23. Jahrgang | Nummer 14 | 6. Juli 2020

Reichsarbeitsdienst auf Rügen

von Dieter Naumann

Im Sommer 1931 führte die Regierung Brüning einen „Freiwilligen Arbeitsdienst“ (FAD) ein, der unter Einsatz staatlicher Finanzhilfen zum Abbau der hohen, durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Arbeitslosigkeit besonders unter der Jugend beitragen sollte. Die „Freiwilligkeit“ bestand nur bedingt, da mit der Notverordnung zugleich Leistungskürzungen für Arbeitslose verbunden waren. Im Januar 1933, zur Machtübernahme Hitlers, umfasste der lockere Dachverband FAD 175.000 Freiwillige der verschiedensten gemeinnützigen Organisationen, etwa der Kirchen, von Jugendverbänden, dem deutschnationalen „Stahlhelm“ und dem „Reichsbanner“ der SPD. Für viele Jugendliche stellte der fünfmonatige Arbeitsdienst die einzige Alternative zur Arbeitslosigkeit dar.

1935 führte Hitler entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrages nicht nur die allgemeine Wehrpflicht, sondern auch die allgemeine Arbeitsdienstpflicht ein, die theoretisch alle arbeitslosen Jugendlichen zwischen 17 und 25 Jahren betraf. Die in zwei jährlichen Durchgängen abzuleistende Gesamtdienstzeit betrug sechs Monate. Ausgeschlossen waren „natürlich“ Jugendliche „nichtarischer Abstammung“.

Für weibliche arbeitslose Jugendliche gab es zunächst Sonderregelungen, zumal das nationalsozialistische Frauenbild zwiespältig war: Einerseits wurde die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter propagiert, andererseits sollte die gesamte „Volksgemeinschaft“ für die Sache des Nationalsozialismus mobilisiert werden. Zunächst blieb die Mitgliedschaft im „RAD der weiblichen Jugend“ mit einer sechsmonatigen Dienstzeit freiwillig und wurde erst im August 1939 in die allgemeine Arbeitspflicht umgewandelt. Getreu dem konservativen Frauenbild dienten die „Arbeitsmaiden“ vorrangig als Haushaltshilfen bäuerlicher Familien.

Strukturell war der Reichsarbeitsdienst (RAD) um 1938 in eine zentrale Dienststelle und in 30 „Arbeitsgaue“, 207 Arbeitsdienstgruppen und 1.410 Reichsarbeitsdienstabteilungen unterteilt, die ihre „Arbeitsmänner“ über Meldeämter rekrutierten. Die Abteilungen waren ihrerseits in Zügen und Trupps gegliedert. Die Dienstgrade waren denen des Militärs angeglichen. Auch die erdbraunen Ausgeh- und Paradeanzüge und die hellgrauen Arbeitsanzüge glichen den Uniformen des Militärs – mit einem Unterschied: Unter dem Dienststellenabzeichen wurde am linken Ärmel zusätzlich eine Hakenkreuzarmbinde getragen.

Für Erziehung und Ausbildung der RAD-Mitglieder wurden Broschüren herausgegeben, so unter anderem zu Ordnungs- und Leibesübungen sowie zu den Pflichtliedern, die bei Einsätzen zu singen waren; von Generalarbeitsführer von Gönner kam mit „Spaten und Ähre“ ein fast 300 Seiten umfassendes Handbuch zum Einsatz. Die Führungskräfte wurden unter anderem in der Reichsschule sowie 19 Truppführer- und fünf Feldmeisterschulen instruiert.

Durch mit dem RAD-Logo versehene Lagerausstattung, eigens hergestellte Fotoalben („Mein Arbeitsdienst“, „Meine Arbeitszeit“), Erinnerungskrüge (ähnlich den Reservistenkrügen) und Gedenkblätter für ausscheidende Mitglieder und andere Maßnahmen sollte das vermeintliche Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden. Zur Außenwirkung und Propaganda dienten Broschüren, Plakate, Ansichtskartenserien, Künstlerpostkarten und Briefmarken mit idealisierten Darstellungen von RAD-Arbeitsmännern und -maiden.

Die Zugehörigkeit zum RAD galt nicht als Arbeits- oder Dienstverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts; Gesetze und Vorschriften über den Arbeitsschutz, das Betriebsräte- und Arbeitsgerichtsgesetz sowie das Recht auf Unterstützung im Falle einer Erkrankung galten somit nicht. Vielmehr sollten die Jugendlichen untertariflich so billig wie möglich hohe Arbeitsleistungen erbringen. Der einfache Arbeitsmann bekam ein „tägliches Taschengeld“ von 25 Reichspfennigen; der Großteil des erarbeiteten Verdienstes wurde nicht ausgezahlt, sondern für Essen, Lagerunterkunft, Heizung, Bekleidung und Versicherungen einbehalten. Der Lohn des Arbeitsmannes „im höheren Sinne“ liege im Stolz und in der Ehre, am Aufbauwerk des Arbeitsdienstes mitarbeiten zu dürfen.

Offiziell wurde der Reichsarbeitsdienst als „Ehrendienst am deutschen Volk“ hochstilisiert. Eines der Hauptziele war die Disziplinierung der Jugend, wozu der überwiegend paramilitärische Charakter des RAD diente, der in der Organisationsstruktur, im Fahneneid auf den „Führer“ und durch die „Formalausbildung“ zum Ausdruck kam, die sich von der militärischen nur dadurch unterschied, dass an Stelle des Gewehrs mit dem „Spaten als Gewehr des Friedens“ exerziert wurde („Spatenklopfen“). Durch den Dienst im RAD (bis zu 13 Arbeitsstunden von Montag bis Freitag, elf am Sonnabend, Lagerausgang nur an zwei von drei Wochenenden) sollten die Jugendlichen zu „Soldaten der Arbeit“ erzogen werden.

Ein weiteres Ziel war die Durchsetzung der nationalsozialistischen Idee von der klassenlosen „Volksgemeinschaft“, indem die „Arbeitsmänner“ bewusst in „gemischten“ Formationen in Lagern zusammengefasst wurden, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft. Überwiegende „Handarbeit“ sollte die Achtung vor den Anstrengungen der „Volksgenossen“ vertiefen, erforderte jedoch auch mehr „Arbeitsmänner“ für die gleiche Arbeit. Das wiederum hatte zur Folge, dass die erwarteten wirtschaftlichen Erfolge wegen der geringen Produktivität meist unter den Erwartungen blieben.

Die Insel Rügen gehörte zum „Arbeitsgau V (Pommern-West)“, Sitz der Gauleitung war Stettin. 1940 umfasste der Gau Pommern-West 27 RAD-Abteilungen. Zu den Einsatzgebieten gehörten Hilfsarbeiten beim Bau des Rügendamms und der Eisenbahnstrecke Lietzow-Binz. Wohl in diesem Zusammenhang verwies der Rügen-Reiseführer von „Grieben“ 1938 ohne weitere Erläuterung auf ein Arbeitsdienstlager in Lietzow. In Prora wurden mit Baubeginn des geplanten KdF-Seebades zwei RAD-Siedlungen errichtet, die ab 1942/43 als Ausbildungsstandorte für Marine-Nachrichtenhelferinnen dienten. Lager „Bremen“ war für die Ausbilder und den Unterricht vorgesehen, im Lager „Hamburg“ wohnten die jungen Frauen, die hier ihre vier- bis sechswöchige Grundausbildung erhielten. Eine der Anlagen steht heute unter Denkmalschutz. Auf der Halbinsel Lieschow legte der Reichsarbeitsdienst die 1872 durch eine Sturmflut teilweise abgeschnittene Lieschower Wiek durch Abpumpen von 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser trocken. 1936 wurde in der Waldgemarkung Haide auf Ummanz ein Barackenlager als Außenstelle der „Reichsarbeitsgruppe 53 Stralsund“ errichtet. Kommandant des Teillagers 6/53 „Hochkirch“ war Oberstfeldmeister Friedrich. Das Lager war nach der Schlacht bei Hochkirch benannt, bei der Preußen im Oktober 1758 eine empfindliche Niederlage erlitt, die im Nachhinein als moralischer Sieg umgedeutet wurde. Das Lager umfasste neben den Unterkunftsbaracken ein Kameradschaftsheim, Lagerhäuser und eine Sporthalle. Südwestlich schloss sich das Lager 7/53 „Rudolf Windisch“ an, benannt nach einem Kampfpiloten des ersten Weltkriegs, mit Baracken für vier Züge und Wirtschafts- und Verwaltungsbaracken. Aufgabe der bis zu 400 „Arbeitsmänner“ war die Eindeichung der Insel Ummanz zur Verhinderung weiterer Schäden durch Sturmfluten. Die Deichbauten erstreckten sich über 22 Kilometer. Nach Kriegsende dienten einige der Baracken zur Aufnahme von Flüchtlingen, danach für Strafgefangene und wurden später als Kindergarten, Arztpraxis und Friseurstube genutzt. Vier der ehemaligen Baracken in Haide sind inzwischen zu Wohnzwecken umgebaut worden, ebenso eine weitere, nach Waase umgesetzte Baracke.