Beim Scheinprozess gegen Dietrich Bonhoeffer am 8. April 1945 in Flossenbürg agierten Juristen als Mörder. Weder konnte in seinem Fall noch gar zu diesem Zeitpunkt, da das Land in Schutt und Asche lag, von Beeinträchtigung der Wehrkraft die Rede sein, worauf militärische Standgerichte eine direkte Reaktion darstellten. Mehrheitlich wurde schon längst das Kriegsende herbeigesehnt. Erbarmungslos war am 9. April zwischen 6 und 7 Uhr nach dem von Otto Thorbeck und Walter Huppenkothen verhängten Urteil dem Pastor Bonhoeffer und vier weiteren Männern, alle entblößt, im Hofe des Kommandanturarrests von Flossenbürg der Strick um den Hals gelegt worden, an dem man sie über einen Haken nach oben zog – ein langsamer, grausamer Tod.
Der Bremer Rechtshistoriker Christoph U. Schminck-Gustavus legt diesen Tatbestand schlüssig dar. Dabei „sine ira“ (ohne Zorn) zu bleiben geht ihm angesichts der neuerdings vernehmbaren Geschichtsrelativierer ab. Erhebliche Mühe kostete es ihn auch, die zum großen Teil über Jahrzehnte unberührt gelassenen Gerichtsakten der verschiedenen Verfahren zu sichten, die es nach dem Krieg gegen diese beiden Juristen gegeben hat. Denn deren Kalkül, möglichst viele Nazigegner umzubringen, um möglichst unbeschadet über die Zeit nach Hitler zu kommen, ist leider tatsächlich aufgegangen.
Zu Lasten Huppenkothens gingen auch Verurteilung und Hinrichtung von Bonhoeffers Schwager Hans von Dohnanyi am 6. April 1945 im KZ Sachsenhausen. Darauf bezieht sich im Jahre 2004 anlässlich der Münchener Ausstellung „Justiz und Nationalsozialismus“ der damalige Präsident des Bundesgerichtshofs Günter Hirsch: „Hans von Dohnanyi war Richter am Reichsgericht, dem Gericht, in dessen Tradition sich der Bundesgerichtshof von Anfang an gesehen hat. Er wurde von Verbrechern, die sich Richter nannten, ermordet. Die Täter wurden letztendlich durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes 1956 von diesem Justizmord freigesprochen mit einer Begründung, die zur Folge hatte, dass kaum einer der Richter, die während der Nazi-Herrschaft 30.000 Todesurteile gefällt hatten, zur Rechenschaft gezogen wurde.“ Dabei hatte ein Ernst Wiechert doch bereits im 1939 niedergeschriebenen und 1947 veröffentlichten Bericht über seine Leidenszeit im „Totenwald“, im KZ auf dem Ettersberg bei Weimar, Peiniger dieses Schlags klar und unmissverständlich Berufsverbrecher genannt.
Christoph U. Schminck-Gustavus versagt es sich nicht, darauf zu verweisen, wie erbärmlich diese einstigen Herren über Leben und Tod sich nachmals als Angeklagte aufgeführt haben: arrogant auftrumpfend, Erinnerung verweigernd, eigene Verantwortung leugnend, ohne Schuldbewusstsein, ohne Reue und Gewissen, ohne Bedauern für ihre Opfer und deren Angehörige. Wie zu lesen ist, hatten Angehörige Thorbecks noch anlässlich des 50. Todestages von Dietrich Bonhoeffer bei der Gedenkfeier in Flossenbürg eine Fürbitte für den inzwischen verstorbenen „Richter“ zu erwirken versucht. Der damalige Beauftragte des Amts für Evangelische Jugendarbeit in Bayern, Hans Schlicht, wusste ihr dreistes Ansinnen zu verhindern.
Ja, es gilt mehr denn je, das Vermächtnis der Opfer zu wahren und sich zu ihnen zu bekennen. Nicht zu unserer Selbstbeschwichtigung überstrahlt in diesem Buch die Würde der Aufrechten alles, was sie an Perfidität zu erdulden hatten, Ungeheuerliches, heute unfasslich. Helmuth James Graf von Moltke schrieb aus dem Gefängnis Tegel im Abschiedsbrief an seine Söhne Caspar und Konrad, damals sechs und zwei Jahre alt: „Ich habe mein ganzes Leben, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge, der Gewalt, der Überheblichkeit, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen wie Nationalismus im Exzess, Rassenverfolgung, Glaubenslosigkeit, Materialismus überwunden werde. Insoweit haben die Nationalsozialisten Recht, dass sie mich umbringen.“
Damit dieser Ungeist dauerhaft überwunden bleibt, ist es geboten, die Erinnerung an Männer wie Dietrich Bonhoeffer wach zu halten. Im vorliegenden, von Helmut Donat mit großer Sorgfalt edierten Buch gelingt das auf sehr eindringliche, sehr beklemmende Weise.
Christoph U. Schminck-Gustavus: Der Tod auf steilem Berge. Die „Standgerichtsprozesse“ gegen Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi und die Freisprechung der Mörder. Donat Verlag. Bremen 2020, 384 Seiten, 29,80 Euro.
Schlagwörter: Christoph U. Schminck-Gustavs, Dietrich Bonhoeffer, Helmuth James Graf von Moltke, Horst Möller, Justizmord, Otto Thorbeck, Walter Huppenkothen