Einige der Berliner Dadaisten – John Heartfield, George Grosz, Hannah Höch und Raoul Hausmann – glaubten, dass man mit der Fotomontage ein wirkungsvolles Verfahren entwickeln könne, eine Art Collage aus Fotoreproduktionen, von Bildern gemacht, die man aus Zeitungen oder Illustrierten herausschnitt. Direkt aus der „unbekümmerten Alltagspsyche“ der Presse herausgenommen, aneinander oder übereinander geklebt, in einer Art, die den Überschneidungen und Überblendungen beim Filmschnitt ähnelte, sollten diese Bilder die Irrealität des Traumes mit der dokumentierten „Wahrheit“ der Fotografie vereinen.
Der aggressivste politische Gebrauch der Fotomontage findet sich im Werk John Heartfields, der sie in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren zu einem Höhepunkt politischer Ausdruckskraft steigerte wie kein anderer Künstler vor oder nach ihm. Hier entfaltete die Fotomontage eine Art Wahrheit, die kein gemaltes Bild haben konnte. Hätte Heartfield Szenen von brutaler Gewalt und sozialem Chaos gemalt, sie wären unerträglich überzogen erschienen. Nur der „Realismus“ des Fotos, sein eindeutiger Tatsachengehalt, machte seine Arbeiten glaubwürdig und bis heute unwiderlegbar.
Den Monteur Helmut Herzfeld, der sich seit 1916 aus Protest gegen den antibritischen Chauvinismus des wilhelminischen Kaiserreiches John Heartfield nannte, zeigt die Berliner Akademie der Künste gegenwärtig in einer retrospektiven Ausstellung, die alle herkömmlichen Dimensionen sprengt. Allein schon das Schaffen dieses Ausnahmekünstlers ist gewaltig, es reicht von der Buchgestaltung und Werbung über die politische Pressearbeit und Bühnenausstattung bis zur Fotografie und zum Trickfilm. Sein sich im Besitz der Akademie befindlicher Nachlass ist neu bearbeitet und digitalisiert, die Materialien aus unterschiedlichen Archivabteilungen der Akademie, die auch in einer online-Präsentation vorliegen, sind ausgewertet worden. Erstmals können deshalb das in der Akademie überlieferte filmische und akustische Material zu Heartfield, bisher nicht publizierte Interviews, Filmsequenzen und Theaterdokumentationen medial aufbereitet, Designentwürfe, Reiseskizzen, persönliche Zeugnisse sowie bisher unbekannte Inspirationsquellen aus seiner Grafik- und Ostasiatika-Sammlung präsentiert werden.
Als Buchausstatter und Werbegrafiker hat Heartfield für den zusammen mit seinem Bruder Wieland Herzfelde 1917 gegründeten Malik-Verlag gearbeitet, als Mitarbeiter für verschiedene satirische Zeitschriften, für Agitation und Propaganda der Kommunistischen Partei, als künstlerischer Leiter des Ausstattungswesens für die Reinhardt-Bühnen (1920 bis1923), für das 1919 von Piscator gegründete „Proletarische Theater“ (bis 1928), als Fotomonteur bis 1938 vor allem für die 1921 gegründete Arbeiter-Illustrierte-Zeitung aller Länder. Während des Exils in England war er als Grafiker vor allem an englischen Verlagen beschäftigt. 1950 setzte er in der DDR nach anfänglichen Schwierigkeiten – denn er kam ja aus einem westlichen Emigrationsland – seine Arbeit fort und wurde für Verlage, Theater und gesellschaftliche Organisationen tätig.
„Nach zehn Jahren. Väter und Söhne“ heißt eine seiner ersten politischen Fotomontagen aus dem Jahr 1924: Da marschieren – groß – in Reih und Glied die Skelette der gefallenen Väter vor Hindenburg auf, während im Vordergrund – klein – die Söhne, Kinder in Uniform, vorbeiziehen. Fotomontagen konnten damals nur unscharf im Offsetverfahren gedruckt werden. Deshalb entstanden sie fast nur für Buchumschläge, bis Heartfield Ende der 1920er Jahre der Kupfertiefdruck der AIZ zur Verfügung stand.
Da er aus der Berliner Dada-Bewegung der Nachkriegszeit kam, entwickelte sich seine Kunst aus anarchischer Verwirrung zu Bildern äußerster Schlichtheit und Prägnanz, die unmittelbar als politische Waffe gemeint waren. Alles in seiner Arbeit diente der politischen Botschaft, die Bilder, die Schrift und die ironische Bemühung, Aufmerksamkeit durch Schock oder Humor zu erzeugen. Heartfields Bilder vom Aufstieg und von der Etablierung des Faschismus sind von besonderem Wert, da sie das Phänomen von jedem nur vorstellbaren Blickwinkel aus angehen. Unauslöschlich wird einem diese Fotomontage von 1932 im Bewusstsein bleiben: „Millionen stehen hinter mir“ – Heartfield holt diese oft wiederholten, allen geläufigen Worte Hitlers und ein Foto des „Führers“, das ihn mit zum Gruß erhobener Hand zeigt, ins Bild, indem er, die Behauptung Hitlers beim Wort nehmend, die Blicke dorthin lenkt, wo angeblich die Massen stehen sollen – auf den riesenhaften, schweren Körper eines Mannes, dessen Hände lässig ein aufgefächertes Bündel Millionenscheine halten. Um in ihren Besitz zu gelangen, von der Macht im Hintergrund zu profitieren, hat Hitler sich anscheinend klein gemacht, er hat auch die grüßende Hand nach hinten abgewinkelt. Aus dieser Perspektive wird der „Sinn des Hitlergrußes“ – wie die Unterschrift heißt – deutlich. Der Gruß Hitlers, von Millionen übernommen und Millionen aufgezwungen, ist in der Hand des „Führers“ die Geste des ausgehaltenen Agenten des Kapitals.
„Adolf – der Übermensch“ (1932) zeigt Hitler mit geöffnetem Mund in der Pose des Redners. Worin die „übermenschlichen“ Fähigkeiten dieses Mannes mit dem Hakenkreuz an der Stelle des Herzens bestehen, macht ein Röntgenfoto des Brustkorbs einsichtig: er hat schon so viele Goldstücke geschluckt, dass sie die ganze Speiseröhre füllen und ihm bis zum Hals stehen. Aber wenn er den Mund öffnet, kommt nicht Gold, sondern Blech heraus – wie die Unterschrift des Bildes es dem Betrachter verrät.
In „Krieg und Leichen“, doppelseitig 1932 in der AIZ erschienen, ist eine Zähne bleckende Hyäne mit Zylinder und dem „Pour le mérite“, dem höchsten preußischen Kriegsorden, um den Hals (Heartfield macht ihn zum „Pour le profit“) auf einem mit Toten bedeckten Schlachtfeld zu sehen – Heartfields eindringliche Warnung vor einem kommenden Krieg. Fotomontagen wie „Nur keine Angst – er ist Vegetarier“ (1936), die Hitler mit einer blutbespritzten Schürze zeigt, wie er im Begriff ist, den gallischen Hahn zu schlachten, sind in ihrem Ausdruck schonungslos und bereiten den Boden für eine gänzlich neue Rolle des Künstlers. Der Künstler wird zum Chronisten und schafft unter Verwendung von allgemein zugänglichen Informationen und Bildern Werke, die dokumentarische Glaubwürdigkeit haben und automatisch in den Bereich der Massenkommunikation gehören.
Es sind in der Emigrationszeit dann vor allem auch Karikatur und Satire, die Darstellung des politischen Gegners als Tiergestalt, die ihrerseits die Assoziation bestimmter Charaktereigenschaften darlegt. Heartfields Montage verkleidet sich als Illustration zur Fabel, zum Märchen, zur Anekdote, verbindet sich mit deren Inhalt oder dem Signalwert ihrer Hauptfiguren, vor allem aber mit ihren didaktischen Absichten.
Wieland Herzfelde hat in seinem Buch über seinen Bruder (Dresden 1962 und 1971) darüber berichtet, dass Heartfield, als er 1951 den Auftrag bekam, den Einband einer Ausgabe Brechtscher Gedichte zu gestalten, die Vorderseite mit einem Teewurzellöwen, der im alten China als Glückstier betrachtet wurde, ausstattete. Der Entwurf wurde als formalistisch abgelehnt. Doch Brecht erdachte eigens dafür das Gedicht „Auf einen chinesischen Teewurzellöwen“, das auf die Rückseite des Umschlages gedruckt und mit einem erklärenden Hinweis versehen werden sollte. Sind Brechts Verse auf das Symboltier nicht eigentlich auch auf Heartfields engagierte Phantasie zu beziehen? „Die Schlechten fürchten deine Klaue / Die Guten freuen sich deiner Grazie. / Derlei / Hörte ich gern / Von meinem Vers.“
John Heartfield – Fotografie plus Dynamit, Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin, Di–So 11–19 Uhr, bis 23. August; Katalog 29,90 Euro in der Ausstellung. Dazu John Heartfield: Das Berliner Adressbuch 1950–1968, Quintus Verlag, 2020, 200 Seiten, 18,00 Euro.
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