Es ist finsterer Aberglaube anzunehmen, in der Kulturpolitik ginge es zuvörderst um die Förderung des Guten und Schönen. Nach dem Abgang des feudalen Staates, für den die Unterhaltung der Künste immer Mittel herrschaftssichernder Repräsentanz war – zu geringem Teil auch dem zumeist nicht-öffentlichen privaten Genuss der Herrscherclique und ihres Klüngels dienend –, blieb dem bürgerlichen Staatswesen nichts anderes übrig, als dessen kulturpolitische Hypothek zu übernehmen. In Mitteleuropa jedenfalls. Man wollte ja nicht als Banause dastehen. In ab ihrer Geburtsstunde vom Bürgertum beherrschten Ländern wie den Vereinigten Staaten von Amerika war das anders. Die Bürger finanzierten von Anfang an in doppeltem Sinne des Wortes ihre Kultur. Finanziers und Rezipienten kamen und kommen aus derselben Klasse. Jedenfalls was die sogenannte „Hochkultur“ betrifft. Das hat sich bis heute weder in dem einen noch dem anderen Falle wesentlich geändert.
Die Massenkultur ist allerdings generell ausschließlich marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Es wäre Unsinn, das ändern zu wollen. Auch wenn – wie derzeit in Berlin – einzelne verwirrte Kulturpolitiker versuchen, pure Bestandteile der Unterhaltungsindustrie wie Bordelle und Nachtklubs als „Kulturstandorte“ zu veredeln. Das Gewerbe ist gut beraten, trotz derzeitiger Corona-Nöte solche Vereinnahmungsversuche weit von sich zu weisen. Der Förderapfel ist vergiftet. Wer zahlt, will auch mitreden. Und bei Geldsachen hört bekanntermaßen die Gemütlichkeit auf.
Kulturpolitik ist zuerst Haushaltspolitik. Naiven Kulturpolitikern stehen regelmäßig Tränen in den Augen, wenn sie zusehen müssen, wie in den Etatberatungen ihre schönen Projekte erbarmungslos versenkt werden. Voller Verzweiflung bemühen sie dann Begriffe wie „Umwegrentabilität“ und veranstalten Anhörungen zur „Kulturwirtschaft“. Es nutzt ihnen gar nichts. Kulturpolitik kriegt zugeteilt, oder eben auch nicht.
Um ziemlich viel Geld – derzeit 335,55 Millionen Euro – geht es auch im aktuellen kulturpolitischen Großkrach in der deutschen Hauptstadt, der in seinen Dimensionen weit über die üblichen Sommerlochdebatten hinausgeht. Im Zentrum – der Jahresetat 2020 der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Auslöser ist ein Gutachten des Wissenschaftsrates, das unter dem Schlagwort „Strukturempfehlungen“ nicht mehr und nicht weniger empfiehlt, als den Großtanker SPK abzuwracken und durch kleinere, beweglichere Einheiten zu ersetzen. Damit erfüllt der Rat eine längst überfällige politische Forderung aus dem Errichtungsgesetz der Stiftung aus dem Jahre 1957. Diese habe „bis zu einer Neuregelung nach der Wiedervereinigung die ihr übertragenen preußischen Kulturgüter für das deutsche Volk zu bewahren, zu pflegen und zu ergänzen, unter Beachtung der Tradition den sinnvollen Zusammenhang der Sammlungen zu erhalten und eine Auswertung dieses Kulturbesitzes für die Interessen der Allgemeinheit in Wissenschaft und Bildung und für den Kulturaustausch zwischen den Völkern zu gewährleisten“. Worum geht es?
Kern der SPK sind die Staatlichen Museen zu Berlin, deren 15 Museumssammlungen über acht Standorte der Stadt verteilt sind. Dazu kommt die Staatsbibliothek zu Berlin mit zwei großen Häusern und einem Außenmagazin „am Rande der Stadt“. Als selbstständige Einrichtungen fungieren weiterhin das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, das Ibero-Amerikanische Institut und das einigermaßen exotische Staatliche Institut für Musikforschung mit dem Musikinstrumentenmuseum.
Insgesamt ein Konglomerat, dessen Existenz nur damit erklärbar ist, dass in der Zeit der Spaltung Deutschlands niemand im föderalistisch strukturierten Westen des Landes eine Idee hatte, wie man mit dem ungeliebten preußischen Kulturerbe, das durch die Zufälle kriegsbedingter Auslagerungen in den West-Zonen gelandet war, umgehen sollte. Forderungen nach „Rückgabe“ an die Staatlichen Museen der DDR wollte man nicht entsprechen. Die waren nicht immer unglücklich darüber. Mit den erheblichen Beständen wäre sie durchaus überfordert gewesen – und den unangenehmen Streit darüber, ob die Nofretete nun rechtmäßig nach Berlin kam, überließ man aus außenpolitischen Gründen gerne dem Westen.
Nach 1990 blieb alles beim strukturell Alten. Die Standorte Ost wurden einfach an die SPK angedockt. 1996 wurde zwischen der Bundesregierung und den Ländern ein Finanzierungsabkommen für die Stiftung vereinbart, das dem föderalen Prinzip Rechnung tragen sollte. Demnach werden 75 Prozent des Betriebshaushalts der Stiftung (219 Millionen Euro – die Zahlen beziehen sich auf das Haushaltsjahr 2020) vom Bund getragen (142 Millionen) und 25 Prozent von den Ländern (47,4 Millionen). Die Anteile Letzterer werden wiederum pingelig so aufgeteilt, dass selbst Bayern – München vergisst gerne seine ehemals „preußischen“ Provinzen – mit einem niedrigen sechsstelligen Betrag dabei ist. Den Löwenanteil trägt Berlin mit 25 Prozent (27,6 Millionen). Berlin ist „Sitzland“ und profitiert nicht nur von den Tourismuseinnahmen.
Die Differenz zwischen Betriebshaushalt und Gesamtetat beträgt 116 Millionen Euro. Das sind die Bauinvestitionen, die real ziemlich irrelevant sind, da die Fanfaronaden der Stiftung jegliche Baukostenkalkulation in das Reich des Absurden verweisen und „der Bund“ bislang bereitwillig jeden Unsinn bezahlt. Hauptsache, es kommt genug „Glanz in die Hütte“, wie sich die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss (SPD) einmal ausdrückte.
Der Widerstand Berlins gegen unsinnige Bauentscheidungen – Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ist Stiftungsratsmitglied – hält sich in Grenzen. Berlin hatte bis 2003 hälftig die Baukosten mittragen müssen. Es war seinerzeit klar, dass die Museumsinsel ein Fass ohne Boden sein wird, dazu kam die Berliner Bankenkrise. Die Stadt ließ sich bereitwillig für ein Linsengericht ihren Widerstand abkaufen.
Das Linsengericht ist der Hauptstadtkulturvertrag als Bestandteil des Vertrages zwischen der Bundesregierung und dem Land Berlin „über die aus der Hauptstadtfunktion Berlins abgeleitete Kulturfinanzierung und die Abgeltung von Sonderbelastungen der Bundeshauptstadt“. Der wurde 2017 für zehn Jahre neu verhandelt. Jährlich fließen aus dem Bundestopf 25 Millionen Euro zusätzlich in die Kassen der Stadt. Zweckgebunden, zum Beispiel zum Aufhübschen der Börse des Lieblingsorchesters der Kulturstaatsministerin Monika Grütters, der Berliner Philharmoniker. Natürlich ist das kein „Bundesorchester“.
Aber auch darum geht der Aufschrei. Der Wissenschaftsrat empfiehlt, „die Dachstruktur der SPK aufzulösen und den Verbund der Staatlichen Museen zu Berlin, die Staatsbibliothek zu Berlin, das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und das Ibero-Amerikanische Institut jeweils organisatorisch zu verselbstständigen. Für das Staatliche Institut für Musikforschung mit seinem Musikinstrumenten-Museum empfiehlt er eine Eingliederung in die Staatlichen Museen.“
Konsequenterweise wären die Einrichtungen einem Bundeskulturministerium zuzuordnen. Darum scheint es Grütters zu gehen, dagegen laufen manche Sturm. Kulturpolitik ist Ländersache … „Drittmittel“ des Bundes nimmt man natürlich gern – egal, ob es um die Finanzierung kleiner feiner Festivals, eines Hafenmuseums oder die jährliche Kultveranstaltung von Bayreuth (Bayern!) geht.
Die Empfehlung des Wissenschaftsrates ist konsequent und überfällig. Allerdings halbherzig. Nicht nur das Konstrukt gehört aufgelöst, auch das altvordere Finanzierungsmodell. Der Bund kann die Einrichtungen allein tragen. Damit platzte auch der „Hauptstadtkulturvertrag“, das macht aber nichts. Diese Mittel kann Berlin locker aus den dann eingesparten Zuwendungen an die SPK tragen. Dass die Museumsdirektoren jetzt räsonieren, hat nichts mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu tun. Sie müssten sich künftig mit einer Instanz weniger im Streit um ihre Gelder auseinandersetzen. Es ist eine Frage des Betriebsklimas, nicht der Kulturpolitik, wenn sich zum Beispiel die Antikensammlung permanent gegenüber der Nationalgalerie benachteiligt fühlt.
Von einer Auflösung der Stiftung können die Museen nur profitieren. Das Publikum übrigens auch. Dass die von ihnen aufbewahrten Schätze der Weltkultur zu erheblichen Teilen momentan nur über veraltete Kataloge zugänglich sind, hat auch mit einer SPK-Politik zu tun, die größenwahnsinnige Masterpläne über eine mit Augenmaß betriebene Museumsarbeit stellt.
Und wenn der Berliner Kultursenator hinsichtlich der Arbeit der Staatlichen Museen nichts mehr zu sagen hat, kann das nur gut sein. Der erbärmliche Zustand der Landeseinrichtungen ist abschreckend genug.
Schlagwörter: Berlin, Staatliche Museen, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Wissenschaftsrat, Wolfgang Brauer