23. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2020

Erfundene Netzwerke

von Petra Erler

Die Spionageromane von John le Carre, der einst drei Jahre dem britischen MI 6 diente, wurden weltweite Bestseller. Teil der Faszination seiner Bücher ist, dass sie in der Welt der Geheimdienste spielen, die den Allermeisten verschlossen ist. Allerdings mögen es diese Dienste nicht, wenn jemand aus dem Nähkästchen plaudert. John le Carre jedenfalls geriet in Konflikt mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. 2019 hielt ihm der ehemalige Chef des MI 6, Richard Dearlove, vor, er würde in seinen Büchern nicht nur übertreiben, sondern die Dienste zunehmend ablehnen, die er beschreibe. Laut Daily Mail vom 29. September 2019 wären Carres Figuren nicht vertrauenswürdig, was Geheimdienstlern nicht passe. Heute, so die Daily Mail weiter, gibt es eine Regelung beim MI 6, wonach kein aktueller Mitarbeiter vom Wissen über konkrete Arbeitsweisen profitieren dürfe, sollte er oder sie sich je entschließen, ein Buch darüber zu schreiben.

Nicht auf der Rechnung hatte der MI 6 allerdings seinen ehemaligen Leiter der Russland- Abteilung, Christopher Steele, der aus welchen Gründen auch immer, 2009 seinen unternehmerischen Drang entdeckte und seither in der Privatwirtschaft seine Fähigkeiten entfaltet. Als Autor des „Dossiers“, das er 2016 im Auftrag der Clinton-Kampagne verfasste, wurde er weltberühmt. Die von ihm vorgetragenen Anschuldigungen wogen so schwer, dass Trump, wären sie wahr gewesen, als Verräter hätte verurteilt werden müssen.

Zum Zeitpunkt der Publikation seines „Dossiers“ galt Steele als reputierlich. Das, und der Umstand, dass US-Geheimdienste seine Arbeit für so seriös hielten, dass sie den amtierenden und den künftigen Präsidenten darüber im Januar 2017 informierten, waren die entscheidenden Begründungen für CNN und viele andere Medien, warum man Steeles „Dossier“ äußerst ernst nehmen müsste. Steele selbst warf seine berufliche Qualifikation in die Waagschale, als er mit der Mutmaßung konfrontiert wurde, er könnte russischer Desinformation aufgesessen sein, woran ein Artikel von Jane Mayer vom 26. November 2019 im The New Yorker erinnerte. Steele behauptete, er sei mit der Komplexität russischer Desinformation vertraut, da er schließlich immer damit zu tun gehabt habe. Die Idee, die russische Seite hätte ihn mit Desinformation gefüttert, wäre unlogisch.

Nach Steele waren seine Quellen „erprobt und getestet“ und es erschien so, als wären diese in Russland zu Hause, bestens vernetzt, mit direktem Zugang zu obersten Führungsgremien. Laut dem Bericht des Generalinspektors des Justizministeriums, Horowitz, hatte Steele gegenüber dem FBI die Güte seines Netzwerks auch damit begründet, dass es bereits wichtige Erkenntnisse über die russische Einmischung in europäische Angelegenheiten geliefert hätte. Daran glaubte auch Jonathan Chait, der am 13. April 2018 im New York Magazine schrieb, schließlich sei er doch von dieser pee-tape-Geschichte überzeugt, weil der solide Steele gute Quellen habe, darunter einen früheren hochrangigen Geheimdienstmann, der immer noch direkt im Kreml sei.

Seit der Veröffentlichung des Horowitz-Berichts im Dezember 2019 war klar, dass Christopher Steele für sein Machwerk nur eine Hauptquelle hatte. Diese wurde vom FBI im Januar 2017 dreimal in Washington verhört. Jetzt wurde das Protokoll dieser Verhöre öffentlich, 57 Seiten, und obwohl viel geschwärzt wurde, wurde die Quelle enttarnt. Es handelt sich um einen in den USA ansässigen Russen, der seit 2014 für Christopher Steele arbeitete. Nun kann man streiten, ob die Enttarnung der Hauptquelle beklagenswert ist oder nicht. Was sie dem FBI 2017 zu sagen hatte, ist atemberaubend. Ein professionelles Netzwerk von Steele hat es nie gegeben.

Das FBI hielt diese Quelle für „wahrhaftig und kooperativ“ und teilte das auch dem geheimen FISA-Gericht mit. Es versäumte „lediglich“ zu erwähnen, dass die Quelle eingestanden hatte, mit Hilfe einer guten Handvoll von Kumpels, Journalisten und einem unbekannten russischen Anrufer Bargeschwätz, Hörensagen, Gerüchte und Mutmaßungen zusammengetragen und mit eigenen Schussfolgerungen versehen zu haben. Es gibt nichts Schriftliches, denn Steele hatte diesem Mitarbeiter eingeschärft, aus konspirativen Gründen nichts aufzuschreiben. Alles wurde Steele mündlich berichtet. Die russische Gerüchteküche war jedoch bereits vor diesem Auftrag ein regelmäßiges Diskussionsthema bei Arbeitstreffen.

Im Gespräch mit dem FBI gab die Hauptquelle an, ihm sei beim gesamten Auftrag nicht wohl gewesen, der zunächst den ehemaligen Wahlkampfmanager von Trump, Paul Manaford (März 2016) betraf, sich aber schnell auf Trump und weitere Mitglieder seines Teams ausweitete. Steele hat laut seiner Hauptquelle durchaus darauf gedrungen, den Wahrheitsgehalt von Behauptungen genauer zu ergründen, aber das hat er vermieden, aus Angst, dass seine Kumpels misstrauisch werden könnten.

Nach dem jetzt veröffentlichten Verhörprotokoll des FBI ist eindeutig, dass Christopher Steele mit großer Finesse aus Dreck Katzengold fabrizierte, mit gutem Gespür dafür, wie man beispielsweise einen Trinkkumpan oder eine Ex-Geliebte der Hauptquelle zu seriös erscheinenden Informanten ummodelliert. Zudem war Steele äußerst umtriebig und versorgte alle möglichen Leute mit Rang und Namen in Washington mit seinem Produkt: Abgeordnete, Journalisten, das FBI, Mitarbeiter im State Department und im Department of Justice. So verdiente Steele knapp 170.000 US-Dollar im Jahr 2016. Aber Steele hatte auch eine Mission: Trump musste als Präsident unbedingt verhindert werden. Er traf auf willige US-Resonanz. Der verstorbene Senator John McCain beispielsweise war vom Steele-Produkt so erschüttert, das er umgehend das FBI kontaktierte. Einer der Wenigen, der das „Dossier“ sofort als Fake News erkannte, war Paul Roderick Gregory, ein Russlandexperte. Der schrieb am 13. Januar 2017 in Forbes,, das „Dossier“ sei im Stil des KGB verfasst, und niemals würde ein gebildeter Brite so schreiben. In dem Punkt lag er falsch.

Inzwischen ist klar, dass das FBI im Januar 2017 wusste, was von Steeles „Netzwerk“ zu halten war: Ein paar sozial vernetzte Russen, zwei davon mit einer fatalen Neigung zum Trunk, einige unentwegt auf der Suche nach schnellem Geld, bereit, Klatsch und Tratsch zu verbreiten und klar im Bild, was man im Westen gerne hört. Im FBI wurde auch vermutet, dass die russische Seite Steeles „Netzwerk“ infiltriert und bewusst mit Falschinformationen gefüttert hatte. (Wie das vonstattengegangen sein soll, ist bisher unklar). Das FBI hatte sich zudem längst beim MI 6 über Steele erkundigt. Dessen Reputation war beileibe nicht so glänzend, wie immer wieder verbreitet wurde.

Vor der Öffentlichkeit und vor dem geheimen FISA-Gericht hielt das FBI sein Wissen jedoch verborgen. Auch die CIA rührte sich nicht, die das Dossier von Anfang an für Unfug hielt. Die Ausforschung des Amerikaners Carter Page, der ebenfalls von Steele angeschwärzt wurde, aber in Wahrheit ein CIA-Informant war, ging weiter. Trump wurde ebenfalls weiter verdächtigt und die Mueller-Untersuchungen gestartet. Wider besserem Wissens haben Geheimdienstler in den USA und in Großbritannien falsche Darstellungen in den Medien hingenommen und ihnen sogar Vorschub geleistet. Sie haben zu keinem Zeitpunkt alle Karten auf den Tisch gelegt, obwohl es um die schwerwiegendste Anschuldigung ging, mit der je ein amerikanischer Präsident konfrontiert war: den „Russen“ zu dienen.

Aber zurück zu Christopher Steele. Als gelernter Geheimdienstler rechnete er wohl kaum damit, dass seine Arbeit je öffentlich geprüft werden würde. Als BuzzFeed das „Dossier“ publizierte, tauchte er ab. Laut NYT fürchtete er um seine Sicherheit, was sofort insinuierte, die Vorhaltungen im „Dossier“ wären echt und die aufgescheuchten Russen könnten ihm nach dem Leben trachten.

Tatsächlich stolperte Steele über die akribische Arbeit von Horowitz und die Suche der Republikaner nach den Ursprüngen von „Russia-Gate“. Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass laut Horowitz Steele das betreffende „Netzwerk“ erst aufbaute, nachdem er den MI 6 verlassen hatte. Dennoch fragt man sich, wann Steele zu pfuschen begann. Immerhin trug er Verantwortung im MI 6. Er führte die Untersuchung des Litwinenko-Mordes. Er nutzte seinen geheimdienstlichen Hintergrund in der Privatwirtschaft. Er arbeitete ab 2013 für das FBI. Er wusste, dass er 2016 für Hillary Clinton arbeitete. Er war Zeuge im britischen Geheimdienstausschuss, der einer mutmaßlichen russischen Einmischung in die inneren Angelegenheiten Großbritanniens nachging. Im Juli 2020 wurde Steele zu Schadensersatzzahlungen an zwei russische Vertreter der Alfa-Bank verurteilt, da seine diesbezüglichen Aussagen im „Dossier“ inakkurat waren. Seine Hauptquelle war hieran schuldlos. Die „Information“ stammte von einem Anwalt der US-Demokraten.

Für den MI 6, so darf man vermuten, ist Steele inzwischen ein wesentlich größeren Ärgernis, als es John le Carre je werden könnte. Denn der ist nur ein Geschichtenerzähler.