Es sind, wenn es um China geht, nicht nur Alte Weiße Männer, die in Wissenschaft und Publizistik das Steinzeitgeschäft des Konfliktschürens und Feindbilderschmiedens betreiben. Auch junge weiße Frauen sind mit von der Partie. Und beileibe nicht nur in der zweiten Reihe. Die Gleichberechtigung lebt.
Zum Beispiel mit Mareike Ohlberg. Die hat – im Klappentext als „eine der profiliertesten deutschsprachigen Chinaexpertinnen“ gepriesen – gemeinsam mit dem Australier Clive Hamilton ein Buch geschrieben, das in seiner deutschen Fassung „Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet“ heißt und nicht nur solche einprägsamen Sätze über China bereit hält wie die, dass sich das Land „zum Meister der dunklen Kunst der wirtschaftlichen Hypnose gemausert“ habe, dass es „ein subtiles und mehrgleisiges Programm der globalen Meinungssteuerung“ verfolge und die KP Chinas dabei selbstverständlich „vorzugsweise im Schatten“ agiere, sondern darüber hinaus auch noch voller Weisungen an die westlichen Mitmenschen steckt. So sollten sich „Angehörige der politischen, wirtschaftlichen und Bildungseliten, die das chinesische Regime stillschweigend billigen oder aktiv unterstützen, […] der öffentlichen Auseinandersetzung und Kritik stellen müssen“, und wer immer noch glaube, dass es „vernünftig“ sei, Informationen über China „direkt aus der Quelle zu beziehen“, der werde beim Lesen ihres Buches erkennen, dass das „in Wahrheit ein schwerer Fehler“ sei. „Der Westen“, heißt es zusammenfassend, müsse „aktiv eine Verteidigungsstrategie entwickeln, die deutlich über Absichtserklärungen und Wunschdenken hinausgeht“. Die USA könnten „dem weltweit wachsenden Einfluss der KPCh nicht alleine begegnen“; alle westlichen Länder müssten „erkennen, dass ein von der KPCh beherrschtes China nicht ihr Freund sein kann und nie sein wird.“
Mit solch unverblümtem China-Bashing hat die zweite der hier Gemeinten, Christiane Heidbrink, Dozentin am Lehrstuhl für internationale Beziehungen der Universität Bonn, weniger am Hut, und trotzdem findet sie übers allfällige Konfliktdenken nicht hinaus. Ihr Text in der Nummer 8/2020 der von der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e. V. verantworteten Artikelsammlung GSP-Einblick kommt unter der Überschrift „Der Aufstieg Chinas – Konsequenzen für die Sicherheitspolitik“ sachlich daher, will weniger Stellung beziehen als Bestand aufnehmen, und frisst sich doch schon gleich im Bedrohungsdogma fest: Die „Diskussion über Chinas Machtzuwachs“ lasse sich „im Wesentlichen in vier Bedrohungsdimensionen einteilen: wirtschaftlich, militärisch, politisch und normativ“.
Immer wieder Bedrohung. Wie schon unzählige Male gelesen und gehört. Und auch schon unzählige Male mit dem Verweis auf die „Thukydides-Falle“. Irgendwer hat sich da mal im China-Zusammenhang dieses griechischen Historikers aus dem 5. Jahrhundert v.u.Z. erinnert, und jetzt muss er immer wieder ran mit seiner Aussage, wonach „der Aufstieg Athens und die Angst, die dieser bei den Spartanern hervorrief, […] den Krieg unvermeidlich werden [ließen].“ Daraus – meint Heidbrink – lasse sich „die Idee ableiten, dass aufsteigende Mächte und die daraus zwangsläufig resultierende Machtrivalität potentiell destabilisierend wirken“, und weiter: „Der Machtzuwachs fordert die etablierte Macht heraus und kann so einen präemptiven Angriff heraufbeschwören.“
So toll ist es mit diesem Thukydides. Und gleich zitiert Heidbrink den Harvard-Professor Graham Allison mit der Erkenntnis, dass es „in 12 von 16 Fällen innerhalb der letzten 500 Jahre“ zu der von Thukydides gemeinten „gewaltsamen Konfrontation zwischen der etablierten und aufsteigenden Macht“ gekommen sei. Welche konkreten Fälle gemeint sind, lässt Heidbrink leider offen. Dabei gibt es in Deutschland das schlagende Beispiel des Überfalls auf die Sowjetunion 1941 und des damit in Gang gesetzten Raub- und Vernichtungskrieges, den Hitler als „präemptiv“ verstand und propagierte. Als „Vorbeugung“ des „Etablierten“ gegen das „Aufsteigende“. Wobei er mit dem Etablierten stets nicht nur Deutschland, sondern „Europa“ meinte – „Europa“, das er schützen zu wollen vorgab gegen die je nach Bedarf „asiatisch-bolschewistischen“ oder „jüdisch-bolschewistischen Horden“.
Aber so genau will es Heidbrink nicht. Sie liebt verschwurbelte Sätze wie diesen: „Entscheidend ist, wie von Thukydides formuliert, die Angst vor der anderen Partei, wodurch ein Sicherheitsdilemma ausgelöst wird. Ein hoher Grad an wirtschaftlicher Interdependenz und offizielle Versicherungen, die eigene Macht stets defensiv einzusetzen, reichen nicht aus, um kriegerische Handlungen zu verhindern, wie die beiden Weltkriege gezeigt haben.“
Was haben die beiden Weltkriege wie gezeigt? Egal. Heidbrink begnügt sich lieber mit der Wiedergabe dieser und jener mal eher pessimistischen, mal eher optimistischen Ansicht zur näheren Zukunft; konstatiert das Fehlen eines „umfassenden Schulterschlusses der westlichen Mächte“ – und zwar sowohl „kontinentaleuropäisch“ als auch „transatlantisch“ –; bedauert, dass die EU „trotz der Bemühungen um einen einheitlichen Fußabdruck […] in vielen Belangen nicht den Stellenwert einer anerkannten Variablen in der Gleichung globaler Großmachtrivalität [besitzt]“; betont, dass China „schon lange kein Papiertiger mehr“ sei – wann ist es denn je von jemand so bezeichnet worden? War es nicht Mao Zedong, der die USA und die Sowjetunion zu „Papiertigern“ erklärt hatte? Ach, egal –; erklärt, dass „die USA und andere Westmächte schmerzlich erfahren mussten“, dass „machtpolitische Überlegenheit und effektive Interessendurchsetzung nicht gleichzusetzen“ seien – was da wohl mit „schmerzlich“ gemeint ist? –; und kommt zu dem Schluss, dass es, damit „der Ausspruch des Thukydides nicht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung“ werde , des „politischen Willens zur Erarbeitung einer tragfähigen trilateralen Vision entlang strategischer Interessen und Werte ebenso“ bedürfe „wie einer klaren europäischen Kante“. Mit „trilateral“ meint sie die USA, China und die EU. Was eine „klare europäische Kante“ sein soll, bleibt ihr Geheimnis.
Als der Zweite Weltkrieg vor 75 Jahren zu Ende ging, gründeten die Staaten zum Schutz vor Wiederholung die UNO. Weder Ohlberg noch Heidbrink verschwenden an diese Weltorganisation zur Friedenssicherung und Gestaltung weltweiter Zusammenarbeit einen einzigen Gedanken. Auch die globalen Probleme, von denen scheinbar jedes Kind schon weiß, dass sie nur in friedlichem Miteinander zu lösen sind, spielen keine Rolle. Nur von Machtkämpfen, Konflikten und Kriegen – von „klarer Kante“ eben – ist die Rede. Und wenn Heidberg sich „Trilateralität“ wünscht – wo bleiben dann Russland, Indien, Japan, Australien, Lateinamerika, Südostasien, Afrika? Und Zentralasien? Und der ganze arabische Raum? Was soll uns trilateral, wenn universal – also: menschheitlich – gefordert ist und sonst gar nichts?
Clive Hamilton, Mareike Ohlberg: Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet, Deutsche Verlagsanstalt, München 2020, 496 Seiten, 26,00 Euro.
Christiane Heidbrink: Der Aufstieg Chinas – Konsequenzen für die Sicherheitspolitik, Gesellschaft für Sicherheitspolitik e. V., GSP-Einblick 8/2020, 8 Seiten.
Schlagwörter: China, China-Bashing, Christiane Heidbrink, Mareike Ohlberg, Wolfram Adolphi