„Es gibt für Deutschland derzeit
keine direkte, territoriale Bedrohung mehr […]
Möchte also Trump die US-Streitkräfte
in Deutschland verringern, soll er dies tun.“
Kurt Kister,
Süddeutsche Zeitung
Wer nicht hören will, muss fühlen galt in Zeiten, zu denen die Prügelstrafe für Kinder und Jugendliche als Erziehungsmaßnahme noch in allgemeinem Ansehen stand, als wohlfeile Maxime, die allenfalls von Außenseitern infrage gestellt wurde. Dass diese Zeiten mittlerweile einer eher unseligen Vergangenheit zuzurechnen sind, hat sich in den US-amerikanisch-deutschen Beziehungen gerade als falsch erwiesen.
Denn die Deutschen sind für US-Präsident Donald Trump freeriders, Trittbrettfahrer, die Washington die Kosten für die deutsche Sicherheit aufbürden, indem sie ihr Militärbudget chronisch zu niedrig halten („Deutschland ist seit Jahren säumig und schuldet der Nato Milliarden Dollar […].“), und die zu allem Überfluss auch noch Moskau alimentieren („Warum zahlt Deutschland Russland Milliarden Dollar für Energie, und dann sollen wir Deutschland vor Russland schützen?“). Daher ist nunmehr Bestrafung der Unbotmäßigen angesagt: 9.500 der gegenwärtig etwa 35.000 dauerhaft in Deutschland stationierten US-Militärangehörigen sollen teils nach Polen verlegt, teils in die Heimat zurückbeordert werden. Und zwar im Eilverfahren. Künftig soll eine Obergrenze von 25.000 gleichzeitig hierzulande beherbergten US-Militärangehörigen gelten.
Was an Trumps Vorwurf der finanziellen Säumigkeit der Deutschen nicht stimmt, kann man gut bei Theo Sommer nachlesen („Die Deutschen sind keine Trittbrettfahrer“). Hier soll es vielmehr um die sicherheitspolitische Bewertung des verkündeten Truppenabzugs gehen, der manchem bundesdeutschen Politiker offenbar bereits schlaflose Nächte bereitet: „Das deutsch-amerikanische Verhältnis könnte von einer solchen Entscheidung des US-Präsidenten sehr stark beeinträchtigt werden“, denn es ginge „nicht nur um 9500 Soldaten, sondern auch um deren Familien, also schätzungsweise um 20.000 Amerikaner. Damit würden transatlantische Brücken wegbrechen.“ (Peter Beyer, CDU, Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung)
Eigentümlicherweise spielt die Frage, warum US-Militär überhaupt noch in Deutschland stationiert ist, in der öffentlichen Debatte keine Rolle. Denn die Russen, der frühere militärische Hauptgegner, sind ja seit 1994 komplett abgezogen. Das Verhältnis zu denen hatte sich soweit entfeindet, dass NATO und Moskau sich 1997 in der sogenannten NATO-Russland-Akte gegenseitig bescheinigten, „einander nicht als Gegner“ zu betrachten. Und schon seit 1990 war das vereinigte Deutschland überhaupt nur noch von Verbündeten, Partnern und Freunden umzingelt. An US-Militärpersonal waren damals noch knapp 230.000 Mann im Land. Was also bewog Washington, dem zu Zeiten des Vietnam-Krieges hoch populären Slogan bring the boys home unter den neuen Gegebenheiten in Europa nach 1990 zwar weitgehend, aber nicht komplett zu folgen?
Liegt die Antwort in der Vergangenheit? Die Krauts hatten die USA gegen deren vorherrschende isolationistische Neigung im 20. Jahrhundert immerhin zweimal gezwungen, in Europa und anderenorts militärisch in einen Weltkrieg einzugreifen. Konnte man diesen Teutonen am Endes des Jahrhunderts wirklich trauen? US-Außenminister James Baker jedenfalls spielte diese Karte gegenüber Gorbatschow in den Auseinandersetzungen über die künftige Bündniszugehörigkeit Deutschlands 1990 zielgerichtet aus, wie jüngst veröffentlichte, zuvor geheime US-Unterlagen ausweisen. Über die hat Kenneth Weisbrode dieser Tage im Diplomatic Courier berichtet. Baker zu Gorbatschow: „Wir zwingen Deutschland nicht in die NATO. Aber wir halten es für wichtig, dass Deutschland Teil der NATO ist, nicht aus Furcht vor der Sowjetunion, sondern weil wir glauben, wenn wir keinen Weg finden, Deutschland wirklich in den europäischen Institutionen zu verankern, werden wir die Saat dafür legen, dass sich die Geschichte wiederholt.“ Damit wären die verbliebenen US-Streitkräfte in Deutschland so etwas wie ein Fuß in der Tür. Als Rückversicherung. Für alle Fälle …
Hinzu kommt jedoch – und wird in der aktuellen Debatte auch entsprechend thematisiert – mindestens ein weiterer und womöglich ganz praktisch viel entscheidenderer Aspekt – die 1990 bereits gegebene Rolle ihrer hiesigen militärischen Infrastrukturen für das globale militärische Agieren der USA, eine Rolle, die seither überdies noch stark an Bedeutung gewonnen hat. Heute ist Deutschland für die USA, so Theo Sommer, „eine riesige vorgeschobene Operationsbasis, von der aus sie ihre Macht weit über Europa hinaus projizieren; vielfach in Unternehmen, die mit der Nato nicht das Geringste zu tun haben“.
Laut offiziellem „Base Structure Report – Fiscal Year 2018 Baseline“ des Pentagon beherbergt die Bundesrepublik insgesamt die meisten US-Militäreinrichtungen weltweit – 194 (gefolgt von Japan: 121 und Südkorea: 83). Deren Wert beziffert der US-Report auf knapp 45 Milliarden Dollar.
Die zentrale Komponente dieser Operationsbasis ist der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein (Rheinland-Pfalz), der größte US-Militärflughafen im Ausland (1600 Hektar, inklusive 19 Hektar Feucht- sowie 407 Hektar Waldgebiet) und Hauptquartier:
- der US-Luftwaffe für Europa und Asien (USAFE/AFARICA),
- der Third Air Force und
- des Allied Air Command der NATO (AIRCOM).
Ramstein ist „die wichtigste logistische Drehscheibe für alle US-Operationen im Nahen Osten, Nordafrika und Südwestasien“, so Michael Williams, Professor für internationale Beziehungen an der Universität von New York, Anfang Juni in Foreign Policy. Ramstein verzeichnet zwischen 30.000 und 60.000 Flugbewegungen pro Jahr. Fast sämtliche militärischen Transporte in und aus Richtung Irak oder Afghanistan werden über diese Basis abgewickelt.
Darüber hinaus beherbergt der Stützpunkt eine Relaisstation für die Kommunikation mit US-Drohnen, die vom Counterterrorism Airborn Analysis Center in Nevada aus gegen Somalia, Jemen, Pakistan, Afghanistan und andere Länder eingesetzt werden. Die völkerrechtswidrigen Tötungen von mutmaßlichen Terroristen in diesen Ländern und die Ermordung zahlloser Zivilisten bei derartigen Aktionen inklusive. Darüber hat Das Blättchen unter anderem in den Ausgaben 7/2012 und 25/2015 berichtet. (Der Bundesregierung ist im Übrigen auch diese Funktion von Ramstein seit Jahren bekannt, weswegen ihr Kritiker eine Mitverantwortung am völkerrechtswidrigen Agieren Washingtons zusprechen.)
Als weitere maßgebliche Komponenten der Operationsbasis Deutschland sind unter anderem zu nennen:
- in Stuttgart: das Europa- und das Afrika-Kommando der US-Streitkräfte;
- in Landstuhl: das größte US-Militärlazarett außerhalb der Vereinigten Staaten – zu dem in absehbarer Zeit ein noch größeres in Weilerbach (mit rund 5000 Zimmern, 42 Spezialabteilungen und neun Operationssälen, Kosten: 990 Millionen Dollar) hinzukommen soll;
- in Grafenwöhr: einer der größten Truppenübungsplätze im europäischen NATO-Bereich;
- in Miesau: das mutmaßlich größte US-Munitionsdepot außerhalb der Vereinigten Staaten;
- in Büchel: ein Depot für Atomwaffen zum Einsatz mit deutschen Tornado-Kampfbombern.
Was all diese Einrichtungen mit dem Schutz und der Sicherheit der Bundesrepublik zu tun haben, beurteilt ein General der Bundeswehr folgendermaßen: „Die Amerikaner nutzen Deutschland vor allem als logistische Drehscheibe für sich selbst, da wir in der Mitte zwischen den USA und deren Widersachern in Russland oder China liegen.“ Und der frühere Europa-Kommandeur der US-Truppen, Drei-Sterne-General Ben Hodges, sekundierte: „Die US-Soldaten sind nicht zum Schutz Deutschlands hier, alle von ihnen dienen nur unserem Nutzen.“ Auch eingefleischte Transatlantiker hierzulande wie der Außenpolitik-Chef der FAZ, Klaus-Dieter Frankenberger, haben den US-Präsidenten gerade aufgeklärt: US-Streitkräfte in Deutschland „dienen […] amerikanischen Interessen“.
Vor diesem Hintergrund schätzt Siegmar Gabriel, der Ex-SPD-Chef und nunmehrige Vorsitzende der Atlantik-Brücke, völlig zutreffend ein: „Der Abzug von US-Truppen würde kein unmittelbares Sicherheitsrisiko für Deutschland bedeuten“, denn „wir sind nicht mehr Frontstaat“.
Während das Nachrichtenmagazin SPIEGEL noch wehmütigen Reminiszenzen nachhängt („Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind die US-Soldaten in Deutschland ein wichtiges Symbol für die Verbundenheit beider Länder.“), ist es wohl eher an der Zeit, eine Position nicht mehr in Bausch und Bogen zu werfen, wie sie Dietmar Bartsch, der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, im Hinblick auf den jetzt verkündeten US-Teilabzug formuliert hat: „Die Bundesregierung sollte ihn dankend annehmen und zeitnah einen Komplettabzug der US-Soldaten mit der Trump-Administration vorbereiten. Wenn die Soldaten abgezogen werden, sollten sie gleichzeitig die US-Atombomben mitnehmen.“ Und: „Das hätte den Kollateralnutzen, dass der Steuerzahler Milliarden sparen würde, weil neue Kampfjets (zum Ersatz der veralteten Tornados in Büchel – W.S.) nicht angeschafft werden müssten.“
Schlagwörter: Deutschland, Dietmar Bartsch, Ramstein, Siegmar Gabriel, Trump, Truppenabzug, USA, Wolfgang Schwarz