23. Jahrgang | Nummer 12 | 8. Juni 2020

Der Besitzer des schwarzen Freundes

von Mario Keßler

Würde ein weißer Mensch seinen schwarzen Freund fragen, ob er schon einen neuen Besitzer gefunden habe, so fände Letzterer das kaum lustig. Die Frage sei sehr unpassend, laufe sie doch auf eine Verharmlosung der Sklaverei hinaus, würde er höflich antworten. Nein, dies sei ein Missverständnis, könnte der Weiße entgegnen – zumindest wenn das Gespräch in Englisch geführt würde. Er habe gefragt: „Did you find a new owner?“ – Hast Du einen neuen Vermieter gefunden?

Bislang müsste eine solche Frage lauten: „Did you find a new landlord?“ Doch das gute alte Wort landlord (übrigens der Titel eines der schönsten Lieder von Bob Dylan) soll künftig Platz machen für das Wort owner. Nur ist der landlord zweifelsfrei ein Vermieter, der owner ist dies nicht notwendigerweise, sondern kann auch den Besitzer bezeichnen. Was passiert übrigens mit der landlady, der Vermieterin?

Zwar nutze ich weder Twitter noch ein anderes der angeblich sozialen Medien, doch konnte mir kaum entgehen, worauf sich rechte Fernsehstationen, Zeitungen und Internetforen von Fox News bis PI-News kürzlich stürzten: Es geht um eine von UN Women, der UNO-Kommission für Gleichstellung und soziale Teilhabe von Frauen, über Twitter verbreitete Liste englischer Wörter, die – weil nicht gender-sensibel – nicht mehr benutzt werden sollten (United Nations, 18 May 2020: Why what we say matters).

Demnach soll – völlig verständlich – der policeman durch den police officer ersetzt werden, der fireman durch den firefighter oder der chairman durch den chair. Ich unterrichte und publiziere seit vielen Jahren auch in Englisch und nutze die gender-neutrale Sprache, wo immer das möglich ist. Doch können Wörter wie landlord und landlady einfach nicht durch den geschlechtsneutralen owner ersetzt werden, ohne dass es zu fatalen Missverständnissen kommt.

Die Liste schlägt vor, die Wörter boyfriend und girlfriend durch partner zu ersetzen. Aber wie unterscheide ich den Geschäftspartner vom Lebenspartner? Einen Sinn ergibt zwar die Ersetzung des Wortes maiden name (Mädchenname) durch family name. Doch kann auch das zu Missverständnissen führen: Der family name, also der Familienname, ist bisher noch der Nachname, der aber auch als surname oder last name bezeichnet wird. Dies müsste also weltweit auf Millionen von Dokumenten klar präzisiert werden.

Übrigens: Warum gab und gibt es keinen Proteststurm (ein kultiviert Englisch sprechender Mensch würde niemals „shitstorm“ schreiben) gegen den Begriff race (Rasse) auf offiziellen US-amerikanischen Dokumenten, wenn nach der ethnischen Herkunft gefragt wird? Ich habe in den USA diese Spalte in Bewerbungsbögen unausgefüllt gelassen, weshalb mir womöglich die Chance auf das eine oder andere Arbeitsangebot entging.

Das amerikanische Census Bureau, die Volkszählungsbehörde, bezeichnet mit dem Begriff race offiziell die Selbstidentifikation (self-identification) einer Person mit einer oder mit mehreren ethnischen Gruppen. In diesem Jahr könnte (noch aber ist es nicht offiziell) der entsprechende Fragebogen geändert werden, indem schlicht nach Kategorien (categories) und nicht mehr nach race gefragt wird. Es wäre ein begrüßenswerter Fortschritt in Richtung eines sensiblen Verständnisses von Sprache.

Ich möchte mich hier nicht bei der (höchst umstrittenen) Unterscheidung von biologischem und sozialem Geschlecht, von Zwei- oder Vielgeschlechtlichkeit aufhalten, die bei solchen Fragen unvermeidlich in die Debatte kommt – oft aber, um dem Kernproblem auszuweichen, und hier sei nochmals auf den Begriff der race zurückzukommen:

Die Registrierung der ethnischen Herkunft von Einwanderinnen und Einwanderern in die USA wurde zum Politikum, als der Kongress 1924 strikte Einwandererquoten festlegte. Über eine bestimmte Zahl hinaus, die für jede ethnische Gruppe verbindlich wurde, war Einwanderungswilligen die Einreise versagt. Diese Quoten blieben lange Zeit starr und wurden gegenüber Deutschen (was ab 1938 auch Österreicher einschloss) auch dann nicht gelockert, als dies für viele der Asylsuchenden zur Frage von Leben und Tod wurde (deutsche Juden galten umstandslos als Deutsche). Hinzugefügt sei, dass durch private Initiativen Tausende von Flüchtlingen durch sogenannte non-quota visas ins Land kamen, da amerikanische Stellen für sie vorab Arbeitsplätze besorgt hatten – zumeist unter großem Einsatz gegen bürokratischen Widerstand.

Das Wort race wurde zum Schlüsselwort. Durch die daran geknüpften Zuweisungen konnte eine Kontrolle über den Arbeitsmarkt ausgeübt werden. Es bezeichnete also Abhängigkeitsverhältnisse (obgleich es sie zu verschleiern drohte), die stets – in letzter, nicht in erster Instanz – Klassenverhältnisse sind. Doch in den 1960er Jahren nutzte die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung das Schlüsselwort in ihrem Sinn in der Kampagne um „affirmative action“. Das nur schwer zu übersetzende Wort bezeichnet die durch Quoten gesicherte institutionelle Bevorzugung bislang benachteiligter Minderheiten, etwa beim bevorzugten Zugang schwarzer Amerikaner zum Studium an Elite-Universitäten, das ihnen bislang verschlossen war, oder auch bei der Besetzung von Professorenstellen. Natürlich offenbarte die an sich begrüßenswerte Maßnahme auch bald ihre Nachteile: Schwarze Bewerber erhielten Stellen auf Kosten weißer oder asiatischer, manchmal deutlich besserer Kandidaten.

Über eine andere Konsequenz der „affirmative action“ las und liest man jedoch wenig: In den USA entstand in den letzten Jahrzehnten eine breite Schicht der afroamerikanischen Bourgeoisie, die durch ihre finanzielle Lage und ihren sozialen Habitus das Fundament der herrschenden Klasse qualitativ und quantitativ verbreitert hat. Ihre Angehörigen agieren als Teil der Herrscherklasse insgesamt keinen Deut besser oder schlechter als ihre weißen Kolleginnen und Kollegen. Nur üben sie durch ihre Präsenz darüber hinaus einen das System stabilisierenden Einfluss auf ihre schwarzen Landsleute aus, denen es nicht so gut geht. Ein Teil dieser schwarzen Bourgeois-Angehörigen tritt unverhohlen reaktionär auf – bis hin zur Unterstützung für den gegenwärtigen Präsidenten. Ein anderer Teil schmückt sich gern mit der eigenen oder zunehmend der Vergangenheit von Eltern und Großeltern in der Bürgerrechtsbewegung. Die kämpfte aufopferungsvoll auch für die Rechte der oft doppelt benachteiligten Frauen. Geschlecht und Klasse waren damals zwei Seiten der Ausbeutungsgesellschaft.

Ihre Nachfahren streben, zusammen mit weißen Frauen und Männern, nach dem, was sie als politisch korrekte Sprache verstehen. Einen solchen Kampf mögen sie gewinnen – das kostet die Herrschenden nichts. Den radikalen Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit und für ein Sozialsystem zu führen, das diesen Namen verdient, erfordert indes mehr Mut und trifft auf härteste Gegenwehr der ökonomisch und politisch Mächtigen – wenngleich diese Forderungen seit Jahrzehnten zum Grundrechtekatalog der UNO gehören. Ist der Ruf nach einer gender-sensiblen Sprache Teil des Kampfes für eine gerechtere Welt oder letztlich – gerade durch Übertreibungen – das Ausweichen auf ein Ersatz-Schlachtfeld, nachdem man es aufgegeben hat, die entscheidende Schlacht zu führen?