372 Plakate und Entwürfe des Malers, Grafikers und Bühnenbildners Josef Fenneker kann man in einer Online-Ausstellung der Deutschen Kinemathek bestaunen. 372 mal Drama, Liebe, Lust, Leidenschaft, Tod und Verderben. Mit einem Reigen an Stummfilmstars wie zum Beispiel Asta Nielsen oder Conrad Veidt, die im Reich des Schön-Schaurigen an großen Gesten alles geben. Ein melodramatisches Universum, klaustrophobisch, mit einer deutlich reduzierten oder nicht mehr vorhandenen Farbigkeit, eigentlich kongenial zu der Realität der Zeit nach dem Tod bringenden Ersten Weltkrieg. Doch auch zur Sensation hochstilisiert, zum Amüsement für ein mittlerweile wieder vergnügungssüchtiges und zahlungskräftiges Publikum, das, während es noch wie hypnotisiert auf die Filmplakate starrte, den Geldbeutel zückte, um den Eintrittspreis für den Stummfilm mit seinem Lieblingsstar im Berliner Marmorhaus am Kurfürstendamm Nr. 236 zu entrichten. Es flüchtete sich für kurze Zeit in eine Düsternis, der es gerade entkommen war, zelebrierte dann aber erneut das Überleben, atmete auf, denn denen da auf der Leinwand ging es doch bedeutend schlechter als ihm und der Weg in den Abgrund war nicht mehr aufzuhalten. Was die Stars aber auch alles so erlebten! Darauf einen Schluck Champagner!
Besonders Dramen und Tragödien waren am Anfang der 1920er Jahre der große Hit, vor allem Frauen rissen auf Fennekers Plakaten die schwarz umrandeten Augen so weit auf, bis sie fast zu zerplatzen drohten. Dass es zumeist die Damen waren, die da dem Verderben entgegen taumelten, fällt auf, doch Fenneker war nur der Auftrag Ausführende, nicht der originäre Vollstrecker. Da schlürfte 1921 so eine „Verderbte“ einen Cocktail, doch der Totenkopf im Frack, der neben ihr herumlungerte, ließ an dem Filmtitel „Das neue Paradies“ doch ziemliche Zweifel aufkommen. Auch auf „Schloss Vogelöd“ unter der Regie von Friedrich Wilhelm Murnau, wurde visuell eine Lady bedrängt, diesmal von einer rätselhaften Erscheinung mit Zipfelmütze. Carola Toelle litt überzeugend in „Kämpfende Herzen“, während Liane Haid sich als „Lady Hamilton“ verängstigt an den sinistren Conrad Veidt schmiegte. Der geduckten Postur nach zu urteilen, hatte auch Hedda Vernon im „Frauenhaus von Brescìa“ ein Problem, dabei sandte sie durch ihre entblößten Schultern auch erotische Signale aus, wie so viele der Plakatfrauen Fennekers. „Entgleist“ war die Heroine aus „Die nicht arbeiten wollen“ nach dem Roman des damals sehr populären Kriminalschriftstellers Hans Hyan. Und da war auch noch „Die Minderjährige“ als Teil eines „Großstadtbilds in 6 Akten“. Keck und kess mit ungewohnter Farbigkeit ließ sie auf Amüsement schließen, das jedoch von äußerst zweifelhafter Natur war.
Siegbert Goldschmidt, von 1919 bis 1924 der Direktor des Marmorhauses, hatte derweil gut Lachen, klingelten die Kassen doch jeden Abend äußerst zuverlässig. Mit Josef Fenneker hatte er den idealen Künstler gefunden, der die cineastischen Sujets mit sicherem Gespür kongenial und stilsicher umsetzte. Sie wurden zum prägnanten Markenzeichen mit hohem Wiedererkennungswert für sein Marmorhaus – und das immer gemäß seinem Motto: „Es gilt, die Idee des Films, seine Art und Atmosphäre so stark zu empfinden, damit es möglich wird, diese in einen Plakatentwurf zu übersetzen“.
An Fennekers Arbeiten lassen sich temporäre kulturelle und gesellschaftliche Modeströmungen der frühen Weimarer Republik ablesen, zumal es damals kaum ein Magazin gab, in dem seine Arbeiten nicht zu finden waren, allen voran die Berliner Leben, die den angeblich perfekten „Lifestyle“ der „Reichen und Schönen“ idealisierte. Ob nun beispielsweise der „Apachentanz“ – „Apachen“ waren Berliner Kleinkriminelle, die angeblich auf einmal erotisch sein sollten –, dem damals im Friedrichstadt-Palais gehuldigt wurde, oder Modellhutausstellungen für das Warenhaus Hermann Tietz. Kein Thema war zu skurril, Fenneker verewigte auch den Esoterik-Boom, als Hellseher wie Erik Jan Hanussen mal wieder schwer in Mode waren und in Büchern „Aus dem Jenseits“ berichtet wurde. Beworben wurden aber auch heute unmögliche Menschenausstellungen, wie die eines John Hagenbeck.
Josef Fenneker, der am 6. Dezember 1895 in Bocholt als Sohn eines Kolonialwarenhändlers zur Welt kam, hatte sein Handwerk in der Klasse für grafische Kunst und Buchkunst am Berliner Kunstgewerbemuseum erlernt und wurde der Meisterschüler des Porträtmalers Emil Orlik. 1918 war er nach Berlin übergesiedelt, wo die Ufa ihn im August desselben Jahres als Propaganda-Zeichner engagierte. Er kreierte innerhalb eines halben Jahres 40 Filmplakate und erregte damit große Aufmerksamkeit. So auch die von Siegbert Goldschmidt, der ihn in der Folge die Plakate der bei ihm gezeigten Filme malen und dann im Lithografieverfahren herstellen ließ. Dabei fand Fenneker aber auch noch Zeit für größere Dekorationsarbeiten und übernahm unter anderem die malerische Ausgestaltung des „Theater am Moritzplatz“ und die Renovierung der „Kant-Lichtspiele“, woraufhin die Presse begeistert jubelte, dass er einen „Märchenzauber“ geschaffen habe.
Der größte Auftrag folgte schnell. Für den 1920 neu zu eröffnenden „Luna-Park“, der 1904 geschlossen worden war, hatte man ihn dazu auserkoren, das äußere Gesamtbild zu modernisieren und die alljährlichen Achterbahnkulissen zu gestalten. Das Ergebnis: „ein gelungenes Stück moderner Dekorationskunst“, wie die Berliner Zeitung am Mittag über die neue Bemalung des Jahres 1922 schrieb.
Doch die Ära Goldschmidt im Marmorhaus ging am 4. November 1924 zu Ende, als „Gerichtsvollzieher, Polizei und Boxer“ zwecks Zwangsräumung anrückten, worüber der Kinokenner Hanns Brodnitz 1933 in der Veröffentlichung Kino Intim berichten sollte. Goldschmidt, der „König des Vergnügungslebens“, wie Brodnitz ihn einst bezeichnet hatte, war aus verschiedenen Gründen gescheitert: Krankheit, Verschwendungssucht, Vertragsverletzungen gegenüber der Ufa sowie Mietrückstände. 1938 starb er in Charlottenburg an einem Schlaganfall.
Fenneker wandte sich verstärkt anderen kreativen Aufgaben zu. 1927 konnte er für die Mitarbeit an dem Film „Dirnentragödie“ mit Asta Nielsen nach dem Drehbuch von Ruth Goetz und dem (Kriminal-)Schriftsteller und Lyriker Leo Heller gewonnen werden, und wieder erhielt Fenneker einen lukrativen Folgeauftrag, diesmal als Gesamtausstatter der legendären Revuen von Hermann Haller im Berliner Admiralspalast. Die Zeit der großen Düsternis in seinen Werken war da bereits Geschichte, kehrte dann aber ab 1933 real in geballter Ladung zurück. Als Theaterausstatter in Duisburg, ab 1938 am Berliner Schillertheater und als letzte Station an den Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main konnte Fenneker während der NS-Zeit erfolgreich weiter arbeiten. Er hatte sich mit dem neuen Regime arrangiert. Die zumeist expressionistischen Arbeiten gehörten endgültig der Vergangenheit an, und auch die Sujets hatten sich gewandelt: starke Helden, Musik- und Heimatfilme, Spione, und Abenteuer waren nun gefragt.
Die Ergebnisse der traumwandlerischen Sicherheit, mit der Fenneker die mitunter skurrilen und exotischen Filmsujets der frühen Weimarer Republik auf die Plakate bannte, sind heute ein fulminanter Augenschmaus. Sie spiegeln auch den Zeitgeist vieler – bei weitem nicht aller – Menschen wider, wobei Fenneker dabei genau die Waage zwischen kunstvoll, düster, elegant und stilvoll hielt. Am 9. Januar 1956 ist der Künstler in Frankfurt am Main gestorben.
Schlagwörter: Bettina Müller, Deutsche Kinemathek, Filmplakate, Josef Fenneker