23. Jahrgang | Nummer 24 | 23. November 2020

Vorwärts in den Indo-Pazifik!

von Jerry Sommer

Im September veröffentlichte die Bundesregierung erstmals Leitlinien für eine deutsche Indo-Pazifik-Politik. Als Indo-Pazifik wird der gesamte Raum zwischen Indien und China sowie Australien und den USA definiert. Hauptsächlich geht es aber um eine deutsche Asien-Politik. In den Leitlinien werden alle Politikfelder von der Wirtschaft bis zu Kultur und Bildung angesprochen – auch die Rolle der Bundeswehr soll sich ändern.

Dazu heißt es in den Leitlinien: „Die Bundesregierung wird ihr sicherheitspolitisches Engagement im Indo-Pazifik ausweiten […] die sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation in der Region mit ihren Partnern ausbauen. Dies kann die Teilnahme an sicherheitspolitischen Foren, die Teilnahme an Übungen in der Region […], die Entsendung von Verbindungsoffizieren sowie verschiedene Formen maritimer Präsenz umfassen.“

Maritime Präsenz – das heißt, die Deutsche Marine soll in der Region operieren. Bisher geplant ist ein fünfmonatiger Einsatz der Fregatte „Hamburg“. Ursprünglich sollte es schon im Mai losgehen. Vorgesehen war, dass die Fregatte mit französischen Kriegsschiffen im Indischen Ozean an einer Übung teilnimmt und anschließend Hafenbesuche absolviert, unter anderem in Australien. Wegen Corona wurde dieser Einsatz abgesagt, er soll aber im nächsten Jahr nachgeholt werden.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer will damit ein „Signal“ senden – nämlich, dass Deutschland sich für Sicherheit und Stabilität in der Region einsetzt. Garima Mohan vom Berliner Büro der US-amerikanischen Stiftung „German Marshall Fund“ begrüßt diese Entwicklung: „Der Indo-Pazifik ist sehr wichtig für Deutschland wie für Europa. Aber bisher verließ man sich auf andere Staaten, um die Stabilität und Sicherheit der Seewege zu gewährleisten, durch die die Exporte transportiert werden. Die Leitlinien sprechen von Sicherheitskooperationen in Bezug auf Lastenteilung, und die Marine soll vor allem als ein Mittel der Diplomatie eingesetzt werden.“

Die militärische Zusammenarbeit mit sogenannten gleichgesinnten Staaten soll verstärkt und Verbindungsoffiziere sollen unter anderem in asiatische Organisationen entsandt werden, um bessere militärische Informationen aus der Region zu erhalten. Auch wird überlegt, deutsche Marineoffiziere auf australische Kriegsschiffe abzukommandieren.

Das militärische Engagement Deutschlands soll sich – wie die Leitlinien insgesamt – zwar nicht gegen einen bestimmten Staat richten. Ausdrücklich heißt es in den Leitlinien, dass die Bundesregierung „Eindämmungs- und Entkoppelungsstrategien für nicht zielführend“ hält. Solche Strategien hat die Regierung Donald Trumps gegenüber China verfolgt. Auch für Joe Biden ist China ein geopolitischer Gegner, und er dürfte ebenfalls daran interessiert sein, dass Deutschland die USA-Politik gegenüber China unterstützt.

Eine stärkere deutsche Militärpräsenz in der Region sei notwendig, um eigene und europäische Interessen an einer „regelbasierten Ordnung“ zu unterstreichen, meint Patrick Köllner, Direktor des Hamburger GIGA-Instituts für Asien-Studien. Insbesondere könnte Deutschland so dazu beitragen, die Gebietsansprüche Chinas im Südchinesischen Meer zurückzuweisen, wo Peking mehrere umstrittene kleine Inseln aufgeschüttet und militärisch gesichert hat. „Hier kann in der Tat dann eine verstärkte Präsenz in dem Raum wichtig sein, um insbesondere das Signal zu senden, dass das Seerechtsabkommen von 1982 von besonderer Bedeutung ist und dass die entsprechenden Akteure in der Region eben auch daran erinnert werden, dass diese multilateralen Strukturen, diese Rechtsform, von besonderer Bedeutung für die Bundesrepublik sind“, erklärt Köllner. Das Internationale Schiedsgericht in Den Haag hat die Gebietsansprüche Pekings im Südchinesischen Meer auf der Basis dieses Seerechtsabkommens zurückgewiesen. Allerdings akzeptiert China das Urteil nicht – und die USA sind dem Abkommen nicht beigetreten.

Bisherige Planungen des deutschen Verteidigungsministeriums sehen jedoch nur eine militärische Präsenz im Indischen Ozean vor, also fern von den umstrittenen Zonen im Südchinesischen Meer und der Straße von Taiwan. Deutsche Einsätze in diesen konfliktträchtigen Gebieten könnten aber durchaus sinnvoll sein, meint Patrick Köllner: „Man muss diese nicht unbedingt wie die Amerikaner als ‚Freedom of Navigation Operations‘ bezeichnen. Es geht einfach darum – wie das auch das Abkommen von 1982 ermöglicht – innerhalb von 200-Meilen-Zonen zu operieren. Dies muss möglich sein. Und das wird durch das Flagge Zeigen – eben auch durch eine Fregatte meinetwegen nur – gezeigt.“ Wegen der beschränkten deutschen Kapazitäten wären allerdings gemeinsame Marineaktivitäten mit anderen europäischen Partnern zu bevorzugen, glaubt Köllner.

Das sieht Michael Staack von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg anders. Zum einen wären weder deutsche noch kombinierte deutsch-französisch-britische Marinekapazitäten in der Lage, das militärische Kräfteverhältnis dort wesentlich zu verändern. Und politisch könnte eine deutsche militärische Präsenz im Südchinesischen Meer oder in der Straße von Taiwan – statt eine regelbasierte Ordnung zu fördern – sogar Schaden anrichten, warnt Staack: „China wird das nicht beeindrucken. Es wird die Beziehungen zu China weiter komplizieren. Was allerdings wichtiger ist: Es wird insgesamt die diplomatischen Beziehungen und die diplomatischen Bemühungen um Lösungen im Sinne der kooperativen Sicherheit, das heißt – was auch in den Leitlinien ja als Ziel festgelegt ist – gemeinsam mit dem südostasiatischen Staatenverband ASEAN Lösungen zu finden, das wird es doch erheblich komplizieren.“

Die ASEAN befindet sich in schwierigen Verhandlungen mit China, die das Ziel haben, einen „Verhaltenskodex“ für das Südchinesische Meer zu vereinbaren. Eine militärische Präsenz Deutschlands oder anderer EU-Staaten in der Gegend hat die ASEAN jedoch nicht verlangt.

In der Region dreht sich die Aufrüstungsspirale schon jetzt zunehmend schneller – vor allem zwischen China und den USA. Daran wird wohl auch ein Präsident Joe Biden wenig ändern. Vor diesem Hintergrund kritisiert Jürgen Wagner von der „Informationsstelle Militarisierung“ in Tübingen die angestrebte stärkere deutsche Militärpräsenz im Indo-Pazifik: „In einer Region mit zahlreichen Regionalkonflikten braucht es andere politische Ansätze als dem Glauben anzuhängen, mit einer Militärpräsenz könne man hier in irgendeiner Weise Verbesserungen der Lage herbeiführen anstatt zu versuchen über diplomatische Initiativen, über vertrauensbildende Maßnahmen etc. Konfliktvermeidungsstrategien zu fahren. Ich bin relativ sicher, dass eine zusätzliche militärische Präsenz deutscherseits die allgemeinen Rüstungsdynamiken in der Region weiter verschärfen wird.“

Die Bundesregierung wie auch die Deutsche Marine begründen die Notwendigkeit verstärkter deutscher Militärpräsenz im Indo-Pazifik unter anderem mit dem Hinweis, für die Exportnation Deutschland seien freie und sichere Seewege besonders wichtig. Und die seien bedroht – insbesondere durch China. Doch eine solche Bedrohung erkennt Michael Staack nicht: „China bezieht ja einen großen Teil seiner Energieressourcen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Voraussetzung dafür ist, dass die Seewege in der Region offen bleiben. China ist weiterhin an der Offenheit seiner sogenannten maritimen Seidenstraße interessiert.“ Das heiße, für China gebe es eigentlich keine Gründe, die Seewege zu unterbrechen.

Die Bundeswehr plant einen sehr niedrigschwelligen Einstieg im Indo-Pazifik. Wie sich die Marinepräsenz in der Region allerdings mittel- und langfristig entwickeln wird, bleibt offen. Zu erwarten ist, dass Kräfte in EU und NATO den deutschen Vorstoß nutzen, um den Druck für größeres militärisches Engagement im Indo-Pazifik zu erhöhen. Für die Deutsche Marine dürften die Leitlinien der Bundesregierung ebenfalls ein willkommener Anlass sein, mehr Ressourcen und mehr Kriegsschiffe zu fordern. Und die Bundesregierung hofft wohl, durch stärkere Militärpräsenz im Indo-Pazifik die deutschen Rüstungsexporte ankurbeln zu können. Denn in den Leitlinien heißt es: Weitere Länder sollen je nach Bedarf in die „Ertüchtigungsinitiative“ einbezogen werden.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für die Senderreihe „Streitkräfte und Strategien“ (NDR-Info, 14.11.2020).