23. Jahrgang | Nummer 5 | 2. März 2020

Querbeet

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Toxische Männerbilder sowie schwere Jungs mit Beethoven …

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„Männer haben’s schwer, haben’s leicht, außen hart, innen weich; können alles, sind einsame Streiter, müssen durch jede Wand, müssen immer weiter. Und werden als Kind schon auf Mann geeicht… – Wann ist ein Mann ein Mann? Wann ist ein Mann ein Mann? Wann …?“

Gute Frage, die da Herbert Grönemeyer in seinem Rocksong „Männer“ immer und immer wieder aus sich herausschreit, was wiederum seit Jahren ein Massenpublikum an den Rand zur Ekstase treibt. Das Publikum im Berliner Gorki-Theater reagierte ziemlich ähnlich, zum Schluss mit minutenlang stehenden Ovationen, als Emre Akiszoglu, Knut Berger, Benny Claessens, John Dassler und Taner Sahintürk in einer aufregenden und anstrengenden (aber nie angestrengten) und immer wieder mit Nachdenklichkeit, ja Ratlosigkeit durchsetzten Zwei-Stunden-Performance der Männer-Frage nachgehen. Oder besser: nachforschen. Mit einem Text von Falk Richter, der die glorreichen Fünf in ihre überhaupt nicht glorreichen persönlichen Erinnerungen treibt, die sie mit ihren Vätern haben/hatten.

Es geht um authentische, teils fiktional angereicherte Vater-Sohn-Geschichten, dramaturgisch kunstvoll verknüpft unter dem Titel „In My Room“. Der markiert das Individuelle, ja Intime dieser so vielgestaltigen, so enorm prägenden Männlichkeitsbeziehungen: „My Room“ als Kinderstube, Abenteuerspielplatz, Strafgefängnis, als Zucht- und Anpassungsanstalt. Das provoziert Widerstände, Ausbrüche, Verachtung gegenüber den Papas. Führt aber auch bezüglich der die Väter umtreibenden Schmerzen, Zwänge und Träume zu traurigen, trauernden, verständnisvollen, ja liebevollen Rückblicken – gerade auch, als am Ende die alten Herrscher als leidende Greise oder gar als Sterbende imaginiert werden.

Das Packende an diesem Kompendium von Erzählungen übers „Männermachen“ durch immergleiches Aufpfropfen althergebrachter und stets einengender, sonderlich auch durch Krieg oder Diktatur oder eben Frauenhaben, Hartbleiben, Kerlsein geformter Männlichkeitsmuster, ist nicht allein die Wortgewalt, sondern ihre Schonungslosigkeit.

Das Kunststück dabei: So persönlich die Berichte sind, sie sind nicht privat. Und fügen sich in ihrer Vielgestalt der Temperamente und sozialen Milieus zu einem sensiblen Generationen- und Gesellschaftsbild des vergangenen Halbjahrhunderts.

Sonderlich interessant dabei sind Migrationshintergründe; etwa der von der Mehrheitsgesellschaft gedemütigte türkische Gastarbeiter und sein Sohn in der Zwangsjacke aus alter Tradition und der Lust auf neue, freiheitliche Zugehörigkeit. Doch nicht nur hier werden schwer erträgliche Ambivalenzen oder irritierende Sprachlosigkeiten nicht etwa ausgeklammert, sondern fragend im Raum stehen gelassen.

Der Raum ist – in der Mitte auf korinthischer Säule ein Herkules in schwarz – die ansonsten weite weiße Bühne von Wolfgang Menardi. Dort lassen die gequälten und geschlagenen, die kraftvoll wütenden, irritierten, suchenden, die virilen und zugleich dünnhäutigen jungen Männer ihre problemprallen Erinnerungskisten explodieren – monologisch in gesprochenem oder musikalisch in gerocktem, in jedem Fall sensationellem Virtuosentum (Musik: Nils Ostendorf; Choreographie: Denis Kooné). – Derartiges war lange nicht in solcher Intensität auf einer Bühne zu erleben. Völlig unverständlich, warum die Einladung zum Theatertreffen ausblieb.

Falk Richter, künftiger Hausregisseur der Münchner Kammerspiele, inszeniert seine als „Projekt“ apostrophierte Show voller Tragik und Komik als rasenden Comic übers Harte und Weiche (siehe Grönemeyer); über die Not der Väter sowie die Nöte, die ihre Söhne damit haben. Als wilde Party freiheitlicher Lebensgier, als Abgesang aufs lähmend Alte, auf verkommene Rituale. Als mutiges Hohelied einer entfesselten, befreienden Glückssehnsucht.

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Gefangenenbefreiung im Knast, doch der Innensenator muss nicht eingreifen. Aber hingehen, wenn das Gefängnistheater in der JVA Berlin-Tegel Beethovens Freiheitsoper „Fidelio“ spielt. Ist es doch immer wieder höchst erstaunlich und zutiefst berührend, was das künstlerische Leitungskollektiv vom (längst kein Geheimtipp mehr!) Gefängnistheater „aufBruch“ unter Regisseur Peter Atanassow da tut – diesmal zusammen mit etwa zwei Dutzend Insassen, einem Team vom Education-Programm der Berliner Philharmoniker (Leitung: Simon Rössler), mit Alumni der Karajan-Akademie sowie Studierenden der Berliner Eisler-Musikhochschule und nicht zuletzt mit aufwändiger Unterstützung der JVA-Beamten.

Um es gleich zu sagen: Für alle Beteiligten an den stets enorm herausfordernden Projekten am so extrem ungewöhnlichen Ort steht der Anspruch: Hier gilt’s der Kunst! Und der zuerst; wobei ihre pädagogischen und therapeutischen Aspekte nicht unterschätzt sein sollen, sonderlich für die „einsitzenden“ Akteure gegensätzlichster Art und Herkunft.

Die meisten hatten bislang mit Kunst, Klassik, gar mit Oper nichts am Hut. Doch der Aufruf zum Casting (wer will, der darf) fand viel Gehör, gewiss nicht allein aus plötzlich erwachtem Drang zur Kunst (der könnte sich entwickeln). Schließlich wurden für die Besetzung etwa zwei Dutzend Leute gebraucht, erwählt, gebucht und hielten tapfer durch im stressigen Lern- und Probenprozess bis hin zur umjubelten Premiere.

Immerhin galt für alle: Wagemut, unerschütterlicher Enthusiasmus und Können – perfekt das Auftreten der Profis, mit rührender Hingabe, Stimmkraft, Spiellust die elf Wochen lang intensiv trainierte Laienbruderschaft (in Tegel sitzen allein Männer ein). Zeitigt doch gerade diese Mischung von Professionals und – man darf sagen – blutigen Laien eine ganz eigene Dynamik, eine besonders packende Spannung der Aufführungen; beispielsweise bei der Adaption von Richard Wagners Weihespiel „Parsifal“. Und auch jetzt wieder bei Ludwig van Beethovens idealistisch brausender Freiheitsoper.

Dafür extrahierte der Dramaturg Hans-Dieter Schütt Kernstücke des Original-Librettos, textete griffig, aber einfühlsam neu und versetzte diese fürs Verständnis der Story unentbehrlichen Passagen kontrapunktisch mit Fremdtexten.

Erzählt wird also nicht allein die Geschichte einer spektakulären Befreiungsaktion, der Rettung vor einem politischen Kerkermord, vielmehr werden ergänzend zum Libretto gewisse Grundthemen der Oper wie Liebe, Treue, Verrat, Moral oder Gerechtigkeit prononciert „diskutiert“, teils auch mit Blick auf die spezielle Situation der Darsteller (Gewalt, Machtmissbrauch, Bestechung, Korruption, Gier, Schuld, Strafe, Sehnsüchte in Zwangslagen). Dieser „Extra-Reflexion“ durch geschickt eingeschaltete Zwischenspiele dienen starke Texte etwa von Peter Weiss und Jean Genet, Rudolf Leonhard („Die Geiseln“), Heiner Müller, Georg Büchner oder Tricia Hedin („Frau eines Gefangenen“).

Passend zu diesen wirkmächtigen „Fremdtext-Zwischenspielen“ (Soli, Chor, Sprech-Chor) suchte Philharmoniker Simon Rössler etwa ein Dutzend Kompositionen aus Beethovens Werk und setzte sie neben zentrale Versatzstücke der „Fidelio“-Originalpartitur; freilich kammermusikalisch umgeformt (Klavier, Klarinette, Streicher). Eine gewiss komplizierte, doch in keinem Moment fragwürdige, sondern durchweg stimmige, mit Wucht, Tief- und Feinsinn überzeugende Sache ausgerechnet in den „Tegeler Trakten“, im historischen Backsteinbau von 1898, der eindrucksvollen, effektvoll ausgeleuchteten Kulisse mit hervorragender Akustik.

Und all das ganz in Beethovens Geist. Bewundernswert. Eine mit Verlaub mustergültige Klassiker-Anverwandlung, so speziell gegenwartsnah wie allgemein überzeitlich. So erschütternd wie begeisternd. Was für ein Kunststück!