Von alters her gab es auf Rügen drei „gemeine Landwege“, von denen zwei bei der „groten Vitte up Wittow“ begannen und sich erst bei Altenkirchen trennten. Sie dienten unter anderem dem Salztransport zu den Vitten genannten Fischanlandeplätzen, um schließlich Rothenkirchen zu erreichen. Der dritte Landweg kam von Mönchgut und führte ebenfalls nach Rothenkirchen. In alten Urkunden war dieser Straßenknotenpunkt als „oppidum Routhenkyrka“ bezeichnet, wurde also Städtchen genannt und war mindestens ein Kirchdorf. Alle drei Landwege führten schließlich von Rothenkirchen nach Altefähr an den Sund. Nach dem Wendisch-Rügianischen Landgebrauch des Matthäus Normann war die Breite der Wege mit 21 Fuß (etwa 6,50 Meter) bestimmt, was zwei Wagenspuren zu je sechs Fuß und drei Fußwege zu je drei Fuß gewährleisten sollte, sodass zwei Wagen aneinander vorbeifahren konnten, ohne dabei Fußgänger zu behindern. An alle anderen Wege „vtherhalve de drey […] Landtwege vp Ruigen“ waren geringere Anforderungen gestellt, sie sollten nur neun Fuß breit sein. Für den Unterhalt der alten Landwege mussten die Benutzer einen sogenannten „billigen Pfennig“, gewissermaßen eine frühe Maut, zahlen.
Jahre später, im Zusammenhang mit dem Bau neuer, durch das Land und die Kommunalbehörden finanzierter Straßen, wurden dafür in Preußen ab 1796 an den „Kunststraßen“ (Chausseen) Chausseewärter in entsprechenden Häusern stationiert. Die Pläne für die „genormten“ Chausseehäuser hatte Schinkel erstellt. Zu erkennen ist das freilich nur noch an den jenen von Dolgemost und Groß Schoritz.
Anfangs wurden nur reine Einnehmerhäuser gebaut, da man annahm, die Wärter würden in den nahegelegenen Dörfern wohnen. Dies erwies sich jedoch allein schon deshalb als ungünstig, als die Bewachung der Chausseegeld-Kasse auf diese Weise nicht möglich war und es folglich zu mehrfachen Einbrüchen kam.
Die Straße vor den Chausseehäusern wurde jeweils so lange durch einen Schlagbaum gesperrt, bis das Chausseegeld entrichtet war. Es bürgerte sich bald ein, dass unter dem zur Straße zeigenden Fenster durch ein Loch eine Kette lief, mit der der Wärter die Schranke öffnen oder schließen konnte. Das Chausseegeld kassierte er häufig in einem Lederbeutel, den er an einer langen Stange aus dem Fenster hielt.
Der Straßenbau auf Rügen hinkte dem auf dem Festland lange hinterher. Kein Wunder, dass auf dem Preußischen Urmesstischblatt von 1836/37 noch keine einzige „Kunststraße“ verzeichnet ist, sondern allenfalls „befestigte Straßen“, was jedoch auch eine „festgefahrene Sanddecke“ sein konnte.
Die erste Kunststraße entstand 1847 bis 1850 zwischen Altefähr und Bergen mit einem Abzweig von Samtens nach Garz. Sie verlief – abweichend von der alten Landstraße – nicht mehr von Ortschaft zu Ortschaft, sondern an diesen vorbei, möglichst gerade ausgerichtet. 1880 gab es auf Rügen insgesamt knapp 107 Kilometer Chausseen – freilich in unterschiedlicher Qualität.
Wenn in historischen Rügen-Reiseführern die Straßenverhältnisse auf der Insel beschrieben wurden, dann war in der Regel von ungepflasterten, unbefestigten Sandwegen und über Stock und Stein führenden Landstraßen die Rede. Selbst mit einem geschickten Kutscher und ausdauernden Pferden konnte eine Reise zur Strapaze werden. Achsbrüche und zerbrochene Räder, Umwege oder Zwangsaufenthalte wegen nicht passierbarer Abschnitte waren die Regel.
Aus Wiek ist bekannt, dass die bis 1891 sämtlich ungepflasterten Straßen teilweise so große Löcher aufwiesen, dass nach starkem Regen von der Gemeinde extra ein Mann eingestellt wurde, der „das Wasser abließ“.
Elizabeth von Arnim, die Rügen mit der Kutsche bereiste, schilderte in ihrer 1904 erstmals erschienenen Reisebeschreibung „Elizabeth auf Rügen“ den Weg nach Thiessow: „Hätten wir nicht die ganze Zeit Thiessow liegen sehen, so hätten wir den Weg verloren, denn es gibt keine Straße […]. Das Holpern war so unerträglich, daß ich schließlich ausstieg und zu Fuß ging. Für die Pferde war es schwere Arbeit und der Wagen hatte viel auszuhalten.“
Die von Arnim hätte nur einige Zeit warten müssen, denn „bestimmt gleich nach Ostern“ sollte nach einer Meldung des Rügenschen Kreis- und Anzeigeblattes vom 31. März 1904 mit dem Bau der Chaussee von Middelhagen nach Thiessow begonnen werden. So war es dann auch. Auf Druck des damaligen Pächters von Gut Philippshagen, Amtsrat Schlieff, zugleich Vorsteher des Amtsbezirks Mönchgut und Abgeordneter des Rügenschen Kreistages, hatte der Kreistag den Chausseebau beschlossen, der 1907 beendet wurde. Die Beschaffung des erforderlichen Materials muss einige Schwierigkeiten bereitet haben. Das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt vom 15. Juni 1904 berichtete, man habe „eine alte Kirchhofsmauer[…] angekauft […], wovon die Steine benutzt werden“. Um Steine zu sparen, wurde wie bei anderen Straßen auch nicht die gesamte Straßenbreite gepflastert, sondern nur ein drei bis vier Meter breites Stück Fahrbreite, links und rechts davon schloss sich der so genannte Sommerweg an. Dieser wurde gern von Pferdefuhrwerken genutzt, da er vor allem den unbeschlagenen Pferden den harten Pflasterweg ersparte und die meist mit eisenbeschlagenen Rädern versehenen Wagen weniger heftig rumpelten.
Einen unkonventionellen Belag muss die heutige Asphaltstraße von Göhren nach Lobbe einst gehabt haben: Der damals unbefestigte Straßenabschnitt am Südstrand wurde vom Wind immer wieder so stark mit Sand zugeweht, dass die Fuhrwerke Schwierigkeiten hatten, durchzukommen. Man kippte deshalb kurzerhand alle möglichen Abfälle ab, mit denen ein Gemeindearbeiter dann den Weg planierte. Unter den Einheimischen hieß die Straße deshalb „Blechdosenallee“.
1908, am 10. Dezember, berichtete das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt über Beschwerden den Weg zwischen Lauterbach und Vilmnitz betreffend. Vor allem im Winter „können die Pferde kaum den leeren Wagen von der Stelle bewegen. Es ist vorgekommen, daß sich Leichenwagen fest fuhren, so daß die Leidtragenden ihn durch Schieben wieder losbringen mußten“.
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