel.
So mehren sich auch im Oppositionslager die Stimmen, die nun ihrerseits immer öfter darauf verwiesen, dass die an sich liberale Verfassung von 1997 erkennbare Schwächen zeige, denn sie könne zu leicht missbraucht werden, wenn nämlich das Kaczyński-Lager aktuelle Mehrheitsverhältnisse ungeniert ausnutze, um in Verfassungsorganen vollendete Tatsachen zu schaffen. Nicht der Eingriff Brüssels in ungeschützte Souveränitätsrechte ist hier das Problem, sondern umgekehrt der Bruch von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung im eigenen Land. Aus dieser polarisierten Lage ergibt sich aber, dass das Kaczyński-Lager bei wichtigen Abstimmungen gar nicht auf die Stimmen der demokratischen Opposition hoffen kann, sondern immer um jeden Preis die eigene Geschlossenheit suchen muss.
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte den Plan zum Wiederaufbau ausdrücklich mit dem Marshallplan aus der Nachkriegszeit verglichen, also deutlich gezeigt, welche große Bedeutung seine Regierung diesem Plan zumisst. Wenn dann Teile des Regierungslagers dem Vorhaben die Zustimmung verweigern, kann von einer handfesten Regierungskrise gesprochen werden. Nicht so in Kaczyński-Polen, denn der sprach schnell von einer außergewöhnlichen Situation, in der andere Dinge vorrückten als Regierungsmehrheit und normaler Parlamentsbetrieb. In gewisser Weise folgte die Linksfraktion dieser Logik, trat in kurze Verhandlungen mit dem Ministerpräsidenten ein, bei denen tatsächlich einige Bedingungen für die Umsetzung des Planes ausgehandelt und festgeschrieben wurden, doch blieb man dabei sogar unter der Zielmarke, die sich die demokratische Opposition im Vorfeld öffentlich gesetzt hatte. Nicht wenige sprechen jetzt also von einem billigen Verrat, zumindest wird kritisch angemerkt, dass es eigentlich gar nicht nötig gewesen sei, Kaczyński in dieser Weise entgegenzukommen.
Für die Linksfraktion erklärte Krzysztof Gawkowski nun, dass die Linke in Polen in schwierigen Momenten an der Seite der Bürgerinnen und Bürger stehe, auf der Seite der Interessen des Gemeinwesens. Die Euro-Milliarden, die in den kommenden Jahren nach Polen kämen, nützten den Menschen hier, so dass die überraschende Zustimmung dazu nichts weiter als Verantwortung und Staatsräson sei. Zugleich versicherte er, dass die Linksfraktion, solange die Nationalkonservativen regierten, verlässliche Oppositionskraft bleibe.
Die führende liberale Wochenzeitung Polityka spricht ganz offen von einem überflüssigen Techtelmechtel der Linken mit der Regierung, bei dem allein Morawiecki als Sieger zurückbleibe. Allerdings wird zugegeben, dass es solche überraschenden Avancen der Opposition ans Regierungslager auch bisher in bestimmten Einzelfällen bei anderen gegeben habe, dass außerdem Polen insgesamt vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit blamiert gewesen wäre, wenn der Aufbauplan durchgefallen wäre. Allerdings habe der einseitige und nicht abgesprochene Schritt der Linken den stärksten Trumpf der Opposition leichtfertig aus der Hand gegeben – nämlich die vielgerühmten Selbstverwaltungsstrukturen in den großen, liberalen Städten des Landes. An dieser Nuss hätte sich das Kaczyński-Lager die Zähne ausgebissen, da sei mit einer geschlossenen Oppositionshaltung im Parlament wesentlich mehr herauszuholen gewesen. Donald Tusk, einstiger polnischer Ministerpräsident sowie EU-Ratspräsident, meinte außerdem, dass mehrere Abstimmungsgänge möglich gewesen wären, so dass am Ende bei einer geschlossenen Oppositionshaltung der Regierung sehr viel mehr Verbindlichkeiten abgetrotzt worden wären. Die Opposition, so konstatierte Polityka jetzt nüchtern, habe sich selbst an der Nase herumgeführt.
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