23. Jahrgang | Nummer 26 | 21. Dezember 2020

Sprache

von Stephan Wohanka

Im Blättchen geht es immer mal wieder um „Sprache“; ha – das Blättchen ist Sprache! Immer in ihrer Zeit; die Autoren der Weltbühne schrieben anders als wir heutigen. Trotz dieser Andersartigkeit bildet Sprache eine historische Spur, eine Art sich fortschreibendes Archiv. So „wandelt“ die Sprache durch die Zeiten, stets andere Bedeutungen, andere Stimmungen, Sinne an- respektive aufnehmend. Täuscht der Eindruck, dass Sprache seit geraumer Zeit etwas aus der „Spur“ gerät? Sie verändert sich, natürlich, aber doch in Teilen zwanghaft, gekünstelt, unnatürlich …

Aus dem Bundesfamilienministerium – Kanada folgend – kam der Vorschlag, die Nationalhymne zu „entmännlichen“, um nicht „entmannen“ zu sagen: Aus „brüderlich mit Herz und Hand“ sollte „couragiert mit Herz und Hand“ werden und aus „Vaterland“ „Heimatland“. Heute geht es um Binnen-I, Gendersternchen einschließlich gesprochener Lücke, und Frauen werden schon mal als „Gästin“ angekündigt. Linguistische Gourmets des Berliner Senats sind bemüht, das Sprachen-Menü zu bereichern: „Menschen mit Migrationshintergrund“ sollten zu „Menschen mit internationaler Geschichte“ werden und statt vom „Schwarzfahren“ spräche man besser vom „Fahren ohne gültigen Fahrschein“.

Hinter dieser Forderung stehen tatsächlich marginalisierte, diskriminierte oder sich so fühlende Gruppen, denn „Sprache konstituiert unser Denken und unsere Gefühle“ gegenüber diesen Gruppen; mehr noch – „vor der Gewalt“ ihnen gegenüber „kommt die Sprache.“ Drastisch. So experimentiert man in der Sprachwissenschaft, aber eben auch bei Behörden, um über Sprache Diskriminierung zurückzudrängen. Männer „sehen ihre Vormachtstellung durch den inflationären Gebrauch von ein paar Sonderzeichen nicht bedroht“, so die Ethnologin Ingrid Thurner. Und der „Gender-Pay-Gap“ liegt seit 25 Jahren ziemlich konstant bei rund 20 Prozent …

Dass Diskriminierten die Diskriminierung genommen werden muss, ist völlig unstrittig. Dass es hierzulande üblen Rassismus gibt, ist erwiesen. Gut und richtig ist es daher, dass heute zumindest seriöse Medien und die offizielle politische Sprache auf provokante Metaphern wie „Das Boot ist voll“ und „Kinder statt Inder“, wie seinerzeit während der Debatte um die Asylgesetzgebung verbreitet, verzichten. Die rassistischen Vorurteile und Diskriminierung gründen weniger auf Vorstellungen von der Überlegenheit der weißen „Rasse“, sondern stärker auf irrigen Vorstellungen von Nation, Ethnizität, habituellen Unterschieden und Unvereinbarkeiten; sie sind kulturelle Phänomene. Sie mit Wahrnehmungsmustern, das heißt Sprachmustern dekonstruieren zu wollen, die sich um die inkriminierten Begrifflichkeiten „ärmer“ machen oder schon gemacht haben, ist nicht schlüssig. Man muss Sprache sprechen (können), um mit ihr umgehen zu können.

Da die bisherige Umschreibung der Sprache, die Vermeidung des „N-Wortes“ oder auch das „Gendern“ keine wirklichen Fortschritte in der Sache brachten, sondern nur die Fronten verhärteten, ist es offenbar genau umgekehrt: Wäre es uns in gemeinsamer politisch-zivilgesellschaftlicher Anstrengung schon gelungen, die Wirklichkeit so weit zu verändern, dass rassistische und anderweitige Diskriminierungen tatsächlich ausgeräumt oder wenigstens zurückgedrängt wären, störten wir uns gar nicht mehr am generischen Maskulinum, am „Negerkönig“, am „Zigeunerbaron“. Es wären Reminiszenzen an eine – gemeinsam – überwundene Zeit. Dass dabei der deutenden und aufklärenden Sprache eine fundamentale Rolle zukäme, wurde angedeutet; eine Sprache reicher auch um neue Begrifflichkeiten, jedoch ohne Verbote. Die „bösen“ Wörter verlören sich und ihre herabsetzende Intonation dann über die Zeit von ganz alleine …

In der linguistischen Debatte wird auf die DDR verwiesen, da dort das generische Maskulinum durch die „als Dreher“ arbeitende Frau faktisch als geschlechtsneutral wahrgenommen wurde.

Gruppen, die hierzulande in der Rassismusdebatte aktiv sind, bedienen sich englischsprachiger Bezeichnungen respektive Namen: Decolonize, PoC (Person oder People of Color), die Webseite „tearthis-down“, Critical-Whiteness-Training, Black History Month, Ethnic Monitoring. Misst man diesen Diskurs an seiner eigenen Radikalität, mutet es geradezu grotesk an, mit Hilfe von aus dem Englischen geklaubten Versatzstücken Rassismus und deutsche Kolonialgeschichte aufarbeiten zu wollen. Damit wird die aus dem Kolonialismus des einstigen britischen Empire resultierende angelsächsische Kulturhegemonie über die Sprache perpetuiert. Auch die starke Orientierung an US-amerikanischen Vorbildern zeugt davon: Viele Afrodeutsche lehnen danach den Begriff „farbig“ ab – was bedeutet aber PoC anderes? Die Erklärungsansätze sind wenig überzeugend.

Die VerfechterInnen – jetzt schreibe ich das mal so – der „neuen“ Sprache meinen, es gäbe gar nicht so etwas wie ein biologisches Geschlecht, sondern wenn man „Frau“ sage, sei das schon ein patriarchales Konstrukt und impliziere Sexismus und mangelnde Gleichheit. Wenn jedoch in der „feministischen“ Debatte gefordert wird, Bezeichnungen zu finden, die für die geschlechtliche Differenz, also für „die“ Frau und für „den“ Mann, und auch noch für „Diverse“, stünden, dann ist das ein Widerspruch, der kaum benannt wird; fällt er Feministinnen gar nicht auf? Geschlechtergerechte Sprache befestigt das Geschlecht als soziale Kategorie.

Gleichgültig, ob sich Sprachbereinigung oder -schöpfung aus feministischer Linguistik oder aus rassismuskritischer Quelle speisen, ihnen droht über kurz oder lang das, was sprachwissenschaftlich als „Euphemismus-Tretmühle“ bezeichnet wird. Will sagen, dass jeder Euphemismus, also jedes neue, die Gegebenheiten beschönigende Wort irgendwann die negative Aufladung seines Vorgängerausdrucks, den es ersetzte, annehmen wird, solange sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht veränderten. Sie knüpft an die oben schon besprochene Dialektik zwischen Realität und Sprache an.

Wir haben es mit einer Logik der Steigerungen zu tun: Vor nicht allzu langer Zeit wurden alle Menschen mit „Bürger“, also dem generischen Maskulinum, angesprochen, später mit „Bürgerinnen“ und „Bürger“ entsprechend ihrem biologischen Geschlecht und heute wird die Forderung laut, die „dritten Geschlechter“, also die sich geschlechtlich als „divers“, „nichtbinäre“ oder „genderqueer“ Bezeichnenden, ebenfalls zu nennen. Es wird immer Gruppen geben, die sich in der Sprache nicht richtig abgebildet fühlen – und viele, wenn nicht alle wollen auch angesprochen werden. Erste Gerichtsurteile liegen vor, wonach Personen – gegenteilig – verlangen können, „geschlechtsneutral angesprochen zu werden.“ Wo ist das Ende? Auch ethnische Minderheiten wurden und werden, um negative Assoziationen zu vermeiden, mit neuen Begriffen bedacht; diese waren teilweise schon vor ihrer endgültigen Akzeptanz in ihrer beschönigenden Absicht verschlissen: „Neger“ wurden zu „Schwarzen“ und diese nun zu „PoC“; schon vergessen? Siehe oben.

Die über Sprache ausgetragenen Kulturkämpfe um bekennende Identitäten bewirken in der Tendenz, dass die Gesellschaft in Segmente immer enger gefasster Ichs zerfasert, was die Möglichkeiten zu kollektivem Denken und Handeln für eine wirklich gleichberechtigte, nicht diskriminierende Gesellschaft bedroht. Diese fällt aus der Höhe komplexer Strukturen wieder zurück in viele Nebeneinander; erstere sind aber gerade zur Wahrung gesellschaftlicher Vielfalt und zum Schutz der „Ichs“ unabdingbar!

Natürlich sind auch Rechtspopulisten sprachbildend aktiv: „alimentierte Messermänner“, „Kopftuchmädchen.“ Ihr Metier ist eher die Sprachverrohung und Trivialisierung politischer Kontexte; zudem wollen sie „Sagbarkeitsfelder“ erweitern und so eine vermehrte Akzeptanz gegenüber extremistischen Werten und Vorstellungen erzeugen. Das darzulegen wäre ein eigener Text …

Ein Verdacht zum Schluss – wird vielleicht „gegendert“, um die diskriminierende Praxis nicht abschaffen zu müssen? Denn Sprache habe Macht; Macht, Realität zu verändern oder zu zementieren.