Zum Beispiel Heinz Reinefarth. Der SS-Gruppenführer, ein Generalsrang, war verantwortlich für die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944, unter seinem Befehl wurden mehrere Zehntausend Zivilisten erschossen. „Der Schlächter von Warschau“ wurde 1949 von einem deutschen Gericht freigesprochen von jeder Schuld. Die Stadt Westerland/Sylt wählte ihn von 1951 bis 1964 mehrfach zum Bürgermeister. Die Ermittlungen wurden ohne Anklage eingestellt.
Zum Beispiel Veit Harlan. Der Regisseur von „Jud Süß“ und „Kolberg“ wurde 1949 und 1950 zweimal von einem deutschen Gericht entlastet. Den Vorsitz führte Richter Walter Tyrolf. Tyrolf war 1944 Staatsanwalt beim NS-Sondergericht Hamburg, wo er auch vielfach in Fällen wie Diebstahl und „Rassenschande“ Todesurteile beantragte und deren Vollstreckung erreichte. Es sind mindestens 15 durch ihn bewirkte Todesurteile bekannt. Walter Tyrolf ging 1964 in den vorzeitigen Ruhestand.
Zum Beispiel Marion Freisler. Der Witwe des berüchtigtsten Blutrichters, den Nazideutschland hervorbrachte wurde vom Freistaat Bayern 1974 (sic!) zu ihrer Witwenrente ein monatlicher „Schadensausgleich“ von 400 DM gewährt. Als der Fall 1982 (sic!) überprüft wurde, begründete das Sozialministerium den Zuschlag mit einer möglichen Nachkriegskarriere „als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes“. Dem Ministerium erschien es „aus rechtsstaatlichen Gründen“ „ebenso wahrscheinlich“ wie eine Verurteilung, dass der Präsident des Volksgerichtshofes „in seinem erlernten oder einen anderen Beruf weitergearbeitet hätte“.
Zum Beispiel Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg. Der Sippenhaft und KZ überlebenden Witwe des Hitler-Attentäters verweigerte die Bundesrepublik bis 1952 die Offizierswitwenpension, ihr Mann galt als Verräter. Erst der durch Fritz Bauer initiierte „Remer-Prozess“ rehabilitierte die Aktiven des 20. Juli und stellte fest, dass Nazideutschland ein Unrechtsstaat war, der Hochverrat und Eidbruch ausschließt.
Oder Bruno D., 93. Bruno D. war von August 1944 bis April 1945 Wachmann im KZ Stutthof. Während seiner Dienstzeit wurden dort 5232 Menschen ermordet. Am 20. Juli verhandelte das Landgericht Hamburg zum letzten Male gegen Bruno D., am 23. Juli erging das Urteil, zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen.
Ein Mann von 93 Jahren vor einer Jugendstrafkammer? Verurteilt, weil er 8 oder 9 Monate Wache stand, ohne dass ihm individuelle Schuld nachgewiesen wurde?
Ja, das ist ein gutes Urteil. Es ist weniger ein Urteil über einen Menschen, auf Bruno D. bezogen ist es ein Urteil, das sein Leben nicht ändern wird, es ist ein Kompromiss zwischen individueller Schuld und historischer Verantwortung. Es ist ein Symbol, ein Urteil über deutsche Geschichte und über westdeutsche Justizgeschichte auch.
Es ist eine Schande, wie viele wirkliche Nazi-Verbrecher hier nicht ihre Strafe fanden. Es ist eine Schande, dass Fritz Bauer, wohl mit Recht, vermutete, sein Anteil an der Verurteilung Adolf Eichmanns würde ihn in Deutschland den Job kosten. Aber dieses Urteil, wie die Urteile gegen John Demjanjuk und Oskar Gröning, ist auch ein Signal, wie dieses Land sich selbst zu korrigieren vermag.
Bruno D. war, als er seinen Dienst antrat, 17 Jahre alt, deshalb die Jugendkammer. Sie hatten ihn ohne sein Zutun in das KZ versetzt. Das menschliche Empfinden neigt dazu, dem Greis nicht vorzuwerfen, dass er sich als Junge dorthin kommandieren ließ, es gehört viel Überhebung dazu, hier eine gravierende Strafe zu fordern. Aber ohne diese Jungen, die nur machten, was man ihnen sagte, hätte es nicht funktioniert, nirgendwo, auch nicht die Staatsgrenze West. So war das ein Urteil über deutsche Geschichte – und über die Benutzbarkeit und die Verantwortung des Menschen.
André Poggenburg, der Mann, dem die AfD zu liberal war, der 2015 mit Björn Höcke die „Erfurter Resolution“ verfasste, gleichsam die Gründungsurkunde des „Flügels“, postete vor einer Woche so: „Heute am Rasentraktor repariert…Und wie sagt man doch: ‚Arbeit macht…‘“
Was für ein widerlicher Drecksack.
Irgendwann ist die deutsche Justiz vielleicht auch dafür bereit.
Schlagwörter: André Poggenburg, Fritz Bauer, Heinz Reinefarth, Henryk Goldberg, LZ-Wachmann, Marion Freisler, Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg, Veit Harlan