Die USA-Regierung hat in den vergangenen Monaten ihre konfrontative Politik gegenüber China deutlich verschärft – zumindest rhetorisch. Von hochrangigen Regierungsvertretern wurde der chinesischen Führung vorgeworfen, die „globale Vorherrschaft“ anzustreben und den „American way of live“, ja sogar das „Leben und die Existenz“ der Amerikaner zu bedrohen. Mehrere US-amerikanische Chinaexperten warnen vor den kontraproduktiven Folgen derart einseitiger und übertriebener Behauptungen – unter anderem Angehörige der neuen, interventionskritischen Denkfabrik „Quincy Institute“ in Washington. Rachel Odell ist dort Chinaexpertin. Sie glaubt, dass die gesteigerte antichinesische Rhetorik vor allem Donald Trumps Wählerbasis ansprechen soll: „Wir sehen eine Kombination verschiedener Faktoren: Die schlechten Wahlumfragen für Trump und den ökonomischen und ideologischen Nationalismus der Regierung. Sie versucht, die chinesische Gefahr zu übertreiben, um die Wahlen zu gewinnen. China stellt keine direkte militärische Bedrohung für die USA dar – nicht für unser Territorium und nicht für die Sicherheit der US-Bürger.“
Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas hat das Kräfteverhältnis in der Welt verändert. Die ökonomische und technologische Vorherrschaft der USA und ihre Rolle als alleinige Supermacht gehören der Vergangenheit an. Es gibt auch keine eindeutige militärische Überlegenheit der USA in der Region um China mehr, meint Michael Paul von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): „Die chinesische Aufrüstung hat tatsächlich zu einer Situation geführt, in der die USA ihren Verbündeten im Raum nur mehr schwer zu Hilfe kommen können. Und von daher wird natürlich das Allianzsystem und die Supermachtrolle der USA bedroht.“
Tatsächlich hat China seine militärischen Fähigkeiten im pazifischen Raum in den vergangenen Jahren erheblich ausgeweitet. Eine Handlungsfreiheit und eine Eskalationsdominanz der USA in dieser Region besteht nicht mehr. China begründet seine Aufrüstung mit der Notwendigkeit, dem Ausbau des US-Militärs in der Region etwas entgegenzusetzen. Verwiesen wird zum Beispiel auf die Stationierung von US-Raketenabwehrsystemen in Südkorea und anderen Regionen des Pazifiks. Diese Maßnahmen könnten Chinas nukleare Zweitschlagsfähigkeit bedrohen – im Falle eines Angriffs wäre Peking nicht mehr in der Lage, gegebenenfalls mit eigenen Atomwaffen zurückzuschlagen. Auch die Aufrüstung Taiwans durch die USA wird von der chinesischen Führung als Bedrohung wahrgenommen.
Der chinesische Sicherheitsexperte Tong Zhao vom Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy in Peking glaubt nicht, dass China zum Beispiel – wie das Pentagon behauptet – eine Verdoppelung seiner nuklearen Sprengköpfe anstrebt. Ohnehin würde China auch dann nur über etwa ein Zehntel des amerikanischen beziehungsweise des russischen Atomarsenals verfügen. Aber im asiatisch-pazifischen Raum sei das Ziel des chinesischen Militärs eindeutig, „die Fähigkeit zu entwickeln, die USA abzuschrecken, in der Region militärisch zu intervenieren. Das betrifft die Straße von Taiwan, das Südchinesische Meer und Teile des Ostchinesischen Meers. Hier hat China territoriale Streitigkeiten mit seinen Nachbarn.“
Sowohl die USA als auch China führen in der Region verstärkt Militärmanöver durch. China hat im Südchinesischen Meer mehrere Inseln in Besitz genommen, auf die auch andere Nachbarstaaten Anspruch erheben. Die umstrittenen Inseln sind von Peking militärisch gesichert worden. Die USA halten dieses Vorgehen für einen Verstoß gegen internationales Recht. US-Marine-Einheiten und Kampfflugzeuge patrouillieren daher regelmäßig in dem Gebiet, um zu demonstrieren, dass die chinesischen Ansprüche nicht anerkannt werden. Ein militärischer Konflikt könnte jedoch vor allem um Taiwan drohen, glaubt Rachel Odell vom Quincy Institute: „Präsident Xi Jinping macht immer wieder klar, dass sein Ziel die Wiedervereinigung ist. Allerdings ist damit nicht gemeint, dass er das jetzt mit militärischen Mitteln erreichen will. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn zum Beispiel Taiwan seine formelle Unabhängigkeit erklärt. Das würde China als Provokation ansehen. Aber die gegenwärtige Regierung in Taiwan hat gar nicht eine solche Absicht.“ Deshalb sei ein militärischer Konflikt um Taiwan derzeit sehr unwahrscheinlich, glaubt Odell.
Die Trump-Regierung setzt sich seit kurzem für den Aufbau einer Art antichinesischer Allianz im Pazifik ein – ähnlich der NATO. Tatsächlich gibt es in der Region Manöver, bei denen die USA jeweils mit indischen, australischen und japanischen Einheiten gemeinsam üben. Doch eine NATO-ähnliche Militärallianz hält SWP-Experte Michael Paul für „relativ unwahrscheinlich, weil die Interessen der Beteiligten an einer antichinesischen Ausrichtung einer derartigen Zusammenarbeit nicht identisch sind“.
Trotz territorialer Konflikte sind die Staaten der Region aus wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Gründen an guten Beziehungen sowohl zu China als auch zu den USA interessiert. Die militärische Zusammenarbeit der USA mit Partnern in der Region wird sich zwar wohl in nächster Zeit weiter verstärken. Zum Aufbau einer integrierten militärischen Allianz wird es jedoch kaum kommen.
Allerdings droht auch ohne ein formelles Militärbündnis in der Region eine weitere Aufrüstungsspirale, vermutet Tong Zhao vom Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy: „Da sich die umfassende Konkurrenz zwischen USA und China verstärkt hat, wird auch die militärische Konkurrenz zunehmen. Und damit ist die Gefahr eines Wettrüstens sehr groß. Die chinesische Regierung plant zum Beispiel im nächsten Jahr – während gleichzeitig die Sozialausgaben zurückgehen -, die Militärausgaben um sechs Prozent zu erhöhen.“
Auch der von den Demokraten dominierte Verteidigungsausschuss des USA-Kongresses hat beschlossen, den Militäretat auf 740 Milliarden Dollar zu erhöhen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das zwar eine Steigerung um nur 1,5 Prozent. Doch insgesamt geben die USA nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI fast dreimal mehr für die Rüstung aus als China. Sollte Joe Biden die Präsidentschaftswahlen gewinnen, werde sich daran nicht viel ändern, glaubt Michael Paul: „Biden wird, ähnlich wie Trump und ähnlich wie Obama, davon ausgehen, dass China ein ernsthafter Rivale geworden ist, mit dem man umzugehen hat. Und dessen Versuche, die amerikanische Vormachtstellung in der Welt zu unterminieren, werden natürlich als Bedrohung der amerikanischen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen wahrgenommen. Insofern würde es in der Substanz vermutlich weniger Unterschiede geben, sehr wohl aber in der Rhetorik.“
Mit einer anderen Rhetorik ergeben sich aber auch mehr Möglichkeiten zu einer weniger militärisch dominierten Reaktion auf die chinesische Herausforderung. Rachel Odell zum Beispiel befürwortet eine grundlegende Abkehr von dem Ziel der USA, überall in der Welt auf militärische Dominanz zu setzen. In unmittelbarer Nähe Chinas sei diese inzwischen ohnehin unrealistisch. Die Vornestationierung von Flugzeugträgern in der Region sei daher nicht sinnvoll und könnte aufgegeben werden. Eine solche grundlegende Wende würde aber auch Biden vermutlich nicht einleiten, räumt die Expertin ein. Aber sie setzt darauf, dass in der China-Politik unter einem Präsidenten Joe Biden Diplomatie und Rüstungskontrolle eine größere Rolle spielen würden. Notwendig sei ein Ende der Politik der konfrontativen und ideologisch motivierten Rhetorik. Militärische Entspannung sei zum Beispiel auf See durchaus möglich, glaubt Odell: „Wir könnten anbieten, dass wir unsere militärischen Einsätze im Süd- und Ostchinesischen Meer reduzieren, wenn China im Gegenzug dafür garantiert, dass es bei den Streitfragen dort nicht militärisch eingreift.“ Gemeint ist zum Beispiel ein Angriff auf Taiwan.
Fraglich ist allerdings, ob sich China und die USA auf solche vertrauensbildenden Maßnahmen einlassen würden. Wahrscheinlicher ist, dass sie dem bisherigen Motto treu bleiben werden. Und das lautet: mehr Sicherheit durch mehr Rüstung.
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für die Sendereihe „Streitkräfte und Strategien“ (NDR-Info, 19.09.2020).
Schlagwörter: China, Jerry Sommer, Konkurrenz, militärische Konfrontation, USA