23. Jahrgang | Nummer 14 | 6. Juli 2020

Beton in die Gewächshäuser

von Thomas Behlert

Es herrschte „die Zeit danach“, als „Friedensverhandlungen“ scheitern mussten und die kapitalistische Brut langsam aber sicher in den Osten einfiel und alles, was noch irgendwie zu gebrauchen war, unter sich aufteilte.

Bis zu dieser unseligen, verdammt falsch gelaufenen, „Wende“ arbeitete ich in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (Gemüse): LPG (G). Hier wurden auf vielen tausend Quadratmetern unter Glas Gemüse und Blumen angebaut. Tomaten wuchsen saftig und rot an kräftigen Pflanzen, von fleißigen Gemüsebäuerinnen gehegt und gepflegt. Bei grünen Gurken kam es weniger auf die Form und die Größe an, sie brauchten nicht nach EG-Maßstab alle gleich auszusehen, hatten noch die Möglichkeit krumm und besonders groß zu werden. Der Geschmack wurde als wichtig eingeschätzt und das Einhalten von Karenzzeiten ebenso. In anderen Gewächshäusern standen dicht an dicht Nelken, Veilchen im Topf und viele andere Zierpflanzen. Auch Jungpflanzen wie Salat, Blumen- oder Rosenkohl wuchsen gar kräftig in den Häusern aus Glas. Das Öffnen der Dachluken wurde automatisch durchgeführt und auch bei der Bewässerung war kaum noch Personal notwendig. Dieses konnte sich auf die Ernte, auf das Umtopfen oder einsäen konzentrieren. Jede der Frauen und Mädchen hatte eine erstklassige Ausbildung genossen, in der sie auch die hochsensible Technik beherrschen lernten.

Doch dann wurde im Jahre 1990 die Einheit beschlossen und gleich knallhart und zerstörerisch durchgeführt, das „Westgeld“ sollte den Ostdeutschen erreichen und alles in verblühte Landschaften verwandeln. So war schon früh klar, dass die Gewächshäuser nicht mehr notwendig waren. Um noch zu retten, was gar nicht mehr zu retten war, vermietete unser LPG-Vorsitzender die Gewächshäuser an verdammt kapitalistische Firmen, da diese unbedingt den Osten mit ihren überflüssigen Waren überschwemmen wollten, aber dazu keine passend großen Gebäude fanden.

So wurden die Gewächshäuser, in denen Tage vorher noch fröhliche Frauen ihre tägliche Arbeit verrichtet hatten, über Nacht leergeräumt. Die Nelken, Jungpflanzen, Tomaten und Gurken landeten auf einem großen Haufen und später auf der nahegelegenen Müllkippe. Die Erde aus den Gewächshäusern wurde mit großen Geräten auf die umliegenden Felder gekarrt, da man das dort Gesäte und Gepflanzte ebenfalls nicht mehr brauchen konnte. Und anschließend schüttete man tagelang Zementmischungen in die Gewächshäuser. Hilfsmaurer, gerade noch als Traktoristen, Einsatzleiter und Schlosser angestellt, zogen alles halbwegs glatt und ersetzten schnell und herzlos Mutterboden durch Kies, Sand und Beton – Materialien, die natürlich aus dem Hessischen nach Thüringen kamen. Kaum war der Untergrund trocken, begannen Super- und Baumärkte, Drogerien, Schuhverkaufsstellen und „Möbelbuden“ ihre Regale in diese Notunterkünfte zu stellen und mit bisher kaum vermissten Gütern vollzustopfen.

Die einstigen Heldinnen der Gewächshäuser, die teilweise Landwirtschaft oder Gartenbau studiert hatten, alles von der Aufzucht bis zur Ernte wussten und die Jungpflanzen als ihre Kinder bezeichneten, wurden zu Regaleinräumerinnen oder Kassengirls degradiert. Ausbildung war nicht mehr notwendig, um die verwässerten und schlecht gereiften Tomaten und Gurken aus Holland und Spanien aus Trucks zu entladen, einzuräumen und schließlich als tolle Teile zu verkaufen. Manches Herz blutete wochenlang. Geld floss nun in die Taschen skrupelloser Kapitalisten, die Volkswirtschaft hatte sich überholt.

Heute steht kein Gewächshaus mehr, die Märkte sind längst weg, es existiert nur noch ein Berg voller Scherben, ein weiteres Gebirge mit hart gewordener Erde, einzelne letzte Schrotteile und ein zerfurchter Betonfußboden, aus dem sich die Unkräuter längst einen Weg ans Licht gebahnt haben.