Die Idee hat charmanten Ehrgeiz: aktuelle junge Malerei aus ganz Deutschland. Präsentiert zuerst in drei zeitgleichen Ausstellungen in Chemnitz, Bonn und Wiesbaden. Danach noch einmal eine große, zusammenfassende Ausstellung in den Deichtorhallen in Hamburg.
Der die ganze Kultur lahmlegende Virus fügt es jetzt, dass die Deichtorhallen, die ihre Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ gerade noch vor dem Shutdown eröffnet hatten, zu den ersten Instituten gehörten, die ihre Pforten im Zuge der langsamen Lockerungen dem Publikum wieder auftaten. Jetzt verlängert bis Anfang August.
Es ist ein Ausstellungsgroßformat, eine Momentaufnahme als Porträt einer Generation. Die zwischen 1977 und 1989 geborenen Künstler und Künstlerinnen (in ausgewogener Geschlechterverteilung, versteht sich) arbeiten alle in der Bundesrepublik. Die meisten davon in den Akademiestandorten Berlin (12), Leipzig (10), Düsseldorf (9), Köln (6) und Hamburg (4). Eine Ausstellung in dieser Dimension und mit derartigem Anspruch ist natürlich eine Frage der Auswahl. Sieben Kuratorinnen und Kuratoren aus den beteiligten Institutionen haben über Recherchen, Atelierbesuche und Empfehlungen aus rund 200 Vorschlägen 53 Positionen ausgewählt. In Hamburg gibt es jetzt drei Beispiele für jeden Künstler, ergänzt durch die Kabinett-Ausstellung „Quadro“ mit Arbeiten von Kerstin Brätsch, Kati Heck, Stefanie Heinze und Laura Link.
Die auffälligste Besonderheit besteht in der Beschränkung auf das Medium Tafelbilder. Es geht also um Zeitgenossenschaft, die sich der traditionellen Königsform bedient. Ohne die formale Revolte gegen das „zweidimensionale Geviert“, wie es im Katalog heißt.
Diese Selbstbeschränkung ist aber auch schon das Provozierendste, auf das man bei aktueller Kunst gefasst ist oder gerne gefasst wäre. So werden anbiedernde Reflexe auf das Innovative der (a)sozialen Medien im Bestehen auf ureigene Mittel bewusst ausgeblendet. Dass sich die Corona-Krise und ihre Folgen nicht in den Kunstwerken wiederfinden, ist dem zeitlichen Vorlauf geschuldet. Für die von den Kuratoren selbstbewusst postulierte Aktualität der Ausstellung bleiben somit die individuelle Handschrift und die Motivauswahl entscheidende Kriterien.
Ob nun in den drei vorgelagerten Ausstellungen oder jetzt in Hamburg: Es bleibt der Eindruck, dass sich die Malerei vor allem selbst genügt. Deutliche Stellungnahmen zur Zeit, die auch direkt über eine figürliche Lesbarkeit auf gesellschaftliche Diskurse Bezug nehmen, gar den Ehrgeiz erkennen lassen einzugreifen, bleiben Ausnahmen.
Im weitesten Sinne gehören dazu die fragmentierende Körperlichkeit, mit der sich die in Leipzig arbeitende Russin Kristina Schuldt von ihrem Lehrer Neo Rauch emanzipiert hat, oder die martialischen Menschenbilder des ebenfalls in Leipzig arbeitenden Sonnebergers Sebastian Gögel. Auch der Berliner Moritz Schleime geht mit seinen selbstreflektierenden Atelier-Motiven geradezu konventionell figürlich zur Sache.
Eindrucksvoll sind die opulent apokalyptischen Albtraumvisionen, die der Schwede Hannes Michanek aus seinem Frankfurter Atelier beisteuert.
Bei Lydia Balkes kommen zur Ambition, Apokalyptisches ins Bild zu bannen, Versatzstücke altmeisterlicher Detailverliebtheit. Das bleibt ebenso nachhaltig im Gedächtnis wie auch die schon in Bonn gezeigte großformatige Gouache „Halbzeit“ des in Berlin ausgebildeten Cottbussers David Lehmann.
Auf der anderen Seite setzen die Spielarten der Abstraktion vor allem auf eine Demonstration formaler Virtuosität. Hier wird der Umgang mit Farbe, Form und Zeichen als Selbstbehauptung der Malerei zum Indiz für Aktualität. Wie immer ist die allerdings ohne Beipackzettel kaum zu entziffern. So oder ähnlich wären diese Positionen also auch schon in den zurückliegenden Jahrzehnten möglich gewesen.
Ein latenter Rechtfertigungsbedarf hängt in dieser Ausstellung allein schon deshalb in der Luft, weil der Weg des Tafelbildes auf den Markt einfach kürzer ist als für Installationen oder grenzüberschreitende Werke, die für den öffentlichen Raum (oder das Museum) gedacht sind. Andererseits disqualifiziert es diese Form nicht per se, dass sie auch purer Wandschmuck oder spekulative Wertanlage sein kann.
Beim Gang durch die Ausstellung vermag der Besucher alles in allem mehr Vergnügen dabei zu entwickeln, in den Werken den Inspirationen aus der (auch jüngeren) Geschichte der Malerei nachzuspüren, als sich einem Was-will-der-Künstler-damit-sagen?-Quiz zu widmen. Oft wirkt die Lust an Farbe und Form wie eine Flucht ins Schöne und der Erinnerung. Wie die atmosphärischen Farbflächen des Leipzigers Benedikt Leonhardt etwa, der an die frühen Arbeiten von Peter Krauskopf erinnert. Genügend Stoff für ein eigenes „Best of“ bietet die Ausstellung allemal. Was die Malerei des beginnenden 21. Jahrhundert in Deutschland gewesen sein wird, das wird sich erst mit mehr zeitlichem Abstand erweisen.
Fazit. Bei aller Vorherrschaft von Nichtmalerei auf den Blockbuster-Ausstellungen wie den documentas oder den Biennalen in Venedig: Die Hamburger Ausstellung zeigt, dass das Tafelbild nach wie vor nicht nur die Marktmacht des Faktischen auf seiner Seite hat, sondern auch eine Vorliebe der Künstler und des Publikums für dieses Medium.
Und sie belegt, dass die Malerei lebt, sich dezidiert auf sich selbst zu besinnen und die Freiheit, die dieses Medium auch bietet, zu nutzen vermag. So kann sie sich im Zeitalter der Beschleunigung und der Eskalation der Bilderfluten selbstbewusst behaupten. Ihre Nähe zum Menschen hat die Malerei jedenfalls nicht verloren.
Jetzt. Junge Malerei in Deutschland. Deichtorhallen Hamburg/Halle für aktuelle Kunst, bis 9. August 2020.
Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag, München, ein Katalog, herausgegeben von Stephan Berg, Alexander Klar, Frédéric Bußmann. Ca. 300 Seiten, im Buchhandel 45,00 Euro, in der Ausstellung 35,00 Euro.
Schlagwörter: Deichtorhallen, Joachim Lange, Malerei