24. Jahrgang | Nummer 1 | 4. Januar 2021

Fehlende Urteilskraft

von Waldemar Landsberger

Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler von der Linkspartei hat in dem Internet-Portal Die Freiheitsliebe einen Text veröffentlicht, der „Mythos Friedenspräsident“ überschrieben ist. Sie erklärt: „Das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl hat in der deutschen Öffentlichkeit überwiegend Erleichterung ausgelöst.“ Hier meint sie augenscheinlich nicht nur die vier Parteien, die in den vergangenen Jahrzehnten das Land regiert haben, sondern ebenfalls sich selbst. Auch wenn sie am Ende einräumt, das heiße nicht, „dass eine Regierung Biden friedenspolitisch große Erwartungen wecken kann“. Aber immerhin scheint sie Erwartungen zu haben, positive.

Gleichwohl ist es aufschlussreich, den Aufbau ihres Textes genauer anzusehen. Zunächst verweist Vogler auf „Gegenstimmen, nicht nur von Rechtsaußen“, sondern auch „auf der linken Seite des politischen Spektrums“. Da werde ein „Mythos […] weiterverbreitet“ in Sachen Trump, nämlich: „Er hat zumindest keinen Krieg angefangen.“ Wenn man das als Tatsachenfeststellung nimmt, so ist dieser Satz nicht falsch (jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Blättchen-Textes). Aber Vogler hat jene bösen Linken, die diesem „Mythos“ frönen, nicht nur mit „Rechtsaußen“ in ein Boot gesetzt, sondern ihnen auch noch gleich das Etikett „Trump-Fans“ angeklebt. Ohne Beleg natürlich, dass jemand, der einen sachlich zutreffenden Satz sagt, sogleich „Fan“ des jeweils Gesagten sei. Das ist Mainstream-Logik, wonach jeder, der zum Beispiel etwas sachlich Richtiges zu Russland sagt, und zwar unabhängig davon, ob er das Geschehen in Russland gut oder schlecht findet, sogleich ein „Putin-Versteher“ sei. So soll bei Vogler jeder, der etwas Zutreffendes über Trump sagt, nicht nur „Trump-Versteher“, sondern gar „Trump-Fan“ sein. Eine sehr zweifelhafte Logik.

Wenn man sich angesichts der auch zu Corona-Zeiten nicht abschwellenden, schnelles Vergessen befördernden allgemeinen Talk-Show-Flut jedoch erinnert, dass zuletzt Sahra Wagenknecht im Fernsehen diesen Satz über Trump gesagt hatte, geht es offenbar wieder einmal um das übliche Gestänker innerhalb der Linkspartei, die Genossin nebenan möglichst zu verteufeln, sie als „Rechtsaußen“ und „Trump-Fan“ zu denunzieren. Der Wähler versteht das nicht. Aber es geht offenbar schon mal um die Landesliste – Vogler wie Wagenknecht sind beide über die Landesliste Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt – und bei etwa sieben Prozent in den gegenwärtigen Umfragen gegenüber 9,2 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 wird auch für die Linkspartei 2021 die Luft nach oben dünner. Eine Alternative wäre, mehr Wähler anzusprechen. Mit Gezänk, Unterstellungen und Denunziationen erreicht man das nicht.

Zurück zu den Argumentationsfiguren Voglers. Die Tatsachenfeststellung, dass Trump im Unterschied zu fast allen seinen Vorgängern seit dem Zweiten Weltkrieg, bis auf Jimmy Carter, keinen neuen Krieg angefangen hat, bedeutet selbstredend nicht, dass er ein „Friedenspräsident“ ist (oder bald: war). Vogler stellt dies zutreffend dar: Trump hat die Rüstungsausgaben gesteigert und den Druck auf die anderen NATO-Staaten verstärkt, ihre Militärausgaben ebenfalls zu steigern. Das ist richtig. Allerdings verschweigt Vogler an dieser Stelle, augenscheinlich nicht zufällig, dass es der sympathische Friedensnobelpreisträger Barack Obama war, unter dem der entsprechende NATO-Beschluss von Newport (Wales) 2014 durchgedrückt, respektive erneuert wurde. Und dessen Vizepräsident hieß Joe Biden.

Weiter heißt es bei Vogler, Trump habe keinen „der großspurig angekündigten Truppenabzüge […] tatsächlich umgesetzt“. Hier unterschlägt sie dass die USA-Außen- und Sicherheitspolitiker, denen das Führen von Kriegen von Anbeginn antrainiert wurde, auch unter Trump in den entsprechenden Ministerien hockten und die diesbezüglichen Vorhaben des Präsidenten sabotierten. Verteidigungsminister Mattis trat deshalb zum 1. Januar 2019 zurück, Nachfolger Esper wurde aus demselben Grunde im November 2020 gefeuert: Trump hatte angekündigt, vor Weihnachten weitere Kontingente aus dem Nahen Osten und Afghanistan zurückzuholen. Die deutsche Bundesregierung und die ihr zuzurechnenden Politiker und Journalisten übrigens jaulten sofort auf, die US-Soldaten müssten in Afghanistan bleiben, schon wegen des Zusammenwirkens mit den Bundeswehreinheiten.

Richtig ist, wie Vogler schreibt, dass die Trump-Regierung das Atom-Abkommen mit Iran, den INF-Vertrag über die Mittelstreckenraketen und den Open-Skies-Vertrag gekündigt hat. Der NEW-START-Vertrag zu den strategischen Nuklearwaffen steht auf der Kippe. Drohnen-Morde wurden – in Kontinuität zur Obama-Regierung – weiter verübt. Wirtschaftskriege hat Trump ebenfalls geführt und zum Teil verstärkt, gegen Kuba und Venezuela, gegen China und Russland. Da befand er sich in breiter Übereinstimmung auch mit den Demokraten in beiden Häusern des Kongresses und ebenfalls in weitgehender Kontinuität zu Obama. Dennoch: Trump hat keinen neuen Schießkrieg angefangen. Hillary Clinton dagegen hatte den Einsatz von Bodentruppen gegen Syrien bereits angekündigt. Der blieb bis heute aus.

Allein die bisherigen Personalentscheidungen Bidens im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik verheißen dagegen nichts Gutes. Das scheint Kathrin Vogler womöglich anders zu sehen.

Man musste sich ja schon daran gewöhnen, dass die Linkspartei lieber darüber diskutiert, ob man die Reichen besser erschießen oder ins Arbeitslager stecken soll, statt ein ernstzunehmendes Konzept zur künftigen Wirtschaftsentwicklung dieses Landes vorzulegen. Und man ist froh, dass sie, bisher zumindest, gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr gestimmt hat. Aber dass das ohne eine echte Analyse der internationalen Politik geschieht – sofern man Voglers Text als einen Versuch in diese Richtung betrachtet – macht doch einigermaßen sprachlos.