23. Jahrgang | Nummer 26 | 21. Dezember 2020

Raureif in Giverny

von Renate Hoffmann

Am 3. Mai 1883 bezogen Claude Monet und die Familie das rosafarbene Haus mit den grauen Fensterläden (die bald eine grüne Farbe erhielten) in Giverny. Eine kleine Ortschaft, wenige Kilometer entfernt von Vernon in der Normandie; gelegen im Flusstal der Epte, die unweit in die Seine mündet.

Giverny. „Die Fülle, die ich erreicht, entstammt der Natur, der Quelle meiner Inspiration. Ich bin ganz verzaubert. Giverny ist für mich ein herrliches Land.“ Diese tiefe innere Bindung des Malers an den Ort und seine Umgebung verblieb ihm bis ans Ende der Tage. Dreiundvierzig Jahre lang.

Die Seine. Der Maler und der Fluss. In Le Havre geboren und aufgewachsen, in Argenteuil, Vétheuil und Poissy, den Städten an der Seine, gewohnt und gelebt. Dem Element Wasser galt Monets Vorliebe. Ob Teich, ob Strom oder das Meer. Inspirierte ihn der Blick auf den Hafen in Le Havre zum Bild („Impression, le soleil levant“), welches der neuen Kunstrichtung den Namen gab, so war es das Leben auf und an den Ufern der Seine, das ihn nicht losließ. „Fischer auf der Seine in Poissy“; „Das Atelierboot auf der Seine“; „Die Seine bei Argenteuil“; „Sonnenuntergang an der Seine“; „Frühling an der Seine“, und weitere Bildmotive mit dem Fluss. „Die Seine, mein ganzes Leben habe ich sie gemalt, zu jeder Tageszeit, zu jeder Jahreszeit. Von Paris bis zum Meer. Ich wurde ihrer nie müde. Sie ist für mich immer wieder neu.“

Das Bild. „Raureif in Giverny“, 1885, Öl auf Leinwand, 54 x 71 cm. Ich sah es in der Frühjahrsausstellung des Potsdamer Museums Barberini: „Monet. Orte.“ Es befand sich in einer Gruppe von Gemälden, betitelt: „Variationen in Weiß. Die Seine im Winter.“ Und ich erkor es unter den mehr als hundert „Monets“ zu meinem Lieblingsbild. – Eine weite Auenlandschaft im Frühlicht. Bäume und hohes Buschwerk sind von Reif überzogen. Auf den Wiesen liegt Schnee, hier und da unterbrochen vom Braun des sumpfigen Untergrunds. Feiner Dunst steigt vom Wasser auf und verleiht der Morgenstimmung feenhafte Züge. Das zarte Rosé der Wintersonne, die schon zu ahnen ist, verliert sich im fahlen Gelbgrau des Himmels. Und durchsichtiges helles Blau, in Tönen abgestuft, verbreitet Morgenkühle. Zwei Männer erwarten den Sonnenaufgang und stehen ergriffen vor der Schönheit des winterlichen Bildes. – Man hört von fernher einen Krähenschrei und das Klirren des Frostes, atmet die reine Winterluft und spürt den Hauch der kalten Jahreszeit. – Ruhe liegt über dem Land, das Monet verzauberte. Sie überträgt sich auf den Betrachter.