23. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2020

Herr der „Blauen Blume“

von Renate Hoffmann

Was mich für ihn einnahm, war die Verbindung zwischen exakter Wissenschaft und feingestimmter Dichtung. Er studierte Jura und Bergbau mit besten Ergebnissen – und fand die „Blaue Blume“ der Romantik, eines ihrer Symbole. Gegenseitige Befruchtung. Fortschritt in der Wissenschaft gelingt nicht ohne Fantasie, und poetisches Schaffen benötigt auch Disziplin im Denken.

Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772–1801), Schriftsteller, Lyriker, Philosoph, der sich später Novalis nannte, das meint „Neuland Bestellender.“ – Friedrich Schlegel, lebenslanger Freund aus gemeinsamen Leipziger Tagen, beschreibt den zwanzigjährigen Hardenberg: „Ein noch sehr junger Mensch – von schlanker guter Bildung, sehr feinem Gesicht mit schwarzen Augen, von herrlichem Ausdruck wenn er mit Feuer von etwas Schönem redet.“ Und über den Dichter äußert er sich: „Seine Aussprüche schweben wie Leuchtkugeln auf in schönem Schwunge, eine sanfte Helligkeit über den dunkeln Himmel verbreitend.“ – Ricarda Huch sagt ihm nach, er besitze „Grazie und Frömmigkeit des Herzens.“ – Für Thomas Mann ist er der „Seraphiker der Poesie.“ – Und Hermann Hessse schätzt an dem „genialsten Mitbegründer der ersten romantischen Schule […] sein stilles Lächeln, seine helläugige Heiterkeit.“

Um „meinen“ Novalis zu finden, suchte ich im Schloss Oberwiederstedt nach ihm. Dort kam er an einem 2. Mai zur Welt. Die Schlossanlage gehört zum Ort Wiederstedt, und dieser liegt im südöstlichen Vorharz zwischen Tennstedt und Sandersleben.

Der schlichte Renaissancebau entstand aus einem aufgegebenen Kloster. Aus dieser Zeit ist die alte Kirche St. Marien noch erhalten. In ihr erhielt Friedrich von Hardenberg die Taufe. Ein weitläufiger Park umgibt das Schloss. Es öffnet seine Pforten dem Bekanntwerden mit dem Dichter, der Erforschung seiner Werke und seiner Zeit. – Im Hause haben ihren Sitz: Die Forschungsstätte für Frühromantik, die Novalis-Stiftung „Wege wagen mit Novalis“, die Internationale Novalis Gesellschaft und das Novalis-Museum. Was man über Friedrich von Hardenberg in Erfahrung bringen möchte, hier liegt es gebündelt vor.

Das Museum. Kühle, helle Räume, die man durchwandelt. In ihnen lebte Friedrich, Kind einer großen Familie, mit wenigen Unterbrechungen bis zum 13. Lebensjahr. Von den Geschwistern Fritz gerufen, vielbegabt, vielinteressiert und von rascher Auffassungsgabe.

Im Festsaal findet man die Familie von Hardenberg in Porträts vereint. Der gestrenge Herr Vater Heinrich Ulrich Erasmus von H., Salinendirektor in Artern, Kösen und Dürrenberg; pietistisch ausgerichtet. Er ist das regierende Oberhaupt der Familie, was auf dem Gemälde, vermutlich vom Maler Anton Graff geschaffen, auch deutlich wird. Differenzen mit dem empfindsamen Sohn sind unausbleiblich. Zuwendung und Verständnis erfährt Friedrich von der Mutter, Bernhardine Auguste von H. Eine lebenskluge, gütige Frau blickt den Besucher an. Ihr bleibt Novalis zeitlebens dankbar verbunden. „Ich weiß, daß Du es so gern siehst, wenn ich an Dich schreibe, ob ich Dich gleich versichere, daß auch gewiß sonst die Erinnerung an Dich die glücklichsten meiner Stunden macht, wenn meine Fantasie schwelgt und Dein Bild lebendig mir vorschwebt …“ Ein weiteres Porträt Bernhardines zeigt sie mit ihrem ersten Enkel, nunmehr eine in sich gekehrte, müde Frau, hat sie doch ihrem Erasmus elf Kinder geboren und großgezogen. – Die Geschwister sind zu betrachten, Voreltern, Anverwandte und das große originale, allbekannte Abbild des Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis. Künstler und Entstehungszeit sind unbekannt. Friedrich trägt einen blauen Oberrock mit roten Aufschlägen über einem weißen Chemisett. Da sind sie, die „schwarzen“, dunkelbraunen, wissbegierigen Augen, von denen der Dichterkollege Friedrich Schlegel spricht.

Im Novaliszimmer erinnert ein winziges Taufhäubchen, in feiner Nadelarbeit gefertigt, an das Kleinstkind Friedrich. – Auf einer Miniatur ist Sophie von Kühn abgebildet, seine große Liebe. Ein sehr junges Mädchen. Als er sie auf Schloss Grüningen (Kyffhäuserkreis) kennenlernte und sich mit ihr 1795 verlobte, stand sie vor ihrem 13. Geburtstag. Sophie an Friedrich (1796): „Guter Hardenberg Sehen Sie daß ich mein Versprechen halde und an Sie schreibe […] Es bleibt doch dabey das Sie nach dem Neuen Jahr kommen […] Küßen und grüßen Sie alles von mir leben Sie recht wohl. Ihre Sophie“ – Ihr Tod ein Jahr später warf Novalis in eine tiefe Krise. „Was hält noch unsre Rückkehr auf, / Die Liebsten ruhn schon lange. / Ihr Grab schließt unsern Lebenslauf. / Nun wird uns weh und bange, / Zu suchen haben wir nichts mehr – / Das Herz ist satt – die Welt ist leer.“ („Sehnsucht nach dem Tode“)

Mit Julie von Charpentier, der Silberstiftzeichnung nach, eine schöne junge Frau, verlobt er sich im Jahr 1798. An einen Bekannten scheibt er: „Sie kennen Julien Charpentier, und es wird Sie gewiß nicht wundern, daß das sanfte, bescheidene Wesen dieses liebenswürdigen Mädchens […] mir Zutraun einflößen mußte…“

Als Hommage an Novalis ist der schlanke, silberne Leuchter, geziert mit einem „Karfunkelstein“ und umgeben mit Texten des Dichters, zu verstehen. Ein kostbarer Gruß an den vollendet Unvollendeten. (Künstlerin Andrea Wippermann)

Im Park huldigt der „Blaue Garten“ der „Blauen Blume“ mit unzähligen blühenden Pflanzen in der Himmelsfarbe. – Dazu die Geschichte von dem seltsamen Gewächs: Heinrich, ein junger Mann, hat einen wundersamen Traum. „Er fand sich auf einem weichen Rasen am Rande einer Quelle, […] Was ihn mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand.,[…] Er sah nichts als die blaue Blume und betrachtete sie, lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen anfing, […] Die Blume neigte sich ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen, ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte …“ (aus dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“)

Im Rosengarten blüht, Novalis zu Ehren, die blaue Rose, die man für ihn gezüchtet hat. Er begrüßt sie ebenso zärtlich wie die „Blaue Blume“: „Dort auf den Blumenbeeten / Da wachsen Blümchen viel / Für Mädchen und Poeten / In farbigem Gewühl. // Da pflückt ich eine Rose / Die prächtig, einsam stand / Für dich du Kleine Lose / behutsam mit der Hand …“ („Bey der Überreichung einer Rose“)