24. Jahrgang | Nummer 3 | 1. Februar 2021

Theaterberlin

von Reinhard Wengierek

Diesmal: „Maria Stuart“ – Deutsches Theater online / Theater-Wien kocht – Gruß aus der Home-Küche

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Wow, das hatten wir noch nie: Maria Stuart in der Kiste. Nein, nicht post mortem als Leiche, nachdem der Henker sein blutiges Handwerk erledigt hat (was zu zeigen uns Schiller erspart). Sondern höchst lebendig im schick unschuldsweißen Hosenanzug und mit verführerisch blonder Langhaarperücke. In Anne Lenks Inszenierung von Friedrich Schillers „Maria Stuart“ stecken, stehen oder lümmeln nämlich alle Beteiligten dieser Tragödie um zwei Königinnen in rot ausgeschlagenen, über- und nebeneinander gestapelten Holzkisten. Das Bühnenbild von Judith Oswald gleicht einem Setzkasten; mithin hat jede Person für isolierte Auftritte ein Kästchen. Passend zur Pandemie; Premiere war in der kurzen Herbstspielzeit 2020, kurz bevor der Spielbetrieb wieder eingestellt werden musste. Jetzt gibt’s die aufgezeichnete Produktion online.

Die portalhohe Schaukästenwand dient zumindest zweierlei: Dem Abstandhalten sowie dem gut verständlichen Geradeaus-Sprechen ins Publikum. Außerdem sind so dem ansonsten beliebten Aufpeppen der Story mit dekorativen Regieeinfällen Grenzen gezogen. Doch das steht der Regisseurin, die stets auf Klarheit der Intentionen des Autors zielt, ohnehin fern.

„Maria Stuart“ also so gut wie ganz auf den Text gestellt. Der weder platt verpoppte noch rätselhaft dekonstruierte Klassiker als Redestück plus Minimalgestik – mehr Hör- als Schauspiel. Und siehe da: Es wirkt. Und klappt auch mit den Dialogen, ohne dass sich die Herren der intriganten Politiker-Gang sowie die beiden gekrönten Häupter zu nahe kommen im raffiniert gesponnenen Schiller-Thriller, der bis heute gängige Techniken politischen Machtgewinns und Machterhalts als kriminell und moralisch versaut bloßstellt. Und die Regentinnen als Gefangene der systemerhaltenden Staatsraison kritisiert.

Nun hat es der Autor eingerichtet, dass in der Mitte seines Dramas um sexuelle und politische Lufthoheit zweier im Temperament höchst unterschiedlicher Herrscherinnen, dass da die beiden im Knast-Schloss zu Fotheringhay aufeinanderprallen zu einer der berühmtesten Redeschlachten der Weltliteratur. Mary (Franziska Machens) als Gefangene von Betty (Julia Windischbauer), nach deren Kronbesitz sie giert, bettelt angesichts des Todesurteils um Gnade.

Da brennt ansonsten die Luft. Doch die Regie treibt das rhetorische Lodern ins halbwegs Sachliche und tritt so – nebenbei – dem breitbeinigen Lästermaul Brecht entgegen („zwei zänkische Fischweiber“).

Abgesehen von Mortimer (Jeremy Mockridge), der in die Stuart verknallt ist, agiert auch die unsympathische Gang der die königlichen Damen hinterhältig umschwänzelnden Herren statisch, mithin Corona-Kasten-gemäß (Enno Trebs, Alexander Khuon, Jörg Pose, Paul Grill, Caner Sunar). Es herrscht ein ins Kühle gedimmter Ton, der zugleich eine gewisse Lächerlichkeit freilegt. Die Kerle alle ein bisschen gaga – eben wie Machtpolitik überhaupt. – Doch dieses allgemeine Überhaupt ist letztlich das Problem der intelligent gekürzten Inszenierung (das Metaphysische, die idealische Apotheose gestrichen), die ansonsten mit ästhetischer Eleganz und Unterhaltsamkeit punktet.

Sagen wir es so: Der glühend gefühlvolle und dann wieder eisig rationale, desillusionierende Ton, dieses himmelwärts Emporgekrampfte, dann wieder in Höllenschlunden sich Suhlende des Schiller-Sounds, der macht ja von vornherein den zerrissenen Figuren das Bühnenleben schwer: Immer alles auf Messers Schneide; der edle Mensch immer auch als das aasige Monster; immer Engels- und Teufelszungen. Und doch schimmert da meist im Schlimmen ein Schönes, ein irgendwie Trotzdem. Schiller sagt es selbst: allen seinen Charakterköpfen die „volle Ladung des Leidens“. Also Pathos, das allerdings nicht erst heutzutage als – sagen wir   schwierig gilt.

Ein Problem der Moderne, das Anne Lenk auf ihre sympathisch vornehme Art umgeht: Eben durch maßvolle Nüchternheit allenthalben – auch deshalb weder Liebeszauber noch Liebeskummer, kein Gott und kein Gebet. Schillers Komplexpaket aus Politik, Erotik, Religion abgespeckt: Politik ja!, Erotik ein bisschen, Religion null. Der Intrigen-Psycho-Polit-Thriller mit ausgebremstem Thrill. Also keine volle Ladung. Stattdessen delikat eingestreut: Komik. Freilich, im Publikum stockt da niemandem der Atem, wischt niemand sich heimlich eine Träne weg. – Kein großes Schiller-Glück, kein reines. Dafür ein feines kleines.

Online am 9. und 13. Februar, jeweils 20 Uhr.

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Die Theater sind dicht, sogar in Österreich. Also wird daheim gekocht, dachte sich die Wiener Theaterärztin Lilli Nagy und fragte mal nach bei ihrer speziellen Kundschaft. – Man kann ja nicht unentwegt an heimischen Displays kleben, in Gedrucktem schmökern oder auf der Ottomane dösen.

Und siehe da, Frau Doktor Nagys Nase schnupperte in die richtige Richtung: Eben zu den offensichtlich heftig dampfenden und verführerisch duftenden Töpfen, Tiegel, Pfannen und Backröhren der Wiener Schauspielszene. Von den ganz großen Stars bis hin zu den etwas kleineren, von Putzteufeln, Pförtnern, Dramaturgen, Musikern, Ankleidern bis zu Intendanten. Immerhin ein halbes Hundert der fleißig Befragten vermachte der so bekannten wie beliebten Ärztin ein erprobtes, oft von Vorfahren ererbtes Lieblingsrezept.

Doch das wurde nicht simpel und schnell per Email gesendet, sondern meist handschriftlich verschickt und noch dazu liebevoll dekoriert mit witzigen Zeichenkünsten. So ist – die Zwangspause der ansonsten Vielbeschäftigten macht‘s möglich – ein auf edlem Papier farbig gedrucktes, großformatiges Koch- und Backbuch entstanden; Motto: „My stage is my kitchen“. Bleibt nebenbei die Frage: Warum den Titel auf Englisch ausgerechnet in der Hochburg deutschsprachigen Theaters?

Nun gut, „Meine Bühne ist die Küche“ begeistert und entzückt; selbst nur so zum Blättern, weil: gewürzt mit diversen Privatismen. Hat aber leider das Format eines respektablen Schneidebretts: 32 x 24 Zentimeter. Für den etwas bescheideneren Küchenspind eher schwierig…

Auch das Köcheln nach Vorlage dürfte nicht immer einfach sein, denn die technischen Angaben überstrahlen gelegentlich poetische Apercus. – „Der Vorgang hat ein natürliches Ende“, heißt es da lakonisch beim Schauspieler Christoph Franz Krutzler, der charmant über Grammelpogatscherln plaudert. Und auch manch genialische Klaue ist korrekt kaum lesbar. Doch der individuell-originelle Eindruck macht ja das Vergnügen und – und das vor allem – er kitzelt die Fantasie des Nachschaffenden.

Die Mischung der Kulinaria ist bunt und eher südöstlich geprägt; die Ansprüche an ihre Herstellung reichen von fix und fertig bis ziemlich aufwändig. Es gibt schlicht Essiggurken, Sauerkrautsuppe oder, schon weniger schlicht, Chili sin carne para saxophonistas und schließlich kompliziert zugerichtete Gänse, Enten, Fische, Hasenöhrli. Für jeden Geschmack ist was dabei, für Anfänger wie Fortgeschrittene und Experimentierfreudige. Etwa Kümmelbraten a la Dragi, Nockerln, Laibchen, Häckerli oder der Quarantäneauflauf der Burg-Doyenne Elisabeth Orth (mutig zusammenrühren was alles gerade greifbar). Und natürlich die weltberühmte Poetische Torte des Burg-BE-Dramaturgen Hermann Beil, vielfach erprobt zur Eindämmung, wenn nicht gar Beseitigung schwerer Theaterkrisen. Soll auch jenseits der Spielbuden erfolgreich wirken. – Küss die Hand und guten Appetit!

Lilly Nagy: My stage is my kitchen, Wolfgang-Pfeifenberger-Verlag, Tamsweg 2020, 138 Seiten, 35,90 Euro.