Das Schicksal der europäischen Zivilisation [hängt davon ab], wie standhaft europäische Männer dem politisch korrekten Feminismus widerstehen.
Anders Breivik
Die rechtsextreme Ideologie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch zur Waffe greifen vereinsamte Männer – nicht Frauen – die scheinbar nichts mehr zu verlieren haben. Warum ist das so?
Nicht den einen Grund, den es wohl nicht geben kann, aber doch einen gibt der Mörder von Hanau in seinem „Manifest“ preis: „Wenn ich mal kurz vergesse, dass ich bis zum heutigen Tag niemals eine Privat- oder Intimsphäre hatte …“ und noch drastischer – er habe „ein Leben lang keine Frau/Freundin“ gehabt, dann scheint ein Bewusstsein durch, sich als Mann zurückgesetzt zu fühlen. Damit variiert er Motive von „Incel“ (ein Kunstwort aus dem Englischen: involuntary und celibacy – unfreiwilliges Zölibat) – einer vor allem im nordamerikanischen Raum verbreiteten Subkultur, die Männer, die nach Selbstaussage unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr haben, zu Bekennern eines hegemonialen Männlichkeitswahn macht. Dieser drückt sich in Überzeugungen und Gefühlen von Misogynie vulgo Hass auf alles Weibliche aus, dem Anspruch, Rechte gegenüber Frauen bis hin zum gewalttätigen Sex zu haben. Selbstmitleid und Weinerlichkeit sind die Kehrseite der „harten“ Kerle. Möglicherweise spielt dabei – wie historische Beispiele zeigen – eine unterdrückte Homosexualität mit hinein, die beim Betroffenen zu pathologischem Ekel vor der Welt geführt hat. Eine ins Bild passende Randnotiz ist dann nur noch, dass dem Hanauer Täter bescheinigt wird, kein Interesse an anderen gehabt zu haben und dass seine soziale Kompetenz „bei null“ gelegen hätte.
Die Ermittler im obigen Falle machten schon klar, dass der Hanauer Mörder einem anderen „grob ähnlich“ sei. Gemeint ist der Attentäter von Halle, der am 9. Oktober vergangenen Jahres nach dem vergeblichen Versuch, in einer Synagoge ein Massaker anzurichten, wütend zwei Menschen erschoss. Auch ihn quälten Sexualfantasien und die männliche Angst vor Kontrollverlust, Hass auf Frauen. Er sah seine Chancen, eine Frau zu finden, vor allem deshalb als gering an, weil er in Konkurrenz zu vielen Männern stand, die als Migranten nach Deutschland gekommen seien. Ein klassisches Argument der Ultrarechten. Alles deutet darauf hin, dass Hallenser Mörder sich online radikalisierte. Dass er auf Plattformen von Kriegsspielen und Imageboards wie 4chan unterwegs war, dass er ein sogenannter „Chan“ war; also als Nutzer und Teilnehmer von Online-Foren, in denen vornehmlich Jungen und Männer sozialisiert und radikalisiert werden und wo gegen Juden, Muslime, Schwule und Frauen gehetzt wird. In seiner Vernehmung beschrieb sich der Täter als Einzelgänger und „nicht-sozialer Mensch“; auch sei er ein „Loser“. Sein Verteidiger sieht es so: „In seinem Weltbild ist es halt so, dass er andere verantwortlich macht für seine eigene Misere und das ist letztendlich der Auslöser für dieses Handeln – und natürlich Taten, die es in der jüngeren Vergangenheit gegeben hat.“
Diese beiden deutschen Fälle reihen sich in eine Vielzahl rechtsterroristischer Morde weltweit ein. Aus Untersuchung geht hervor, dass das desgleichen oft Männer sind wie der berühmt-berüchtigte norwegische Rechtsterrorist, die wenig Erfolg im Leben und bei Frauen haben und aus Hass auf sich, auf Minderheiten und Frauen irgendwann zu Massenmördern werden. Ausgehend von Interviews mit einschlägigen „Aktivisten“ in den USA kommt auch der US-amerikanische Soziologe Michael Kimmel zu dem Schluss, dass in rechtsextremen Gruppen das Mannsein auch zur Beschreibung der persönlichen Situation dient: Du bist Single oder arbeitslos, weil „andere“ dir die Freundin ausgespannt oder den Job weggenommen haben. Eine weitere Annahme lautet, die Emanzipation der Frauen habe der Männlichkeit in modernen Gesellschaften Abbruch getan. Geradezu prototypisch dafür steht die Website WikiMANNia: „Dieses Wiki ist eine Wissens-Datenbank über Benachteiligungen von Jungen und Männern, sowie Bevorzugungen von Maiden und Frauen. WikiMANNia verzichtet auf einen neutralen Standpunkt und bietet eine feminismusfreie Ergänzung zum Informationsangebot des Internets. WikiMANNia ist die Antithese zur feministischen Opfer- und Hassideologie“ – so die Selbstdarstellung. Sie findet ihre Fortsetzung in folgender Präzisierung: „Feminismus basiert auf der Verschwörungstheorie, Männer auf der gesamten Welt hätten sich kollektiv gegen die Weiber verschworen, um sie zu unterdrücken, zu schlagen, zu vergewaltigen und auszubeuten. Feministinnen bekämpfen Ehe und Familie, weil die bürgerliche Familie das Feindbild ist. Frauen werden kollektiv als Opfer inszeniert und Männer als Täter denunziert. So manifestiert sich ein Ressentiment gegen alles Männliche bis hin zum offenen Männerhass. Dies bewirkt eine tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft, die es zu überwinden gilt“ (Alle Hervorhebungen und Schreibweisen im Original – St.W.).
Zur Überwindung dieser Spaltung bedarf es des selbstbewussten Mannes, der Ehe und Familie wieder hochhält, die Aushöhlung der Gesellschaft stoppt – und flugs bewegen wir uns in völkischen, rassistischen Milieus. Kann das verwundern? Es obliege dem deutschen Manne, die deutsche Frau und Familie als Keimzelle für die Reproduktion des deutschen Volkes zu schützen. Die Familie wird dabei auch als strategische Möglichkeit gesehen, (extrem) rechte Ideologien zu verstetigen. Ein hier schon erwähnter Täter befindet, dass die Frau unter dem restituierten Patriarchat wieder „ihren Platz in der Gesellschaft“ einnehmen werde; dann darf Frau schon mal die Haushaltskasse führen oder mitmarschieren. Und wo die „weiße Frau“ Opfer vermeintlich hyperpotenter junger „ausländischer“ Männer – mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft – sein könnte, entdeckt Mann auch schon mal die „Frauenrechte“. Paradoxerweise dort, wo sie eine Mobilisierungskraft entfalten können. Dahinter steckt Methode; in Wirklichkeit gehe es nicht um Gewalt gegen Frauen, sondern um Fremdenfeindlichkeit und die Asylpolitik – so die Politikwissenschaftlerin Tanja Gäbelein. Wenn Mann so gegen die „anderen“ kämpft, kann er, na klar, seine Männlichkeit wiedergewinnen – und damit Freundin und Job; eine „Remaskulinisierung“ zur Wiederaufrichtung des männlichen Selbstwertgefühls bricht sich Bahn. Sie ist zugleich ein Mittel, um verunsicherte Männer als Mitglieder für entsprechende Foren oder Verbünde zu werben. Nota bene ist diese Ermannung selbst einer Bloggerin, die mal Aushängeschild der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ war, zu viel – unter anderem deshalb, weil es „zu männlich“ zuginge …
Das Phantom der kollektiven, doch vom Einzelnen zu vollziehenden „Gefahrenabwehr“ lebt vom Fremden- und Selbsthass. Die Metapher des einsamen Wolfes taugt aber, wenn überhaupt, nur bedingt. Im Internet, durch die dort geteilten Ideologien und Theorien, sind die Täter miteinander verbunden und kompensieren so ihre soziale Isolierung. Der Kitt – eine selbsthypnotische Mischung aus vor allem rechtsextremen Fremdenhass, Verschwörungstheorien und Frauenverachtung; das Konzept des „führerlosen Widerstandes“ spielt hier auch hinein. So lässt die Blutspur des rechten Terrors ein Muster erkennen: Die Täter wähnen sich als Vollstrecker eines kollektiven Willens, als Verteidiger eines durch Weltoffenheit, Multikulturalismus und Feminismus geschwächten abendländischen Deutschlands, das immer stärker von einer gezielten Unterwanderung der Nation, der Familie und des Männlichen – in der Summe durch einen „Bevölkerungsaustausch“ respektive eine „Umvolkung“ bedroht sei.
Der Äußerung des AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen, der Massenmord von Hanau sei „weder rechter noch linker Terror“, sondern „die wahnhafte Tat eines Irren“, so ist ihm zu entgegnen: Es gibt keinen Terrorismus ohne Wahn – religiösen, völkischen, männlichen. Und selbst wenn dieser Täter im klinischen Sinne ein „Irrer“ war; er lief nicht einfach Amok, er mordete gezielt. So viel Steuerung war dann doch – woher, wodurch? Und das sind keine Fragen mehr, sondern die Antworten sind Gewissheiten.
Schlagwörter: Feminismus, Rechtsextremismus, Stephan Wohanka, Terrorismus