Bald werden sie fordern, sofort mit dem Atmen aufzuhören“, orakelte düster Maria Sacharowa. „Und viele werden es sogar befolgen.“ Im visionären Blick hatte die streitbare Sprecherin des russischen Außenministeriums kurz vor Jahreswechsel allerdings nicht tödlichen polizeilichen Umgang mit schwarzen Mitbürgern in den USA, sondern weitere Sanktionen Washingtons wegen der Exportleitungen für russisches Gas Nord Stream 2 und TurkStream. Europa solle gezwungen werden, auf US-Energieträger umzustellen. Angesichts der jüngsten Proteste, bei denen von amerikanischen Politikern einmal mehr „die Hand Moskaus“ beschworen wurde, empfahl sie diesen jedoch die Beschäftigung mit den eigenen Angelegenheiten. Die Beschuldigung der Russen, des Kreml und Russlands sei einfach eine Missachtung des eigenen Volkes, sagte sie der Komsomolskaja Prawda.
Ständig seien die USA auf der Suche nach angeblichen Tätern, denen für US-amerikanische Handlungen die Schuld zugeschoben werden solle, klagte Sacharowa mit Blick auf die Zerstörung der strategischen Stabilität durch die reihenweise Kündigung von Abrüstungsverträgen. Erst sei es Russland gewesen nun China hinzugekommen, meinte sie Ende Mai während einer Online-Konferenz des Moskauer Diplomatischen Clubs. Russland sieht sich auch immer wieder Spionagevorwürfe ausgesetzt, die seiner Meinung nach von Schwierigkeiten und Skandalen zwischen Washington und Berlin ablenken sollen. So gebe es „anerkannte Fakten“, und es sei „bewiesen“, dass eben „die Amerikaner die Führung der Bundesrepublik, allen voran die Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört haben“, erinnert die Sprecherin des Außenamtes am Smolensker Platz gern an unangenehme und deshalb in Berlin absichtsvoll verdrängte Wahrheiten.
Unentwegt und mit „kolossalem Druck“ werde von Washington versucht, Berlin den eigenen Willen aufzuzwingen, bekräftigte Sacharowa im Juni. Das wiederum bestätigte kein Geringerer als der aus Deutschland scheidende US-Botschafter. Er tat dies gewohnt ruppig-arrogant und alles andere als diplomatisch mit einer unverhüllten Drohung gegen Deutschland. Den Hinweis auf öffentliches „Aufatmen“ über seinen Abschied quittierte Richard Grenell nach der unverschämten Art seines Chefs im Weißen Haus per Twitter: „Sie machen einen großen Fehler, wenn Sie glauben, der amerikanische Druck sei weg. Sie kennen die Amerikaner nicht.“
Oh doch, könnte in diesem Falle einmal im trauten Verein mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auch Maria Sacharowa antworten. Von 2005 bis 2008 leitete sie den Pressedienst der Ständigen UNO-Vertretung Russlands in New York. Da lernt man sich schon etwas kennen. Die seit 2015 erste Frau im Sprecheramt des Außenamtes ist Tochter sowjetischer Diplomateneltern und spricht mit Russisch, Englisch und Chinesisch die Sprachen dreier Vetomächte des UN-Sicherheitsrates. Von Präsident Wladimir Putin wurde sie in diesem Juni in den Rang einer Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafterin erhoben, was bislang nur wenige Frauen erreichten. Zu ihnen gehören seit 1997 die heutige Sprecherin des Föderationsrates, Walentina Matwijenko, und seit 2010 Eleonora Mitrofanowa, von 2009 bis 2016 Ständige Vertreterin bei der UNESCO. Die Absolventin der Fakultät für Internationale Journalistik/Orientalistik des renommierten Moskauer Instituts für internationale Beziehungen (MGIMO) und promovierte Historikerin muss das Ende der Karriereleiter noch nicht erreicht haben.
Die 44-Jährige ist eine Frau der klaren Worte und verbaler Konter. Freunde schätzen Direktheit, Kritiker beklagen Bissigkeit und Aggressivität. Einschätzungen wie „rücksichtsloser denn je“ oder „zynisch und grotesk“ der konservativen Neuen Zürcher Zeitung sind Wikipedia das Zitieren wert – oder auch der Schweizer Tagesanzeiger: „Maria Sacharowa hat eine Mischung aus Häme und Sarkasmus zu ihrem Markenzeichen gemacht.“ Autoren des Beitrages der Online-Enzyklopädie verallgemeinern flott, „die Äußerungen Sacharowas“ würden „von russischer Seite“ als „scharfe Polemik“, (das wäre die regierungstreue Rossiskaja Gasjeta vom 11. August 2015, zitiert nach Sputnik), aber auch „offen als sarkastisch“ eingeschätzt.
Letzteres geht ausgerechnet auf einen Bericht des im Westen ansonsten misstrauisch beäugten russischen Auslandssenders RT Deutsch vom 11. Dezember 2017 zurück. Darin hieß es: „,Unsere westlichen Partner haben in den letzten Tagen gesagt, dass es nicht Russland war, sondern sie, die Koalition, die den islamischen Staat in Syrien besiegt hat‘, schrieb Sacharowa auf ihrer Facebook-Seite und berief sich vor allem auf die Erklärung von Le Drian (Außenminister Frankreichs – d.V.). ‚Sehr geehrte Damen und Herren, hören Sie auf! Ihre Erfolge liegen im Irak, in Libyen und Afghanistan. Sie sollten stolz auf diese sein‘, sagte sie sarkastisch.“ Die Bewertung „von Nicht-Russen“ als „vulgär“ geht zurück auf einen Satz der Autorin Elena Servettaz in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Dezember 2015, die damit ausgerechnet „Sacharowas Humor“ im Umgang mit der Satirezeitschrift Charlie Hebdo geißeln wollte.
Eher zurückhaltend begegnete die Diplomatin dem Chef des Weißen Hauses gleich nach Amtsantritt der neuen US-Administration in der Erwartung, es werde keinen „Triumph der Freundschaft“ geben. Als „Coming out der Loser“ machte sie zuvor aber die Verschärfung von US-Sanktionen durch die scheidende Obama-Administration verächtlich und nannte „amerikanische Beschränktheit schlimmer als Terrorismus“. Anlässlich der Resolution des EU-Parlaments gegen russische Propaganda fragte sie provokant: „Kommen bald auch wieder Bücherverbrennungen?“
Als das Weiße Haus mitteilt, den Sieg über den Faschismus hätten die USA und Großbritannien errungen, ohne die Sowjetunion und andere Völker und Staaten zu erwähnen, weist die russische Sprecherin das scharf zurück. Keinen Frieden werde man mit solchen Fälschungen machen. Warschau mag nicht den 75. Jahrestag der Befreiung von den faschistischen deutschen Eroberern durch sowjetische Streitkräfte am 17. Januar 1945 begehen. Gedenkfeiern nur noch einiger Privatleute kommentiert Sprecherin Sacharowa mit dem Hinweis, dass bei dem Tempo der Umschreibung der Geschichte „die europäischen Antifaschisten wieder gezwungen werden, erneut in den Untergrund zu gehen“. Den ukrainischen Vorwurf, Moskau wolle einen „Keil der Geschichte“ zwischen Kiew und Warschau treiben, weist sie auf Facebook zurück: Russland treibt einen Keil in die „verbrecherische Umschreibung der Geschichte“.
Bei ihren offiziellen Briefings, die traditionell donnerstags stattfinden, ist die Diplomatin keinesfalls zurückhaltend. Hier erscheint sie schon mal im Zeichen des Protestes in einer gelben Weste mit der Aufschrift „Sputnik“. Sie hat sich einem Flashmob für die Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Sputnik Esti angeschlossen und kritisiert das Vorgehen der estnischen Behörden gegen die Journalisten als „wahre Hetze“. Es seien von ihnen “weder Gesetze des Landes noch die professionelle Ethik verletzt“ worden.
Eine Klarstellung musste sich von ihr BBC-Korrespondent Will Grant gefallen lassen. Dieser schrieb Präsident Putin die Aussage bei einem Besuch in Venezuela 2010 zu, dass es „zwischen den Amerikas kein Vakuum geben“ dürfe. Russland würde dies ausfüllen, wenn es die USA nicht täten. Die Worte stammten laut Sacharowas Recherchen hingegen von US-Außenminister Mike Pompeo 2019 in Chile. Zwei Jahre zuvor, erinnerte die Zeitschrift Kommersant, habe das russische Außenamt auf seiner Webseite eine Rubrik „Fake News“ ausländischer Massenmedien und deren Klarstellung eingeführt. Als Beispiel fungierte damals die Mitteilung, dass Russland dem US-Präsidenten die Auslieferung Edward Snowdens zum Geschenk machen wolle.
Seit 2003 im Ministerium für Außenwirkung zuständig, wird Maria Sacharowa in schwieriger Zeit zu einer Propagandistin mit immer größerer Reichweite. Sie habe seit 2013 die russische Diplomatie erfolgreich in die sozialen Netzwerke gebracht, loben Kenner. Maria Wladimirowna selbst agiert recht gern im Grenzbereich zwischen ihrem offiziellen Amt und einer persönlichen Facebook-Seite. Das eröffnet neben den mündlichen Verlautbarungen vor den in Moskau akkreditierten Korrespondenten aus aller Welt Spielraum – auch für Außenminister Lawrow.
Die Sprecherin erweist sich mit alldem nicht nur als die weniger rücksichtsvolle Stimme ihres Dienstherrn, sie verleiht der Außenpolitik zuweilen eine recht persönliche Färbung. Das Amt gibt ihren Worten Gewicht, sie aber auch amtlichen Äußerungen Schwung. Die Diplomatin gibt sogar der offiziellen Dienstuniform Chic. Auf Instagram kann man sie im Bikini mit einem Delphin schwimmen sehen, bei YouTube tanzt sie am Randes des Jugendforums „Maschuk-2019“ in Pjatigorsk den kaukasischen Lesginka. Beim Russland-ASEAN-Gipfel 2016 in Sotschi tanzte sie Kalinka vor Journalisten. Das setzt sie mit den Medien nun im höchsten diplomatischen Rang fort.
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