Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Vermögensteuer. Alle Vermögenden haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, die Arbeitgeberverbände und der BDI, der Verband der Familienunternehmen, das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft, Angela Merkel und Christian Lindner, neoliberale Radikale und neoliberale Gemäßigte und natürlich die deutsche Mainstreampresse. Und wie weiland im Vormärz jede Oppositionspartei von den regierenden Konservativen als kommunistisch verschrien worden war – nachzulesen im „Kommunistischen Manifest“ – so wird die Erhebung einer Vermögensteuer und einer Vermögensabgabe wenn nicht als Wiederkehr des kommunistischen Gespensts, dann als der Beginn des wirtschaftlichen Niedergangs verteufelt.
Ironie beiseite. Was muss eigentlich noch passieren, damit die Bundesregierung endlich dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1995 nachkommt und eine grundgesetzkonforme Vermögensbesteuerung auf den Weg bringt? Nach dem damaligen Urteil war der Gesetzgeber verpflichtet, bis spätestens Ende 1996 eine Neuregelung derjenigen Bestimmungen des Vermögenssteuerrechts vorzunehmen, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar waren. Das wäre dann die Pflicht der damaligen Kohl-Regierung gewesen. Mit einem politischen Trick umging Kohl – gut geschmiert mit illegalen Spenden – diese Verpflichtung und setzte die Erhebung der Vermögensteuer einfach aus. Keine der folgenden Regierungskoalitionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen beendete diese Praxis.
Eine Folge davon ist die sich immer weiter öffnende Schere in der Vermögensverteilung. Das von den Interessenvertretern der oberen Zehntausend immer wieder vorgebrachte Argument, Vermögen würden ja auf der Grundlage von bereits besteuerten Einkommen gebildet, würden also ungerechterweise ein zweites Mal besteuert, stellt die wachsende Ungleichheit als gerecht hin. Aber als Kapital angelegt hat Geldvermögen nun mal die Eigenheit, mehr Geld zu hecken und leistungslose Einkommen – Einkommen, die nicht auf einer Leistung derjenigen beruhen, die sie erzielen – zu generieren. (Nebenbemerkung: Wirklich leistungslose sind sie natürlich nicht; die Leistung wurde nur von anderen als den Einkommensbeziehern erbracht.) Die Nichtbesteuerung der Vermögen bringt diesen Motor so richtig auf Touren. Während sich zwischen 1998 und 2015 die Belastung der unteren 70 Prozent aller Haushalte mit Steuern und Abgaben erhöhte, wurde sie bei oberen 30 Prozent vermindert. Am stärksten hat das reichste eine Prozent gewonnen. Deren Steuern sind um 4,8 Prozent im Verhältnis zum Haushaltsbruttoeinkommen gesunken, das ist der gleiche Prozentsatz, um den die steuerliche Belastung des ärmsten Zehntels aller Haushalte gestiegen ist. Weil dem Staat trotzdem Geld fehlt, nimmt er bei den Vermögenden Kredit auf. Toller Deal für die Reichen, stimmt’s?
Das Bündnis „Wer hat, der gibt“, bestehend aus Künstlern, Wissenschaftlern, Verbänden und Vereinen hat jetzt die Bundesregierung in einem Offenen Brief aufgefordert, mittels einer progressiven Steuerpolitik den Reichtum umzuverteilen und die weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Diese Forderung ist auch durch die mit dem jüngsten Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung bekannt gewordenen Befunde legitimiert. Sind schon die Einkommen ungleich verteilt, so ist die Ungleichverteilung bei Vermögen noch weit dramatischer gestiegen. Die obersten zehn Prozent verfügen über zwei Drittel aller Vermögen, das oberste Prozent der Haushalte nennt fast 30 Prozent des Gesamtvermögens sein eigen. Der Bericht konstatiert eine fortschreitende Polarisierung der sozialen Lagen.
Zur Gruppe der „Armen“ gehörten in den 1980er Jahren vier Prozent der Bevölkerung, heute sind es elf Prozent. Ähnlich bei der oberen Gruppe, den „Wohlhabenden“; ihr Anteil stieg von vier auf 9,1 Prozent. Die Aufwärtsmobilität der unteren Gruppen ist zum Erliegen gekommen; kein Tellerwäscher schafft es je zum Millionär. Die Angehörigen der obersten Schichten können faktisch nicht mehr verlieren, ihre Position verfestigt sich durch das Vererben. Eine Analyse von Wissenschaftlern der Uni Potsdam und des Berliner DIW konstatierte bezüglich der allerobersten Gruppe der Reichen: „Das Vermögen ist so umfangreich, dass es kaum oder gar nicht mehr zerstörbar ist, so dass das Vermögen und die damit verbundene Handlungsfreiheit und das gesellschaftliche Gestaltungspotential auch durch ökonomische Krisen kaum angreifbar ist.“ In anderen Ländern werden die Angehörigen einer solchen Gruppe als Oligarchen bezeichnet.
Die Steuerpolitik ist nicht allein verantwortlich für den überproportionalen Anstieg der besonders hohen Vermögen. Obwohl die Zinssätze gesunken sind, steigt mit dem wachsenden Vermögen natürlich die absolute Höhe der Zinseinkommen. Eine Million erbringt bei einem Zinssatz von drei Prozent ein Zinseinkommen von dreißigtausend Euro, zwei Millionen erbringen bei nur zwei Prozent ein Plus von vierzigtausend Euro. Aber das Vermögen der oberen Schichten besteht nicht nur aus verzinsten Geldbeträgen, auch das Betriebs- und Immobilienvermögen konzentriert sich bei ihnen; neben Zinsen gibt’s noch Entnahmen aus Betriebsgewinnen, Dividende, Miet- und Pachteinnahmen. Nicht unwichtig war in den vergangenen Jahren der Vermögenszuwachs, der sich aus dem steigenden Marktwert von Finanzmarktpapieren ergab. Besonders pfiffige Kommentatoren verharmlosen diesen Anstieg mit dem Hinweis, das sei zum Teil kein wirklicher, sondern nur ein fiktiver Vermögenszuwachs. Das ist erstmal richtig, aber in dem Moment, wo ein im Wert gestiegenes Papier verkauft wird, ist der Erlös keineswegs eine fiktive, sondern reelle Kaufkraft.
Die Kritik an der weit aufklaffenden Vermögensschere wird nicht selten als „Neiddebatte“ oder als Resultat falscher Moral- oder Gerechtigkeitsvorstellungen diffamiert. Geschenkt. Es gibt ökonomisch rationale Gründe für eine solche Kritik. Nicht nur bei Erbschaften besteht offensichtlich kein Zusammenhang mehr zur eigenen Leistung der Vermögensbesitzer. Wozu also noch anstrengen, wenn vorgeführt wird, welch ungleich bessere Chancen jemand hat, der als reicher Erbe ins Berufsleben eintritt oder um wie viel mehr es sich lohnen kann, am Finanzmarkt zu spekulieren als in der Produktion zu malochen? Das ganze Gerede über Leistung, die sich lohnen muss, wird bei einer solchen Schieflage der Verteilung ad absurdum geführt. Wen wundert es, dass die Hinwendung zu Berufen und Tätigkeitsfeldern in der Finanzwirtschaft zunimmt, bei Arbeiter-, Handwerks- und Ingenieurberufen aber abnimmt. Nicht nur der geheiligte Leistungsgedanke kommt unter die Räder. Nachweislich statistischer Untersuchungen ist die Wahrscheinlichkeit, das Interessen und Vorschläge der Oberschicht im Bundestag Gehör finden, um ein Mehrfaches höher als bei mittleren und unteren Schichten. Sinkende Wahlbeteiligung besonders Derjenigen, die sich in prekären Lebenslagen befinden, ist die Folge.
Ein auch kurzfristig wirksamer Effekt der sich öffnenden Verteilungsschere betrifft das Wachstum. Die unteren Schichten müssen einen höheren Anteil ihrer Einkommen unmittelbar ausgeben, während die Vermögenden zwar nicht weniger ausgeben, aber einen prozentual höheren Anteil ihrer verfügbaren Einkommen sparen. Die sich öffnende Verteilungsschere begünstigt mehr das Sparen und hemmt die nachfragewirksamen Konsumausgaben; Wachstum und Konjunktur werden beeinträchtigt. Und die Hoffnung, Steuersenkungen würden höhere Investitionen anregen, kann man getrost begraben. Der Slogan des damaligen SPD-Kanzlers Helmut Schmidt „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen“ hat sich seit langem blamiert! Obwohl in den letzten Jahrzehnten der Gewinnanteil am Volkseinkommen gestiegen war, ist der Anteil der Investitionen gesunken. Warum auch sollte in der Realwirtschaft investiert werden, wenn Nachfrage fehlt und sich durch Anlagen im Finanzbereich kurzfristig mehr Geld verdienen lässt? Leider ist auch der Staat nicht in diese Lücke gestoßen; wegen zu schwach steigender Steuereinnahmen wurden unter dem Druck der Schuldenbremse und der Forderung nach „weniger Staat“ die öffentlichen Investitionen zurückgefahren. Nebenbei: Andere Länder erheben Vermögensteuern und haben zugleich höhere Investitionsquoten.
Die Gesamtsituation wird durch die Pandemiemaßnahmen weiter verschlechtert. Auch dazu gibt es im Armuts- und Reichtumsbericht bereits Hinweise. Und selbst wenn die anziehende Konjunktur zu wieder steigenden Steuereinnahmen führt, bedroht die Schuldenbremse mit ihren Tilgungsverpflichtungen das Sozialsystem und die dringend erforderlichen Infrastrukturinvestitionen. Nicht nur die so dringende Beseitigung der sozialen Schieflage, sondern auch die höhere Beteiligung der Vermögenden an den Kosten der Pandemie erfordern Maßnahmen, wie sie im erwähnten Offenen Brief vorgeschlagen werden: Wiedereinführung der Vermögenssteuer, effektive Erbschaftsteuer, wirksame Bekämpfung der Steuervermeidung, Anhebung des Spitzensteuersatzes auf Einkommen und eine einmalige Vermögensabgabe.
Schlagwörter: Armut, Jürgen Leibiger, Reichtum, Vermögensteuer, Vermögensverteilung