Johnny Norden, Blättchen-Autor – 1971 bis 1973 waren Sie Kulturattaché an der DDR-Botschaft in Chile. Den Militärputsch Pinochets erlebten Sie in Santiago de Chile. Am 11. September 1973 konnte Radio Magellanes noch die berühmte Rede Präsident Salvador Allendes aus der angegriffenen Moneda ausstrahlen. Dann verstummte auch dieser letzte Sender der Unidad Popular. Der Rest ist bekannt. Nicht bekannt sein dürfte, unter welchen Umständen es gelang, die Rede Allendes im O-Ton zu retten. In der Berliner Zeitung berichteten Sie jetzt, wie Sie den Tonbandmitschnitt erhielten und außer Landes schaffen konnten. Wir danken Ihnen sehr dafür!
Jiří Menzel, tschechischer Zaubermeister – Vielen von uns sind Sie noch als Hauptdarsteller in Rainer Simons wunderbarem Märchenfilm „Sechse kommen durch die Welt“ (1972) in Erinnerung. Was in der DDR seinerzeit nur wenige wussten: In Ihrer Heimat waren Sie mit Berufsverbot belegt worden. Das durfte es ja bekanntermaßen nur im Westen geben. Ihre große antistalinistische Parabel „Lerchen am Faden“ (1969) fiel der Zensur zum Opfer. Die DEFA ermöglichte Ihnen das Weiterarbeiten. Sie blieben in Prag, spielten dort erfolgreich Theater – und machten wieder Filme. Wunderschöne Filme in der Traditionslinie des tschechischen Poetismus. Widerspenstige, störrische Filme, die voller Warmherzigkeit und immer mit einem Augenzwinkern daherkamen wie „Dörfchen, mein Dörfchen“ (1985). Wir vermissen diese Arbeiten in den Kinos sehr … Und 2006 noch einmal ein Paukenschlag: „Ich habe den englischen König bedient“, die kongeniale Verfilmung des gleichnamigen Romanes Ihres Freundes Bohumil Hrabal. Am 5. September haben Sie den Set endgültig hinter sich gelassen. Wir sind darüber sehr traurig. Es ist schon irgendwie ein „Konec starých časů“, ein Ende der alten Zeit, wie einer Ihrer Filme aus den späten Achtzigern heißt.
Jens Spahn (CDU), Immerkluger, sonst Minister – „Mit dem Wissen heute, das kann ich Ihnen sagen, müssen keine Friseure mehr schließen und kein Einzelhandel mehr schließen. Das wird nicht noch mal passieren. Wir werden nicht noch mal Besuchsverbote brauchen in den Pflegeeinrichtungen.“ Mit diesem grandiosen Lernerfolg in Sachen Covid-19-Eindämmung suchten Sie neulich in Bottrop zu glänzen. Mit Verlaub, Herr Minister, man kann angesichts der erheblichen Unsicherheiten und nicht recht überschaubarer Risiken in den ersten Wochen der Pandemie über viele Dinge streiten und manch unsinnige Festlegung noch im Nachhinein erklären, aber das Wegsperren zehntausender Menschen, denen der Kontakt zu Ihren Lieben mindestens so lebensnotwendig ist wie die tägliche Medikamentendosis, das hat in dieser Form niemand gebraucht. Das war schlichtweg unmenschlich und unchristlich sowieso. Eine einfache Entschuldigung wäre angebrachter gewesen.
Birk Meinhardt, zweimaliger Preisträger des Egon-Erwin-Kisch-Preises, des deutschen Journalismus-Oscars – Vorbemerkung: Als neufünflandstämmig ist Ihnen womöglich noch geläufig, dass die berühmte Ungarische Salami – zu DDR-Zeiten eine heiß begehrte Bückware – von dem Gerücht umwabert war, ihr unnachahmliches Aroma gehe auf einen Anteil an Eselsfleisch zurück.
Sie gehörten 20 Jahre zum schreibenden Personal der Süddeutschen Zeitung (SZ), eines Flaggschiffs altbundesdeutschen Qualitätsjournalismus, das sich Ihnen durch Praktiken entfremdete, mit denen Ihrer Auffassung nach sonst in Diktaturen Zensoren ihres Amtes obwalten. Darüber haben Sie ein Buch geschrieben, dessen Annahme der Hanser Verlag (west) verweigerte, der Verlag Das Neue Berlin (ost) hingegen nicht. Zu Ihrer SZ-Schelte wurden Sie jetzt von einem anderen Flaggschiff, der ZEIT, einvernommen. Mit dem Duktus, sich gefälligst zu schämen, dieser Art der AfD Munition zu liefern für Argumentationen wie: „Haben Sie nicht den Meinhardt gelesen? Das ist der Beweis für die Verlogenheit der Medien!“
Sie konterten mit Peter Hacks: „Meine Meinung über Salami wird, dem Esel zum Gram, leider vom Wolfe geteilt.“
Das war nicht nur sehr hübsch repliziert, sondern zugleich ein handfester Hinweis darauf, dass Hacks womöglich auch mit der Ungarischen ziemlich intim gewesen sein könnte …
Franziska Giffey (SPD), Berliner Wunschzettelschreiberin – Nachdem in den deutschen Supermärkten lange vor dem kalendarischen Herbstanfang die ersten Lebkuchenherzen und Christstollenstapel aufgetaucht sind, haben auch Sie den ersten Wunschzettel in den Briefkasten des politischen Weihnachtsmannes gesteckt: „Es wäre gut, wenn der Bereich Bauen und Stadtentwicklung in der nächsten Wahlperiode wieder bei uns verortet wird“, teilten Sie in einem Digitalen Mitgliederforum mit.
Wir dürfen Sie an die jüngsten Umfragedaten für die Berliner Landtagswahlen erinnern? CDU 21 Prozent, Grüne 19, LINKE 18 – SPD 16 … Das war im Juli 2020 (INSA). Inzwischen liegen die CDU bei 23 Prozent und ihr Verein bei 17 (Civey). Ein geflügeltes Wort empfiehlt berechtigterweise, das Fell eines Bären erst zu zerteilen, wenn er erlegt ist. Die nächste Berliner Bärenjagd findet voraussichtlich im September statt. Allerdings erst 2021 …
Heiko Maas (SPD), Indo-Pazifik-Stratege – Nahezu parallel zu der Abfuhr, die Ihnen jüngst der chinesische Außenminister Wang Yi in Berlin erteilte („Egal ob Hongkong oder Xinjiang: Beides fällt in die Kategorie china-interner Angelegenheiten. Wir wollen da keine fremde Einmischung in die chinesische Gesellschaft.“) veröffentlichte das von Ihnen geleitete Auswärtige Amt „Leitlinien zum Indo-Pazifik“: „Deutschland muss sich noch stärker mit existenziellen Sicherheitsbelangen seiner bewährten Partner auseinandersetzen, sich an der Formulierung von Antworten beteiligen und konkrete Beiträge leisten – durch Vermittlung von Erfahrung und Expertise, durch eine verantwortungsvolle Rüstungsexportkontrolle, die auch die strategische Qualität der Beziehungen zu den Ländern der Region in Rechnung stellt, durch rüstungskontrollpolitische Initiativen, aber auch durch die Beteiligung an Übungen sowie an kollektiven Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der regelbasierten Ordnung in Umsetzung von Resolutionen der Vereinten Nationen.“ So begründen Sie das Papier in der üblich-verschwiemelten Sprache der Außenpolitik. Übrigens nicht ohne mit der immer noch herrschenden europäischen Kolonialherrenmentalität eine Belehrung an die eigenwilligen Asiaten draufzusetzen: dieser Raum sei „institutionell und normativ (schwach) durchdrungen“.
Lord Seymour hatte das im Juni 1900 bündiger ausgedrückt: „The Germans to the front!“ Deutschland wird eben künftig nicht nur am Hindukusch, sondern auch auf dem Pazifik verteidigt werden müssen. Schließlich stehen wir in einer historischen Verantwortung, da war doch mal was …
Amira Mohamed Ali, halbe Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag – Nachdem Ihre Genossinnen Janine Wissler und Susanne Hennig-Welsow angekündigt hatten, Bundesvorsitzende der Partei werden zu wollen, äußerten auch Sie sich: „Ich bin der Meinung, die Parteivorsitzenden müssen das gesamte Spektrum der Partei abdecken.“ Das wäre lustig, die LINKE brauchte dazu keine Doppel- sondern mindestens eine Neunerspitze. Genauso viele – einander teils heftig befehdende – Strömungen und Plattformen sorgen derzeit dafür, dass niemand so recht weiß, wofür diese Partei eigentlich noch steht. Aber einen praktischen Sinn hätte die Sache. Der Parteivorstand wäre endgültig gelähmt. Besseres kann doch einer Fraktionsspitze nicht passieren.
Eine Situation, wie sie Sara Wagenknecht meisterte, als sie auf einer Pressekonferenz der Fraktion verhindern musste, dass sich die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger Richtung Mikrofon einfach vordrängeln, wäre künftig undenkbar. Ehe die Neun sich einigen können, sind alle Messen bis zum nächsten Wahlparteitag gesungen … Clever. Auch wir haben Sie unterschätzt.
Kate Winslet, von später Scham geschüttelte Leinwand-Größe – 2011 kam Roman Polanskys „Der Gott des Gemetzels“ in die Kinos, eine atemberaubende Verfilmung des gleichnamigen Stückes von Yasmina Reza. Als Partner von Christoph Waltz geben Sie eine großartige Nancy Cowan. Jetzt distanzieren Sie sich in einem seltsamen Blatt namens Vanity Fair von der Arbeit mit Polansky und praktischerweise gleich mit von der mit Woody Allen („Wonder Wheel“, 2017). „Wie zum Teufel kam ich dazu, mit ihnen zu arbeiten?“ – Vielleicht waren es die verlockenden Rollen? Die tollen Regisseure? Die Gier nach Ruhm? Das Honorar? In Ihrem Metier alles durchaus keine ehrenrührigen Gründe. Ansonsten möchten wir nur ganz leise daran erinnern: Anklage gegen Polansky wurde 1977 erhoben, seit 1978 gibt es den US-Haftbefehl. Sie drehten 2011 mit ihm … Die halbe Welt kannte die Story, ausgerechnet Sie nicht. Vanity Fair hat gegen Polansky übrigens noch eine Rechnung offen: 2005 musste das Blatt 50.000 britische Pfund zahlen, weil es einen Verleumdungsprozess gegen den Regisseur verloren hatte. Hat das möglicherweise irgendwie mit Ihrer späten Reue zu tun? Was soll das? Die Lust auf Ihren nächsten Film ist uns jedenfalls vergangen.
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