Einmal abgesehen davon, ob bei der polnischen Präsidentschaftswahlrunde am 28. Juni alles mit rechten Dingen zugegangen ist, lassen sich vor der Entscheidung am 12. Juli bereits wichtige Aspekte zusammentragen. Das Ergebnis für den Amtsinhaber Andrzej Duda, der mit stolzen 43,5 Prozent der abgegebenen Stimmen vor seinen Anhängern triumphierend zu jubeln suchte, zeigt, dass das nationalkonservative Wählerpotential die lange und quälende Zeit der Corona-Krise unbeschadet überstanden hat. Was im letzten Jahr als Hochburg der Nationalkonservativen galt, ist Hochburg geblieben, nirgends sind Einbrüche zu erkennen, die als eine Gefahr bezeichnet werden könnten. Dennoch erinnerte Jarosław Kaczyńskis Reaktion an die vom 13. Oktober 2019, nach den Parlamentswahlen – er mahnte zur Vorsicht und jubelte nicht.
In die Stichwahl zieht wie erwartet Rafał Trzaskowski, der 30,5 Prozent der abgegebenen Stimmen holte. Der Abstand zu Duda ist also bereits beträchtlich, deutlicher jedenfalls als zuletzt erwartet. Allerdings kann der Herausforderer – gröbere Fehler in den verbleibenden Tagen vermeidend – wohl auf die Stimmen anderer Kandidaten zählen, die zusammengerechnet noch einmal auf 18 Prozent der abgegebenen Stimmen gekommen sind. Damit rückte das Ziel, auf über 50 Prozent der Stimmen zu kommen, zum Greifen nahe. Doch sind die Sorgenfalten im Trzaskowski-Lager nach dem Ausgang am 28. Juni größer geworden. Die Situation ähnelt derjenigen im Mai 2019 (/Europawahl), erinnert weniger an den Oktober 2019.
Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament hatten es die Nationalkonservativen geschafft, mit dem Schreckgespenst der sogenannten LGBT*-Ideologie Unruhe in die Reihen der Gegner zu bringen, so dass die drohende Einheit derselben daran schnell zerbrach. Doch bei den Parlamentswahlen im Herbst hatten es die Kaczyński-Gegner geschafft, zusammengerechnet mehr Stimmen als die Nationalkonservativen einzusammeln; zudem wurde nach klugen Absprachen das Oberhaus des Parlaments gekapert, das sich aus 100 Wahlkreissiegern zusammensetzt. So einen geschlossenen Wahlblock müsste Trzaskowski nun in die Schlacht führen, doch gelang es den Kaczyński-Strategen erneut, mit dem LGTB-Thema rechtzeitig Unruhen auf der gegnerischen Seite zu säen. Wer sich in Polen konservativ sieht, der folgt nicht unbedingt oder automatisch der Marschrichtung einer westlichen Moderne, vor allem dann nicht, wenn die katholische Kirche im Lande sich beim LGTB-Thema völlig überzeichnet als die letzte Bastion aufrechten Christentums in der Europäischen Union sieht.
Gut zu besichtigen ist die Situation zwei Autostunden südlich von Warschau. Direkt im fruchtbaren Weichselschwemmland liegt eine mehrere Dörfer umfassende Landgemeinde, die meisten Bauern sorgen sich um den wichtigen Hopfen für die nahegelegene große Brauerei. Der beachtliche Wohlstand ist nicht zu übersehen, auch das geordnete Leben nicht. Hier erreichte Duda über 70 Prozent der Stimmen, Trzaskowski landete bei lediglich acht Prozent. In der Nachbarschaft und nur einen Steinwurf entfernt liegt eine kleinere Stadtgemeinde, die vor allem vom Tourismus lebt. Hier ist das Ergebnis bereits viel gemischter, hier wäre auch Trzaskowski nicht ohne Chancen. Doch bleibt auch hier der Schritt zur pulsierenden Großstadt ein riesiger, so dass der Irrsinn, der vor 30 Jahren besiegten roten folge nun die im gleichen Maße gefährliche LGBT-Ideologie, noch immer auf fruchtbaren Boden fällt.
Im Stillen hoffen die Nationalkonservativen jetzt, dass Duda in der Stichwahl den Löwenanteil jener Stimmen bekommt, die für die ganz rechts und überdurchschnittlich gut bei jüngeren Wählerschichten auftrumpfenden Nationalisten abgegeben wurden. Deren Kandidat kam auf fast sieben Prozent. Stimmen also, die nun durchaus zum Zünglein an der Waage werden könnten.
Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen den Nationalisten und den Nationalkonservativen ist die Haltung zur EU-Mitgliedschaft Polens – während die einen sofort raus wollen, weil alles in der Gemeinschaft sie an nationalen Verrat und Sozialismus erinnert, streben die anderen einen lockeren Verbund souveräner Vaterländer an. Donald Tusk – von der Warte des Trzaskowski-Lagers aus – wagte den Ritt auf Messers Schneide, als er jetzt an die Wählerschaft der Nationalisten appellierte: „Uns unterscheidet fast alles, deshalb wollen wir zusammen mit euch gewinnen. Mit den Nationalkonservativen verbindet euch viel, deshalb werden sie versuchen, euch zu vernichten. Sie sind wahre Meister darin.“
Am Tag der ersten Wahlrunde tauchte Kaczyński in Częstochowa im Kloster Jasna Góra ab, um zurückgezogen für den erforderlichen Beistand zu beten. Er meint, dass es nun um alles geht. Einst im 17. Jahrhundert, so geht die Legende um das dortige Kloster, habe das Gebet die schwedische Sintflut gestoppt, um Polen schließlich zu retten. Kaczyński sprach darauf anspielend davon, dass es nur noch die Wahl zwischen Freiheit und Untergang gäbe. Der Herausforderer Trzaskowski ist ihm weniger politischer Gegner, er ist der personifizierte Feind. Duda schlägt nun für Kaczyński zum Matchball auf. Wehrt Trzaskowski den ab, hätte er wohl die vielbeschworenen Kastanien aus dem Feuer geholt.
* – Aus dem englischen Sprachraum stammende Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender).
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