Wolfgang Schäuble (CDU), Bundestagspräsident mit klaren Grundsätzen – Am 22. Juni wird der 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion zu begehen sein. Dazu hatte die Linkspartei eine Gedenksitzung des Bundestages angeregt, was Sie mit dem Hinweis abgelehnt haben, man wolle „an der bisherigen parlamentarischen Übung einer ungeteilten Erinnerung an den gesamten Verlauf des Zweiten Weltkrieges und des von ihm ausgegangenen Leids festhalten“.
Der Berliner Historiker Götz Aly hat Ihnen erwidert: „[…] was soll denn das: ein ‚Leid‘, das nicht von Deutschland, sondern vom ‚Zweiten Weltkrieg ausgegangen‘ sei? Nur zur Erinnerung: In Europa fielen jeweils etwa 280.000 britische und US-amerikanische Soldaten, aber etwa zwölf Millionen Soldaten der sowjetischen Streitkräfte. Von diesen wurden drei Millionen in deutscher Gefangenschaft erschossen oder vorsätzlich in den Hunger- und Kältetod getrieben. Deutschlands Krieg gegen die Sowjetunion war der ‚ungeheuerlichste Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg‘, den die moderne Geschichte kennt (Ernst Nolte, 1963).“
Und Aly hat auch einen Vorschlag: „Ich finde, die gefallenen Sowjetsoldaten sollten endlich mit einem militärischen Zeremoniell geehrt werden. An ihren Berliner Gräbern sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Rede zum 80. Jahrestag halten. Das Stabsmusikkorps der Bundeswehr sollte ‚Das Lied vom guten Kameraden‘ spielen, den deutschen Trauermarsch für alle Gefallenen.“
Doch als gestandener Historiker ist Aly natürlich zugleich Realist genug, um seinen Vorschlag als das zu qualifizieren, was er nun einmal ist: „Ein Wunschtraum.“ Denn dafür sorgen ja seit Jahrzehnten genau solche führenden Repräsentanten des Staates wie Sie, Herr Schäuble.
Tran To Nga, 79-jährige Französin vietnamesischer Herkunft – Der „letzte Kampf Ihres Lebens“ endete für Sie mit einer Niederlage. Sie hatten Klage gegen 14 internationale Chemiekonzerne erhoben, die einst das hochgiftige Entlaubungsmittel Agent Orange für den Vietnam-Krieg der USA lieferten. Nicht nur Ihre unheilbare Krebserkrankung und den Tod einer Tochter führen Sie auf den Einsatz dieses Giftes zurück. Vier Millionen Menschen in Vietnam, Laos und Kambodscha kamen mit dem Entlaubungsmittel in Kontakt, 150.000 Kinder kamen mit Fehlbildungen auf die Welt, die Natur wurde schwer geschädigt. Doch das Gericht in Ihrer neuen Heimat Frankreich erklärte sich für unzuständig. Die Chemieunternehmen hätten „auf Anweisung“ der USA-Regierung gehandelt und könnten sich deshalb auf juristische Immunität berufen. Und Jean-Daniel Bretzner, Anwalt der zum Bayer-Konzern gehörenden USA-Firma Monsanto, argumentierte gar, die USA hätten Agent Orange für die nationale „Verteidigung“ eingesetzt, daher könne kein ausländisches Gericht darüber urteilen. Da erinnert man sich an einen deutschen Verteidigungsminister, der Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigen wollte. Ganz nach dem Beispiel der USA, die ihre „Freiheit“ am Mekong verteidigten. Das misslang in Vietnam ebenso wie in Afghanistan. Die vorgeblichen Verteidiger ziehen ab. Für das Leid, das sie über die Völker gebracht haben, ist indes niemand verantwortlich, weder die „Angewiesenen“, noch die „Anweiser“.
Miloš Zeman, Staatspräsident der Tschechischen Republik – Für ein aufsehenerregendes Zitat sind Sie immer gut. Vor sechs Jahren etwa ließen Sie den USA-Botschafter in Prag wissen, dass Sie sich auch von ihm nicht in Ihre Reisepläne hineinreden ließen – und nahmen an den Feierlichkeiten zum 70.Jahrestag der Befreiung in Moskau teil. Begründung: „Das ist Ausdruck der Dankbarkeit dafür, dass wir in diesem Land nicht Deutsch sprechen müssen.“ Spätestens da galten Sie im Westen als Putin-Freund.
Jetzt wurde Tschechien neben den USA von Russland auf eine neue Liste „unfreundlicher Staaten“ gesetzt. Vorausgegangen war ein Streit um eine Jahre zurückliegende Explosion in einem tschechischen Munitionslager, der zu etlichen gegenseitigen Ausweisungen von Diplomaten geführt hatte. Sie meinten daraufhin: „Die russische Seite begeht eine Dummheit, weil es ein Fehler ist, frühere Freunde zu Feinden zu machen.“ Auch das ist nicht von der Hand zu weisen, aber vielleicht gibt es im Tschechischen eine Entsprechung des deutschen Sprichworts: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt’s heraus.“
Franziska Giffey (SPD), geschmeidige Äquilibristin – Als Bundesfamilienministerin zurückzutreten, weil Ihnen wegen nachgewiesener Plagiate Ihre Doktorarbeit mit zunehmender Wahrscheinlichkeit aberkannt werden wird, als Spitzenkandidatin der Berliner SPD für das hauptstädtische Rote Rathaus aber quasi weiter „im Amt“ zu bleiben, dazu gehört schon Chuzpe. Die hatten Sie allerdings bereits vor Monaten bei Ihrer Ankündigung bewiesen, sie würden das Ministeramt aufgeben, sollte der akademische Titel keinen Bestand haben – und nicht etwa, weil Sie bei einem Betrug erwischt worden sind, einem mindestens semikriminellen Delikt, das die Täterin, wenn auch nicht auf die Ebene eines Markus Braun (Ex-CEO von Wirecard) katapultiert, so doch zumindest ethisch-moralisch disqualifiziert.
Das bisschen bekleckerte weiße Weste drücken Sie als ausgebuffter Politik-Profi natürlich in den Skat!
Andererseits – da Sie nun eben nicht am Boden liegen, darf auch ein wenig nachgetreten werden. Wir übergeben das Wort an Gabor Steingart, ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber des Handelsblatts: „Wollte sie nach diesem Rücktritt eine Karriere als Wissenschaftlerin beginnen oder strebte sie den Chefposten des Goethe-Instituts an, müsste man ihr die rote Karte zeigen. Aber das will sie gar nicht: Sie will Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Hier bewirbt sich eine Sünderin um die Führung einer sündhaften Stadt. Das wiederum passt! Berlin ist eben nicht vornehm wie Hamburg, nicht versnobt wie München und auch nicht so reich wie Frankfurt. Berlin ist die einzige deutsche Großstadt, in der das Scheitern schick ist und die gebrochene Biografie als Ausweis erhöhter Kreativität gilt.“
Paul Simon, Autor, auf dem russischen Auge blind? unbelehrbar? Agent Moskaus? oder alles zusammen? – Seit Jahren geben sich westliche Politiker, Militärs und einschlägige Qualitäts- und Mainstreammedien alle erdenkliche Mühe, uns um den Schlaf zu bringen: „Russlands Hochrüstung“ (Kramp-Karrenbauer), „Russland bedroht Europa an vielen Fronten“ (FAZ); „Russlands aggressive Politik“ (taz); „Wachsende Kriegsgefahr: Russland droht mit Eingreifen“ (Der Spiegel) …
Und dann kommen Sie daher und konstatieren in der Berliner Zeitung schlicht und ergreifend: „Anders als die westliche Russlandpanikindustrie aus Thinktanks und gewissen Medien gerne suggeriert, hat Moskau weder die militärischen noch die wirtschaftlichen oder politischen Mittel, die EU oder die Nato ernsthaft unter Druck zu setzen.“
Da können wir mit Karl Kraus nur warnen: „Eine Notlüge ist immer verzeihlich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.“
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