Ist sie noch ein Begriff, die „Gruppe Revolutionärer Pazifisten“, die 1926 auf Initiative Kurt Hillers begründet wurde und die sich im März 1933 auflösen musste? Die Frage ist rhetorischer Natur, denn trotz der mittlerweile etablierten „historischen Friedensforschung“ sind die Friedensbewegungen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, sind ihre Organisationen, Programme und Repräsentanten immer noch nicht Teil unseres historischen Bewusstseins. Im Gegenteil: Unverhüllter als noch vor wenigen Jahrzehnten wird die Gewaltoption als Mittel der Außenpolitik propagiert und beinahe ohne Widerstand wird das von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert. Die Bereitschaft, aus der Geschichte zu lernen, nimmt ab. Insofern ist die Beschäftigung mit einer pazifistischen Bewegung der jüngeren Vergangenheit nicht nur von historischem Interesse, sondern eignet ihr – allein durch ihr Vorhandensein – eine politische Dimension. Freilich muss man sich hüten, politische Handlungsanweisungen, „friedenspolitisches Handlungswissen“ von ihr zu erwarten – das wäre eine Überforderung.
In diesem Rahmen lese ich Rolf von Bockels Buch über „Kurt Hiller und die Gruppe Revolutionärer Pazifisten“, das er nun in einer zweiten, erweiterten Auflage herausgebracht hat, wobei die wertvollen Erweiterungen gegenüber der Erstauflage von 1990 mehr als ein Viertel des Buchumfangs ausmachen (Quellen, Mitglieder- und Veranstaltungslisten, Bibliographie, Register). Der Autor zeichnet die kurze Geschichte der Gruppe samt den Voraussetzungen, die zu ihrer Gründung führten, ungemein detailreich nach und skizziert das faszinierende Bild einer Gruppe, die neben den Hauptströmungen des Pazifismus ihrer Zeit ein ganz eigenständiges Programm entwickelt: zum einen durch die Zulassung einer bedingten Anwendung von Gewalt, mehr aber noch durch die Betonung der sozialen Revolution, „mit der bei drohendem Krieg das als kriegsträchtig perzipierte kapitalistische System überwunden werden sollte“.
Abgesehen von der Ligue Internationale des Combattants de la Paix in Frankreich sei „keine vergleichbare pazifistische Gruppe in einer Industriegesellschaft auszumachen, die sich wie die GRP zu einem spezifisch revolutionär-pazifistischen Programm mit eigentümlichen Elementen wie der Forderung nach einer Herrschaft des Geistigen bekannte.“ Das lag an der Herkunft ihrer Gründer aus den linksintellektuellen Kreisen im Umfeld der Weltbühne, die sich nach der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 zu radikalisieren begannen, da ihr Vertrauen in die politischen Institutionen schwand. So bedeutete die Gründung der Gruppe einen Schritt zur Differenzierung der organisierten Friedensbewegung. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Kurt Hiller zu, dessen pazifistische Positionen sich in diesen Jahren entscheidend wandelten: „Während er zu Beginn der zwanziger Jahre vor dem Hintergrund ethisch-psychologischer Überlegungen die Massenkriegsdienstverweigerung und die Propaganda für sie als Maßnahmen zur Kriegsverhinderung favorisierte, so waren ab Mitte der zwanziger Jahre seine pazifistischen Vorstellungen in erster Linie von machtpolitischen und herrschaftstechnischen Erwägungen geleitet“, schreibt der Autor Das führte in eine Nähe zur KPD, die zwar den Pazifismus ablehnte, in deren Lehre von der Herrschaft der revolutionären Avantgarde Hiller jedoch strukturelle Gemeinsamkeiten mit dem von ihm favorisierten, schwammig bleibenden Konzept einer „Herrschaft des Geistigen“ erkannte. Womit wir bei der Gefährlichkeit all jener Konzepte wären, die – wie etwa der sich auf die terreur Robbespierres berufende radikale Anarchismus Edgar Bauers – im Terrorismus des Geistes um den Preis des Lebens münden.
Die „Gruppe Revolutionärer Pazifisten“ – Walter Mehring gehörte dazu, Tucholsky, Ernst Toller und Rudolf Leonhard – blieb dem Milieu ihrer Herkunft verhaftet; dass ihre anspruchsvolle Essayistik kaum Wirkungen auf ein breites Publikum zeitigen konnte, war voraussehbar. Ihre Geschichte zeigt aber, dass sich die Weimarer Republik in den Jahren von 1924 bis 1929 eben nur scheinbar stabilisierte: Die Legitimation ihrer Institutionen schwand zusehends. Entsprechende Entwicklungen in der Gegenwart kritisch zu beobachten, könnte denn doch ein unmittelbarer Lerneffekt aus dieser Geschichte sein.
Rolf von Bockel: Kurt Hiller und die Gruppe Revolutionärer Pazifisten (1926-1933). Ein Beitrag zur Geschichte der Friedensbewegung und der Szene linker Intellektueller in der Weimarer Republik. von Bockel Verlag, Neumünster 2019, 444 Seiten, 29,80 Euro.
Schlagwörter: Friedensbewegung, Geschichte, Gruppe Revolutionärer Pazifisten, Hermann-Peter Eberlein, Kurt Hiller