Auch in Zentralasien ruft die Coronavirus-Infektion besondere Beunruhigung hervor. Derzeit leben in der Region nach offiziellen Angaben mehr als 70 Millionen Menschen: in Usbekistan 33, in Kasachstan 18, in Tadschikistan 9,5 und in Kirgistan 6,5 Millionen; während für Turkmenistan keine genauen Zahlen vorliegen. Auf die zentralasiatischen Republiken kann sich die Verbreitung von Covid-19 in Russland und die daraus folgende Rezession verheerend auswirken. Allein 2019 fuhren mehr als 4,5 Millionen Migranten aus Zentralasien nach Russland zur Arbeit, zum Studium oder sie lebten ständig dort, darunter aus Tadschikistan 507.000 Menschen. Nach Angaben von Experten sind die Überweisungen der Migranten insbesondere in Tadschikistan und Kirgistan eine wesentliche Unterstützung für die ökonomische und die soziale Sphäre. Arbeitsverluste, Verdienstausfälle und die Rückkehr der zentralasiatischen Migranten in die Heimat könnten die nationalen Volkswirtschaften ernsthaft schädigen.
Die Entwicklung im Hinblick auf die Coronavirus-Infektion widerspiegelt die Lage in den Staaten der Region, die man im Grunde in drei Gruppen oder Kategorien einteilen kann. Eine erste Gruppe bilden die wohlhabenderen Länder, Kasachstan und Usbekistan, in denen die oberste Führung unlängst gewechselt hat. Hier wurden nach den ersten Erkrankungen infolge einer Coronavirus-Infektion konkrete Maßnahmen ergriffen, um eine Verbreitung zu verhindern. In Kasachstan unterschrieb Präsident Quassym-Schomart Tokayew bereits am 15. März einen Erlass über die Einführung des Ausnahmezustands, der insbesondere ein Quarantäneregime in den größten Städten des Landes vorsieht. Am 31. März informierte der Staatschef über Antikrisenmaßnahmen zur Unterstützung von Bürgern und Unternehmen, einschließlich der Indexierung von Renten und staatlichen Zuwendungen, darunter Sozialhilfe im Umfang von 200 Milliarden Tenge (rund 400 Millionen Euro). Gleichzeitig wurde eine monatliche Sozialhilfe für arbeitslose und selbstbeschäftigte Bürger eingeführt, für 800.000 Invaliden und Arbeitslose werden unentgeltlich Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt. Zur Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen wurden Steuererleichterungen, Stundungen und die Umstrukturierung von Krediten und andere Maßnahmen beschlossen.
Diese Schritte schätzte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, im Telefongespräch mit Tokayew am 2. April hoch ein. Bis zum 3. April war die Zahl der Infizierten in Kasachstan auf 445 gestiegen. In einer derart schwierigen Zeit stellt der Virus nicht nur die Festigkeit von Staat und Volk auf die Probe. Gerade in Krisenzeiten erweist sich die Bedeutung der einfachen Wahrheit: Freunde erkennt man in der Not. Kasachstan kooperiert mit Russland und China gegen Covid-19. Russland stellte bereits 40.000 Test-Sets zur Verfügung. Im Telefongespräch mit Tokayew teilte Präsident Putin am 20 März mit, dass Russland bereit sei, Kasachstan weitere Sets als humanitäre Hilfe zu liefern – in dem Maße, wie sich die Produktion erhöht. Auch der chinesische Präsident Xi Jinping informierte Tokayew am 24. März über die Bereitschaft seines Landes, humanitäre Hilfe in Form von medizinischen Produkten bereitzustellen. Am 2. April landete in Almaty ein Flugzeug mit dem ersten Teil der Hilfe aus China: Test-Sets zu Covid-19, medizinische Einweg-Überschuhe, Handschuhe, Schutzkleidung und anderes. Weitere Lieferungen aus China werden erwartet. Die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) beschloss am 3. April die Einrichtung eines „grünen Korridors“ durch die Vereinfachung der Zollverfahren für äußerst wichtige Waren, beispielsweise individuelle Schutzmittel, Rohstoffe für die Herstellung von Vakzinen und Diagnostik-Sets. Am 10. April soll sich der Eurasische Interregierungsrat mit Maßnahmen der EAWU zur Gewährleistung der wirtschaftlichen Stabilität unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie befassen.
In Usbekistan, wo mit Stand 2. April 190 Menschen infiziert waren, plante Präsident Schawkat Mirziyoyew bisher nicht, den Ausnahmezustand einzuführen. Eine Reihe begrenzender Maßnahmen wurde allerdings ergriffen – beispielsweise ist vom 30. März bis 20. April die Nutzung des persönlichen Autotransports untersagt.
In die zweite Kategorie fiele Kirgistan, das seit der Unabhängigkeitserklärung einige „Farbrevolutionen“ durchgemacht hat und nach der Zahl gestürzter oder arretierter Präsidenten einen führenden Platz im eurasischen Raum einnimmt. Am 2. April waren hier 116 Menschen infiziert. In der Hauptstadt Bischkek, aber auch in großen Städten wie Osch und Dschalalabad sowie in einigen Kreisen wurden Ausnahmezustand und Ausgangssperre verhängt. Kirgistan bat seine Nachbarn um humanitäre Hilfe. Am 2. April lieferte Usbekistan tausend Tonnen Mehl, 7000 medizinische Schutzanzüge, 20.000 Paar Handschuhe, 500 Schutzbrillen, 2000 Test-Sets und anderes in den Bezirk Osch.
Die dritte Gruppe bilden Tadschikistan und Turkmenistan, wo langjährige Präsidenten die Macht haben. Einmütig ignorieren sie die Gefahren von Covid-19. Offiziell wird erklärt, es gebe keine Bürger, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Doch die Bewohner beginnen zu zweifeln: Gibt es trotzdem Kranke, die an Covid-19 leiden? Und falls es sie gibt, welche Schutzmaßnahmen werden von den staatlichen Strukturen ergriffen, um die weitere Verbreitung des Virus zu verhindern? Trotzdem befahl der tadschikische Präsident Emomali Rahmon wie in jedem Frühjahr die Einberufung von Wehrpflichtigen in die Streitkräfte. Nach den Frühlingsferien nahmen am 1. April 3800 private und staatliche mittlere Lehranstalten mit zwei Millionen Lernenden ihre Tätigkeit wieder auf. Mehr noch, in allen Städten und Dörfern Tadschikistans wurde am 21. März das Frühlingsfest Nawruz gefeiert, ebenso am 24. März weitere Feste.
Ähnlich entwickelt sich die Lage in Turkmenistan, wo in Aschchabad nach Informationen nichtoffizieller Publikationen Bürger wegen Gesprächen über Covid-19 festgehalten wurden. Zuvor wurde in Turkmenistan das Tragen von „Panik provozierenden“ medizinischen Masken verboten. Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow berief eine Sitzung der Regierung ein, auf der die Vorbereitung des Nationalfeiertages – des Tages des turkmenischen Rennpferdes – am 20. April beraten wurden. Experten erklären die Position der beiden Länder damit, dass es im Falle von Quarantänemaßnahmen, um die Verbreitung von Covis-19 zu verhindern, notwendig wäre, die Tätigkeit der meisten Unternehmen, aber auch des kleineren und mittleren Business einzustellen, wie das bereits in den Nachbarländern geschah. Das würde jedoch unweigerlich zum Anwachsen der Arbeitslosigkeit, zu Protestsituationen und sozialen Erschütterungen mit unvorhersehbaren Folgen führen.
Prof. Dr. Bulat Sultanow, Jahrgang 1951, ist Direktor des Instituts für Internationale und Regionale Kooperation an der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty. Zuvor leitete er das Institut für Strategische Studien beim Präsidenten der Republik Kasachstan. Seinen Beitrag übersetzte Hubert Thielicke aus dem Russischen.
Schlagwörter: Bulat Sultanow, Corona, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan