24. Jahrgang | Nummer 3 | 1. Februar 2021

Indien und die Biden-Administration

von Edgar Benkwitz

Nur einige Tage vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten der USA schätzte der indische Außenminister, Subrahmanyam Jaishankar, die Beziehungen seines Landes zu den USA auch für die Zukunft als Erfolg versprechend ein. Der Agentur Reuters sagte er: „Strukturmäßig sind die Beziehungen sehr, sehr gesund. Es gibt in ihnen einmalige Elemente, es gibt ein politisches sowie ein wachsendes Zusammengehen auf den Gebieten Sicherheit und Verteidigung.“ Der indische Politiker dürfte bei dieser Wertung vor allem die letzten vier Jahren im Blick gehabt haben, in denen sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten in einem bisher nicht gekannten Tempo entwickelte. Es war die Amtszeit des Nationalisten und Populisten Donald Trump, der mit dem indischen Premierminister Narendra Modi einen willkommenen Partner für seine strategischen Pläne in Asien fand. Dieser musste zwar einige Entscheidungen Trumps akzeptieren, die nicht im nationalen Interesse Indiens lagen, aber das wurde hingenommen. Stand doch auf der Habenseite die große Möglichkeit, Partner der USA in deren Asien-Strategie zu werden und so wichtige Impulse für den angestrebten Großmachtstatus zu sichern.

Das kürzlich von der Geheimhaltung befreite „Strategische Rahmenwerk für den Indo-Pazifik“ des Weißen Hauses zeigt auf, dass Indien in der Tat als Schwerpunkt bei der Durchsetzung der US-Interessen in Asien angesehen wurde. In dem Papier ist die Rede von der „Unterstützung eines starken Indien, das zusammen mit ähnlich denkenden Ländern als Gegengewicht zu China handeln kann“. Entsprechend dieser Richtlinie, die die Eindämmung Chinas sowie die strategische Vorherrschaft der USA im Indo-Pazifik zum Ziel hat, wurden zwischen den USA und Indien eine Reihe von Verträgen auf den Gebieten Sicherheit und Verteidigung abgeschlossen, die nach Meinung von Experten ein quasi-Verteidigungsbündnis darstellen. Unterfüttert wurde das durch bedeutende Lieferungen von Rüstungsgütern sowie die Teilnahme Indiens an der „Quad“-Gruppierung. Gemeinsam mit Japan, Australien und den USA stellt diese Gruppe im Indo-Pazifik mittlerweile einen politisch-militärischen Faktor dar, der kürzlich durch ein gemeinsames Seekriegsmanöver unweit der Straße von Malakka demonstrativ betont wurde.

Doch Trump und seine Politik sind erst einmal Geschichte, noch gibt es keine offizielle Stellungnahme, wie Washington künftig seine Indo-Pazifik-Stragie und damit sein Verhältnis zu China gestalten wird. Und werden die Beziehungen mit Indien weiterhin eine starke antichinesische Komponente beinhalten? Die indische Regierung wünscht zweifelsohne eine Fortsetzung dieses Kurses, zumal es mit China an seiner Nordgrenze in einer militärischen Konfrontation festsitzt und sich keine Fortschritte abzeichnen.

Aussagen von Mitgliedern der neuen US-Administration, die diese noch vor der Amtseinführung von sich gaben, stützen die indischen Vorstellungen. So sagte der US-Außenminister Anthony Blinken, dass ein zunehmend selbstbewusstes China eine gemeinsame Herausforderung für die USA und Indien darstelle. „Neu Delhi muss ein Hauptpartner sein, um Peking mit einer Politik der Stärke zu begegnen“, heißt es. Der neue US-Verteidigungsminister Lloyd Austin äußerte, dass der Status Indiens als „Major Defence Partner“ der USA schnell „betriebsbereit“ gemacht werden solle. „Die bestehende starke Zusammenarbeit in der Verteidigung wird weitergeführt um sicherzustellen, dass die amerikanischen und indischen Streitkräfte gemeinsame Interessen durchsetzen können.“ Die Times of India schlussfolgert dementsprechend am Tag nach der Amtseinführung in Washington: „… es wird eine allseitige Fortsetzung der Beziehungen zu Indien geben, um Chinas Macht in Asien auszugleichen.“

Wie auch aus anderen Quellen in Washington verlautet, soll die US-Politik hinsichtlich des Indo-Pazifiks im Wesentlichen wie bisher weitergeführt werden, doch es wird Modifizierungen geben. Darauf weisen Äußerungen von Kurt Campbell, des Indo-Pazifik-Beauftragten im Nationalen Sicherheitsrat – eine neu geschaffene Funktion – hin. Campbell startete in der ersten Obama-Regierung 2011 mit der damaligen indischen Regierung einen Sicherheitsdialog zu asiatischen Fragen. Gemeinsam mit dem China-Experten Rush Doshi, der zum Senior Direktor für China im Nationalen Sicherheitsrat berufen wurde, veröffentlichte er am 12.Januar 2021 in Foreign Affairs einen Artikel zu den Fragen des Indo-Pazifik. Unter der Überschrift „Wie Amerika die asiatische Ordnung stützen kann. Eine Strategie für die Wiederherstellung des Gleichgewichts und der Rechtmäßigkeit“ sprechen sich beide Autoren für die Schaffung einer Koalition von Staaten aus, die ein Gleichgewicht der Kräfte in der Region herstellen und so Chinas Einfluss ausgleichen könnte. Im Gegensatz zu Trump, dem sie grobe Fehler in der Asien-Politik und der Behandlung Chinas vorwerfen, befürworten sie statt einer allseitigen Konfrontation auch einen Dialog mit China zu ausgewählten Fragen, um gemeinsam wichtige Grundprobleme zu lösen. Campbell und Doshi, die beide aus ihrer antichinesischen Grundhaltung keinen Hehl machen, werden als zukünftige Gestalter der US-Politik im asiatischen Raum eine bestimmende Rolle spielen.

Die indische Regierung wird sich Modifizierungen der US-Strategie anpassen. Dabei wird sie darauf drängen, ihre Interessen stärker zur Geltung zu bringen. Das gilt besonders hinsichtlich dem Iran, Afghanistan und auch Pakistan. Trumps Sanktionspolitik gegenüber dem Iran sowie die Abmachungen mit den afghanischen Taliban hatten die strategischen Vorstellungen Indiens für die Region empfindlich gestört.

Allerdings gibt es in Indien auch mahnende Stimmen, die vor einer noch engeren Zusammenarbeit mit den USA auf militärischem Gebiet warnen. Denn ein anhaltender Antagonismus USA-China mit Indien im Schlepptau der USA verringert die Chancen, zu einem normalen Verhältnis zu China zurückzukehren und die Grenzprobleme einvernehmlich zu lösen. Auch die chinesische Regierung hat diese Botschaft Indien wiederholt zukommen lassen.

Zu einer ernsthaften Belastung der Beziehungen zwischen den USA und Indien könnte auch die Lieferung von Rüstungsgütern Russlands nach Indien werden. Insbesondere das Raketenabwehrsystem S-400 ist den Amerikanern ein Dorn im Auge. Fünf Batterien dieses Systems wurden 2018 für fünf Milliarden US-Dollar bestellt, eine Anzahlung von 800 Millionen Dollar wurde geleistet. Bisher wurde diese Waffenart, die der amerikanischen weit überlegen sein soll, nur an China, Weißrussland und die Türkei geliefert. Bekanntlich haben die USA, gestützt auf ein entsprechendes Gesetz des Kongresses, die Türkei dafür mit Sanktionen belegt. Indien könnte das gleiche drohen. Neu Delhi hat indes vor kurzem erneut seinen Standpunkt bekräftigt, dass die Anschaffung der S-400 für Indiens Sicherheit unerlässlich sei.

Und wie wird die Menschenrechtsproblematik, die in der Politik der Demokraten einen zentralen Platz einnimmt, die Beziehungen der USA zu Indien belasten? Sowohl Präsident Biden als auch sein Vize Harris haben in der Vergangenheit wiederholt Indien Verletzung der Menschenrechte vorgeworfen. Das betraf in jüngster Zeit die Lage in Kaschmir, hier weist die Modi-Regierung jedoch jegliche Kritik zurück. Auch die in der hindunationalistischen Politik dieser Regierung begründeten religiösen, ethnischen und kastenmäßigen Spannungen – für die sich ein Donald Trump nie interessierte – werden im Verhältnis der USA zu Indien künftig eine Rolle spielen. Die indische Regierung wird diese Fragen nicht übergehen können. Doch genau wie vor vier Jahren wird sie sich mit einer gehörigen Portion Pragmatismus auf die neuen politischen Verhältnisse in Washington einstellen. Gestützt auf seine scheinbar unverzichtbare Rolle in der US-Strategie für den Indo-Pazifik wird Indien bei der Biden-Administration versuchen, seine Vorstellungen für das Verhältnis zu den USA stärker als bisher zu seinem Gunsten zu artikulieren.