Dass jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind“, schrieb Karl Marx. Genau das erleben wir zurzeit. Nicht die Pandemie hat den Wirtschaftseinbruch verursacht, sondern der verordnete Shutdown, der trotz der sich seit Längerem andeutenden und im produzierenden Gewerbe schon im Gange befindlichen Wirtschaftskrise in gewisser Weise geplant ist. Zum allerersten Mal in der Geschichte werden schon zu Beginn einer Krise und noch bevor sie sich voll entfaltet hat, Programme zu ihrer Bewältigung verkündet. Es wird nicht gekleckert, sondern mit Billionen geklotzt. Die Regierungen verabschiedeten finanziell riesige Stabilisierungspakete und internationale Organisationen legen Stützungsprogramme auf. Die Zentralbanken rund um den Erdball verkündeten unfassbar hohe Ankäufe von Schuldpapieren. Mario Draghis berühmte Worte „whatever it takes“ mochte EZB-Chefin Christine Lagarde zwar nicht wiederholen, aber ihr „there are no limits“ steht dem in Nichts nach. Den Vogel schoss vielleicht Donald Trump ab, der jedem Steuerzahler einen Scheck über 1200 Dollar schicken ließ. Weil Trump in letzter Minute forderte, jeden dieser Schecks noch mit seinem Namen zu versehen, wurden Druck und Versand erstmal angehalten und der geplante Abwurf des „Helikoptergeldes“ verzögerte sich; so viel Zeit muss sein im Wahljahr. Vielleicht wird Trump zu den großen Gewinnern der Krise gehören. All das ist historisch völlig unvergleichlich und noch nie dagewesen. Wird diesmal alles anders?
Um darauf eine Antwort zu geben, sind die Fragen zu beantworten, wofür das Geld ausgegeben wird, wer es bekommt, was es bewirkt und wer dafür bezahlt. Neben dem Gesundheitswesen erhält natürlich die Privatwirtschaft den Löwenanteil der Zahlungen und Kreditbürgschaften. Anders als vor zehn Jahren befindet sich der Finanzsektor nicht akut im Crash, so dass die Sicherung der wirtschaftlichen Substanz und der Arbeitsplätze im „Realsektor“ im Mittelpunkt stehen. Es gibt Steuererleichterungen, günstige Kredite und Bürgschaften, nicht rückzahlbare Unterstützungen und Zuschüsse bei Kurzarbeit. Ein weit geringerer Teil der Corona-Hilfen fließt in die sozialen Budgets und in die Aufrechterhaltung der Einkommen von Arbeitslosen, Kurzarbeitern, Freiberuflern und kleinen Gewerbetreibenden, die alle unweigerlich verlieren werden. Solidarisch wie die Gewerkschaften sind, wird auf Tariferhöhungen verzichtet. Die völlig überarbeiteten Beschäftigten des Pflege- und Gesundheitswesens werden mit öffentlichen Klatschkonzerten belohnt.
Die ganze Hilfskonstruktion ist gemäß dem Charakter der Wirtschaftsordnung von vornherein asymmetrisch. Wird diese Ordnung nicht in Frage gestellt, geht es auch gar nicht anders; Sicherung der Arbeitsplätze schließt hier immer Unterstützung der Kapitalverwertung und Reproduktion der sozialen Widersprüche ein. Ein paar Stellschrauben für mehr Symmetrie gäbe es freilich schon. So könnte die Einkommens- und Vermögenselite, die ja über den Großteil des zu rettenden Produktivvermögens verfügt (die zehn Prozent der Reichsten halten zwischen 56 bis 66 Prozent aller Privatvermögen, darunter auch das meiste Betriebsvermögen), zu einer Kostenbeteiligung in Form einer Vermögensabgabe herangezogen werden. Schließlich resultierte das in den vergangen Jahrzehnten von der allgemeinen Entwicklung völlig abgehobene Wachstum der Vermögen dieser Klasse auch aus Lohnzurückhaltung, Steuer- und Abgabensenkungen und dem Aussetzen der Vermögensteuer. Diese Art der Beteiligung an der Rettung ihres eigenen Sachvermögens einzufordern, rührt keineswegs am Bestand der Wirtschaftsordnung. Außerdem gibt es nicht überall einen Shutdown. Der medizinisch-pharmazeutisch-industrielle Komplex und die großen Internet-Plattformen gehören zu den Gewinnern. Dort schießen die Aktienkurse in den Himmel und es wird wohl schon der Champagner kalt gestellt. Könnte da nicht dem Gemeinwesen ein angemessener Anteil am unverhofften Geldregen gesichert werden?
Wenn Steuerzahlungen rückläufig sind und Staatsausgaben steigen, wachsen Defizit und Staatsverschuldung. Das unvermeidliche Gegenstück dieser Verschuldung sind Forderungen auf künftige Staatseinnahmen in Form von Wertpapieren, die irgendwer erwerben muss. Sind das die Arbeitnehmer und Geringverdiener, die kleinen Selbständigen und die Hartz-IV-Empfänger? Natürlich nicht, denn zum Forderungserwerb braucht es Vermögen. Diese Forderungen werden vor allem von Finanzunternehmen erworben. Und wem gehören diese letztlich? Es lässt sich drehen und wenden wie man will, es ist wiederum die mittels Staatsknete gerettete Vermögenselite, die an dieser Aktion nochmal verdient, weil sie zum Inhaber dieser Forderungen wird. Man reißt dem Staat die Anleihen förmlich aus den Händen und Altruismus ist dafür keinesfalls der Grund. Es macht nichts, dass diese negativ verzinst sind. Sie sind als besonders sichere Papiere immer noch lukrativer als andere Anlageformen und dienen daher der Portfolioabsicherung, um riskantere, aber auch renditeträchtigere Geschäfte machen zu können. Verrückte Welt? Nein, gewöhnlicher Kapitalismus.
Wenn Wirtschaft und Staatseinnahmen wieder wachsen, können die Inhaber der Forderungen am Ende der Laufzeit ausbezahlt werden. Was ist, wenn die öffentlichen Einnahmen nicht wie geplant steigen? Staaten können sparen, Steuern erhöhen, neue Anleihen begeben oder im Extremfall ihre Zahlungsunfähigkeit erklären und die Gläubiger müssten ihre Forderungen ganz oder teilweise abschreiben. Im ersten Falle können die Regierungen nicht mehr so viel ausgeben, wie es vielleicht sinnvoll und notwendig wäre. Das hat in der Vergangenheit zu einem schmerzlichen Mangel an Infrastrukturinvestitionen geführt; allein der kommunale Investitionsrückstau wird auf 160 Milliarden geschätzt. Viele Länder kommen heute auch deshalb an die Grenzen ihrer Gesundheits- und Pflegesysteme, weil diese kaputtgespart wurden. Die Zeche wird mit Corona-Toten, mit mangelnder Betreuung in den Pflegeheimen und Kliniken und mit Mehrarbeit des Personals bezahlt. Die zweite Möglichkeit sind Steuererhöhungen. Aber da ist sich das Establishment aus Hochverdienern und Vermögenden mit den meisten Politikern einig: Steuererhöhungen darf es nicht geben, ganz im Gegenteil, wie immer werden jetzt Steuersenkungen gefordert. Geht es der „Wirtschaft“ schlecht, fordert sie Steuersenkungen, weil es ihr schlecht geht, geht es ihr gut, werden Steuersenkungen gefordert, weil der Staat angeblich zu viel einnimmt. Was bleibt dann eigentlich noch, um Kredite zu tilgen und Anleihen zu bedienen, wenn nicht der Bankrott erklärt werden soll? Neue Anleihen. Und wer soll die kaufen, wenn die Konjunktur anspringt und sich DAX-Papiere wieder lohnen? Zentralbanken. Sie kaufen den Vermögenden die jetzt vergleichsweise weniger lukrativen Papiere mittels Zentralbankgeld ab, das sie drucken beziehungsweise den Konten der privaten Anleihebesitzer gutschreiben. Bezahlt wird mit neu geschaffenem Geld. Voodoo-Economics? Natürlich nicht, die Zentralbank hat ja jetzt die Staatspapiere und wenn diese fällig werden, beginnt das Spiel mit den Anleihen erneut. Und das funktioniert solange, wie das Zentralbankgeld im Gegenzug zu den Forderungen akzeptiert wird. Alte Forderungen werden durch neue Forderungen abgelöst. Allerdings bläht das neue Geld, dem keine realen Werte, sondern nur Zahlungsversprechen entgegenstehen, die Finanzmärkte auf und es wird Inflationspotenzial aufgebaut. Solange die Nachfrage nicht deutlich rascher als das Angebot steigt, ist die Inflationsgefahr erstmal gering, aber die Rechnung wird bezahlt werden. Folgen und Risiken, die Spesen des Shutdowns, werden auf eleganteste Art und Weise der Allgemeinheit übergeholfen. Sind in der Krise also wirklich alle solidarisch und gleich? Es ist wie immer: Manche sind gleicher. Oder, wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz es einmal formulierte: „Sozialismus für die Reichen.“
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