23. Jahrgang | Nummer 10 | 11. Mai 2020

Der Mord an Hans Paasche vor 100 Jahren

von Helmut Donat

Die Berliner Monatszeitung Die Wahrheit, die mit antisemitischen Parolen um sich warf, macht Hans Paasche nach dessen Ermordung am 21. Mai 1920 als „unheilvollen Mann“ verächtlich, der sich über den Pazifismus hinweg „in die verbrecherischen Irrungen des russischen Bolschewismus“ begeben habe. Dem widerspricht Karl Vetter in der Berliner Volkszeitung: Paasche „war Revolutionär, gewiss. Aber einer, der zu der Menschart Gustav Landauers gehörte.“ Ebenso urteilt der mit Paasche befreundete Hauptmann a. D. Willy Meyer im Vorwärts: „Der Kommunismus, der ihm nachgesagt wird, bewegte sich in der Richtung des Kommunismus Jesu Christi, zu dem sich ja die ganze europäische Menschheit (wenigstens mit den Lippen) offiziell bekennt.“

Schlimmer noch als die üblen Nachreden im Paasche feindlich gesinnten Teil der Presse nahm sich der amtliche Bericht des mit der Untersuchung des Falles beauftragten Polizeirats aus. Darin gilt Paasche als notorisch Geisteskranker, gewerbsmäßiger Wilddieb und wegen seines Umgangs und Freundeskreises als Rechtsverächter, der fünf Menschen auf dem Gewissen und den sein schlechtes Gewissen zur Flucht getrieben habe.

„Jedem“, bemerkt Willy Meyer dazu, „der Hans Paasche nahestand, werden die Adern schwellen, wenn er die amtlichen Berichte über seine Erschießung liest. Ich sehe davon ab, dass diese Berichte Widersprüche, Lücken, Flüchtigkeiten aufweisen. Das Empörende und Aufpeitschende an ihnen ist, dass sie sich nicht darauf beschränken, die Tatsachen darzustellen, sondern dass sie Urteile bringen, die mit dem Vorgang der Erschießung in keinem direkten Zusammenhang stehen – Urteile, die einen Mann, der tragisch geendet hat, in beispielloser Weise verunglimpfen. Dass Paasche erschossen wurde, ist eine Schmach. […] Ohne Grund wurde Paasche amtlich getötet. Und amtliche Organe scheuen sich nicht, das Opfer in der hässlichsten Weise zu beschmutzen. Es gibt keinen Ausdruck, der zu scharf wäre, um ein solches Verfahren zu brandmarken.“

Keineswegs haben Menschen, die Paasche bewunderten, dessen Schwächen übersehen. Warum auch? Walter Hammer nennt zum Beispiel seine „bisweilen nicht gerade salonfähige Art des Auftretens und Sprechens“, was ihm manche Feinde eingebracht habe. Auch sein radikales Agieren mag nicht immer auf Verständnis gestoßen sein. Paasche reagierte oft ungezwungen, spontan und unangepasst, im militärischen Leben wie im privaten.

Über den Verlauf der Ereignisse am 21. Mai 1920 gehen die Darstellungen weit auseinander, und volle Klarheit ist nie erreicht worden, zumal die Behörden selbst nichts zur Aufklärung des Falles getan, sondern den wahren Hergang verschleiert haben. Paasche wusste, dass er auf der Todesliste von Gegenrevolutionären stand, die offenbar mit dem Kapp-Putsch zu tun hatten – bezeugt vor allem von Max Kirsch, dessen Irrfahrten und Erlebnisse in Afrika und auf dem europäischen Kriegsschauplatz Paasche in dem 1915 erschienenen Buch „Fremdenlegionär Kirsch“ geschildert hat.

Kirsch nahm an der Bestattung seines Freundes teil, stellte persönliche Untersuchungen und Befragungen an und veröffentlichte seine Eindrücke Ende Juli 1920 in der Halbmonatsschrift Junge Menschen. Er sei, teilt er mit, zu der Auffassung gelangt, „dass Paasche einem vorbereiteten Anschlag zum Opfer gefallen ist“. Paasche selbst habe ihm noch wenige Tage vor seinem Tod mitgeteilt, verfolgt zu werden. Als „bester Beweis“ dafür, dass Paasche nicht durch Zufall erschossen, sondern Opfer eines vorbedachten Mordes geworden sei, führt Kirsch die Vorgeschichte des Mordes und seine Begleitumstände an.

Anonyme Anzeigen und fortwährende Drohungen von deutschnationaler Seite hätten Paasche bereits vor der Gefahr gewarnt, in der er sich befand. Der Weg zu seinem Gut „Waldfrieden“ in der Nähe von Kreuz (Ostbahn) – dem heutigen Krzyż Wielkopolski – führe zumeist durch dichten Wald. Mehrfach sei Christian Hust, der Kutscher des Gutes, in den Wochen vor dem Mord auf der Rückfahrt von der Bahn von bewaffneten Zivilisten angehalten, bedroht und nach Paasche gefragt worden. Auch Paasche selbst habe auf den Fahrten von und zu der Bahn bemerkt, wie ihn im Wald Bewaffnete verfolgten und beobachteten. Noch zwei Tage vor der Bluttat, als er sich in Begleitung des Malers Lars, Ehemann der Kinderfrau auf dem Gut, erneut auf dem Weg zur Bahn befand, fiel ihnen auf, dass ein Mann sie beharrlich mit einem Feldstecher ins Visier nahm. Dass bereits am 1. Mai 1920 in der Arnswalde-Friedeberger Gegend das Gerücht umging, dass etwas gegen Paasche geplant sei, spricht ebenfalls für einen von langer Hand vorbereiteten Anschlag.

Paasche, so Kirsch weiter, war bei dem Attentatsversuch auf den Pazifisten Hellmut von Gerlach in einer Versammlung in der Aula der Charlottenburger Schule Knesebeckstraße am 20. Februar 1920 Zeuge gewesen. Bei seinem Vortrag ist von Gerlach nach seinen einleitenden Worten durch eine Flut von Zwischenrufen am Weiterreden gehindert worden. Sogleich drangen Uniformierte und Mitglieder eines Freikorps aus der Mitte des Saales nach vorne, rissen ihr Opfer zu Boden, beschimpften und misshandelten es mit ihren Stiefeln schwer. Allein dem beherzten Eingreifen von Frauen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit verdankte es von Gerlach, dass er am Leben blieb. Neben von Gerlach wurden auch der Versammlungsleiter Emil Julius Gumbel sowie Teilnehmer der Versammlung blutig geschlagen. Auf seine Anzeige hin erhielt von Gerlach vom Staatsanwalt mitgeteilt, dass es keine gesetzliche Grundlage gäbe einzuschreiten, solange nicht der Nachweis erbracht sei, dass Zivilisten beteiligt gewesen wären. Der Mordversuch an Hellmut von Gerlach ist als Teil einer Serie von vorbedachten Terrorakten anzusehen, von der insbesondere Mitglieder des pazifistischen Bundes Neues Vaterland oder ihm nahestehende Personen betroffen waren.

Nach Kirschs Bericht fuhr der am 20. Mai aus Berlin zurückgekehrte Paasche von der Bahnstation auf sein Gut nicht mit dem Wagen, sondern ging den 18 Kilometer langen Weg aus Vorsicht zu Fuß zurück und mied dabei die Fahrstraße. Unterwegs machte er, erschöpft und niedergedrückt, bei befreundeten Nachbarn Rast und bat um eine Erfrischung. Den von seinem Aussehen erschrockenen Leuten vertraute er an, sich nirgendwo mehr zeigen zu dürfen. Am nächsten Tag erfolgte die Ermordung.

Am Pfingstmontag, dem 24. Mai, war Kirsch Zeuge der von einem Kriegsgerichtsrat geleiteten „Untersuchung“. Zwei sich auf der Terrasse aufhaltende Soldaten waren ihm als Paasches Mörder genannt worden. Als Kirsch ihnen ihre Tat vor Augen führte, reagierten sie zunächst sehr verstört. Doch der Kriegsgerichtsrat ergriff für sie Partei und beruhigte sie.

Über den Tathergang berichtet Kirsch – und damit kommt er den realen Umständen offenbar sehr nahe – Folgendes: Kurz vor seiner Ermordung befand sich Paasche am zu seinem Gut gehörenden Tiefsee beim Baden. Zur gleichen Zeit umstellte ein Trupp von 60 Mann bewaffneter Soldaten das Gehöft. Sie führten unter dem Kommando von zwei Offizieren Maschinengewehre mit sich. Niemand habe das Heranschleichen der Truppe durch den Wald bemerken können. Paasche ist mit seinen Kindern am See noch außerhalb der Umzingelung gewesen. Da man ihn im Gutshaus nicht vorfand, aber seinen Aufenthaltsort erfahren hatte, schickte man den Wachtmeister der Gendarmerie von Hochzeit an den See, um ihn zu holen. Hans Paasche, inzwischen im Bereich der Umzingelung, suchte instinktiv Deckung, als er die Soldaten und die Gefahr, in der er schwebte, bemerkte. Daraufhin eröffneten diese das Feuer auf ihn. Irgendeine Möglichkeit zu fliehen, bestand nicht, da er inzwischen eingekreist war. Seine zahlreichen Verfolger hätten Paasche leicht festnehmen können.

Zunächst ließen die Soldaten den Leichnam im Wald liegen. Erst nach wiederholten Bitten der Kinderfrau und Hausdame Lars ist er ins Haus gebracht worden. Man legte den Toten in einem Zimmer ab, das niemand betreten durfte. Dort blieb er zwei volle Tage der Sonne ausgesetzt. Offenbar wollte man die Untersuchung behindern. Dennoch haben Freunde Paasches das Zimmer geöffnet. Zwei Gutsarbeiter, ehemalige Sanitäter, stellten beim Waschen des Leichnams Spuren von Gewalttätigkeiten fest, die offenbar von Kolbenschlägen stammten. Das legt den Verdacht nahe, dass Paasche noch vor seiner Ermordung Misshandlungen ausgesetzt gewesen war.

Hans Paasche: „Ändert Euren Sinn!“ Schriften eines Revolutionärs, Herausgeber Helmut Donat und Helga Paasche, Bremen 1992, 266 Seiten, 15,40 Euro.

Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland, Bremen 2010, 168 Seiten, 12,80 Euro.

Beide Titel sind im Donat Verlag erschienen und über den Verlag erhältlich.