Im Jahre 1889 hatte man am Ufer unterhalb von Crampas mit dem Bau eines Schutzhafens für die Seefischerei begonnen und schon an Erweiterung gedacht. Hintergrund war die geplante Verlegung der deutsch-schwedischen Postdampferverbindung nach Sassnitz ). Der nun erfolgende jahrzehntelange Ausbau des Hafens brachte für die Fischer von Sassnitz/Crampas eine willkommene Einkommensquelle: das Steinezangen . Auch an anderen Orten war mit den Steinen gut Geld zu verdienen. So bekam man um 1890 in Greifswald für den Kubikmeter Steine vier Mark, in Swinemünde sechs und in Stettin sogar 7,50 Mark. In Sassnitz bezahlte die Hafenbehörde fünf Mark.
Wolfgang Rudolph ließ sich den Alltag eines Steinezangers von Christoph Andres aus Groß Stresow erzählen: „Morgens um 2 Uhr wurden die Segel gesetzt, mit Kurs auf das Flachwasser unter der Granitz oder vor der Stubnitz… Vom Schiffsboot aus wurden die Steine aufgehoben, mittels einer 17 Zoll großen Zange an etwa drei Meter langen Griffstangen.“ War das Boot voll, wurden die Steine in ein größeres Fahrzeug, eine Jacht, verladen. „So wurde in einem fort von fünf bis nachts gegen halb elf Uhr gearbeitet, solange man am Grund etwas erkennen konnte … “ In die Jacht von Andres passten 30 Kubikmeter Steine.
1889 erteilte der Oberfischmeister von Stralsund in seinem Amtsbereich 168 Fischern die Erlaubnis zum Zangen, 150 von ihnen lieferten ausschließlich für den Sassnitzer Hafenbau.
Zunächst brachte man einfach Findlinge aus dem Uferbereich beziehungsweise dem Flachwasser vor der Stubnitz per Ruderboot zur neuen Mole. Darunter war auch der sogenannte Schwanenstein am Strand von Sassnitz.
Der Hafenmeister von Sassnitz, der die Steine für den Hafenbau entgegennahm, bezahlte nicht schlecht. Die Folge war eine an den Kräften und an der Gesundheit der Fischer zehrende Jagd nach dem Geld. Da bis in die Dämmerung gezangt wurde, mussten die Frauen das Essen zum Hafen bringen, wo es zwischen der Arbeit hinuntergeschlungen und mit kaltem Kaffee, nicht selten aber auch mit einem Fässchen Schnaps nachgespült wurde. „Der Durst wäre zu schrecklich gewesen“, berichtete einer der Steinezanger. Sie hätten ihre Lippen zwar nur angefeuchtet, trotzdem wäre ein Liter Schnaps täglich verbraucht worden. Leistenbrüche waren noch das geringste Übel. Einige der Fischer starben nach den Strapazen, häufig an Lungenentzündung.
Vereinzelte verführte die einfache Methode der Gewichtsbestimmung zu Betrugsversuchen. So hatte der Fischer Vollert aus Tolkemit bei Elbing auf seiner „Anna“ hinter einem Schott Steine versteckt, um sie bei jeder Lieferung mit abrechnen zu können. Seine Begründung, die Steine als Ballast bei Leerfahrten zum Schutz bei unvorhersehbarem Sturmwetter mitzuführen, scheint einzuleuchten, fand jedoch vor Gericht keine Anerkennung. Die hinter dem Schott versteckten Steine wurden vermessen und es ergab sich eine Betrugssumme von 5,50 Mark bei jeder Fahrt. Vollert und andere Zanger wurden durch „Urteil des hiesigen Kgl. Schöffengerichts“ in Bergen wegen versuchten Betruges zwischen 20 und 30 Mark „subsidiär 5 (bzw. 10) Tage Gefängniß rechtskräftig belegt …“.
Auch an anderen Stellen von Rügen und Hiddensee wurden Steine für die verschiedensten Bauprojekte an Land geholt. Findlinge waren als Fundamente für den Hausbau begehrt, sie boten nicht nur einen stabilen Untergrund, sondern sperrten auch das nachdrängende Grundwasser wirkungsvoll ab. Auch beim Straßenbau und bei Küstenschutzbauten fanden sie Verwendung. Auf diese Weise verschwand zum Beispiel die kleine Insel Stubber nordwestlich vor Zicker, für die das 1906 erlassene Verbot des Steinzangens unter sechs Meter Wassertiefe zu spät kam.
Diejenigen, die gegen die Gefährdung der Uferbereich durch die Steinentnahme protestierten, blieben zunächst einsame Rufer. So forderte der damalige Lotsenkommandeur von Thiessow, Schiffaltermann Johann Caspar David Wolter, 1854 ein durchgreifendes Verbot des Steinefischens. Der Sassnitzer Gemeindevorsteher Kruse protestierte, weil es am Kreideufer zwischen Sassnitz und Stubbenkammer zu erheblichen Abbrüchen kam, die die Entwicklung des Seebades zu behindern drohten. Teilweise sollen sogar Steine aus bereits fertiggestellten Uferschutzbauten entnommen worden sein. Selbst der Fürst von Putbus warnte 1880, dass große Steinriffe, welche einst noch als natürlicher Schutz für gefährdete Stellen vorhanden waren, inzwischen verschwunden seien.
Die Stralsunder Regierung musste endlich reagieren und legte zunächst Bereiche fest, in denen keine Steine mehr entfernt werden durften: Glowe bis Lohme, Stubbenkammer bis Sassnitz, vor der Granitz, um die Greifwalder Oie, Insel Vilm, vor der Goor und von Neuendorf bis Neukamp. Als nächste Maßnahme wurde schrittweise die Wassertiefe erhöht, bis zu der Steine gefischt werden durften. Hatte man anfangs die Steine bequem vom Strand entnommen, hob man die Blöcke nun (1867) aus einer Wassertiefe von etwa 150 cm (Fünf-Fuß-Tiefengrenze), später aus Tiefen von mehr als zwei und gar sechs Metern. Mehrere Männer hantierten dazu mit einer großen Eisenzange mit langen Holzstielen von bis zu drei Metern Länge vereinzelt brachten die Steinzanger sogar Taucher zum Einsatz.
Dem endgültigen Verbot gingen rund siebzig Jahre Auseinandersetzungen zwischen den Steine zangenden Fischern und den Strandbesitzern voraus. Zu den Befürwortern des Steinezangens gehörten die Bauämter, Wasserbaudirektionen und Baumeister, die die uferschützende Wirkung der Steinpackung herunterspielten oder gar ganz in Frage stellten und ständig neue Anträge auf Ausnahmegenehmigungen stellten. Ins Feld wurden auch die hohen Kosten geführt, die im Falle eines Verbotes durch den dann notwendigen Steineimport aus Schweden und von der Insel Bornholm entstehen würden. Plötzlich entdeckten die Befürworter sogar ihre soziale Ader und argumentierten mit der misslichen sozialen Lage der Fischer, die durch das Steinezangen verbessert werden könne.
Die Argumente der Gegner des Steinezangens, bestätigt und bekräftigt durch wissenschaftliche Gutachten, überwogen. Schließlich, kam es doch an von Steinen „geräumten“ Uferbereichen regelmäßig zu Überflutungen und Abbrüchen. Zu den Gegnern des Steinezangens gehörten aus verständlichen Gründen auch die Grundbesitzer und der Fiskus. Zum einen wollten die Grundbesitzer die Steine selbst nutzen, zum anderen waren sie am Schutz des sonst stetig zurückweichenden Ufers interessiert. Zunächst ordnete die Regierung 1845 an, dass die Fischer zum Steinezangen eine Erlaubnisurkunde des Landratsamtes benötigten, ab 1867 durfte ein solcher Schein nur noch durch den Oberfischmeister in Stralsund ausgestellt werden. 1890 gingen neun Zehntel der Urkunden an Steinefischer, die für den Fährhafen Saßnitz arbeiteten.
Um die Einhaltung der Bestimmungen wurde häufig massiv gestritten. In eine solche Auseinandersetzung war sogar der Fürst zu Putbus verwickelt. Als der Fischer Johann Andres aus Groß Stresow zusammen mit seinem Großvater beim Quitzlaser Ort Steine zangte, wurde er von den Forstbeamten des Fürsten an Land geholt. Der Fürst soll dem Fischer gesagt haben, er dulde auf seinem Eigentum kein Steinezangen, der Legitimationsschein kümmere ihn nicht, der Oberfischmeister habe auf dem Eigentum des Fürsten nichts zu erlauben. Wie die Beschwerde von Johann Andres gegen die „gewaltsame Störung meines Gewerbebetriebes“ am 25. August 1873 bei der Königlichen Regierung in Stralsund ausging, ist nicht bekannt. In einem m 8. November 1860 unterzeichneten Schreiben des Bergener Polizeianwaltes Rosenberg wird das Fürstliche Polizei-Amt Putbus „ergebenst benachrichtigt“, dass die Jachtschiffer Johann Zell und Johann Dieber zu Greifswald wegen unbefugten Steinezangens am 4. Oktober jeder zu 5 Mark Geldstrafe oder 5 Tagen Gefängnis verurteilt wurden.
Um die Identifizierung der Steinezanger zu erleichtern, wurde 1881 die Kennzeichnungspflicht der Boote mit Vorname, Name und Wohnort des Bootseigners eingeführt und auf den Erlaubnisscheinen vermerkt. Bei unbezeichnetem Boot drohte eine Geldstrafe von 30 Mark.
Am 2. April 1906 wurde das Steinezangen mit einer Polizeiverordnung verboten.
Letzter rügenscher Steinezanger soll Bertold Blum gewesen sein, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Gager ansiedelte. Seine größte Zange hatte ein Gewicht von sieben Zentnern und konnte nur mit einem Flaschenzug gehandhabt werden. Die Zange war bis auf eine Weite von eineinhalb Meter zu öffnen. Man zangte meist Steine von einem Kubikmeter Größe (rund 40 Zentner), die unter Mitwirkung eines Tauchers aus Tiefen um acht Meter gehoben wurden. Die Steine sprengte man gleich an Bord mit einer losen Schwarzpulverladung.
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