Der veröffentlichte Haushaltsentwurf der Regierung Donald Trumps für 2021 sieht rund 740 Mrd. Dollar für militärische Zwecke vor. Die Ausgaben für die nukleare Rüstung steigen deutlich. Im Haushaltsentwurf für das für die nuklearen Trägersysteme zuständige Pentagon kommt es zu keinem auffällig großen Plus, das für die Entwicklung und technische Betreuung der Kernwaffen zuständige Energieministerium verbucht dagegen im zweiten Jahr in Folge eine deutliche Steigerung der vorgesehenen Mittel. Insgesamt will die US-Regierung für atomare Trägersysteme und atomare Waffen mehr als 46 Milliarden Dollar haben, also fast genau soviel Geld wie Deutschland insgesamt für sein Militär ausgibt.
Schon 2018 hatte Donald Trump in seinem Nuclear Posture Review klargestellt, dass er besonderen Wert darauf legen werde, das Atomwaffenpotenzial der USA umfassend zu modernisieren. Das spiegelt sich auch in seinem Haushaltsentwurf für 2021. 28,9 Mrd. Dollar soll allein das Pentagon in das nukleare Potenzial investieren, mehr als die Hälfte davon (14,7 Mrd.) in Forschung, Entwicklung und Erprobung. Als größere Projekte werden gelistet:
- 4,4 Mrd. Dollar für eines strategisches Raketen-U-Boot (SSBN) der Columbia-Klasse,
- 2,8 Mrd. Dollar für den B21-Bomber (Raider),
- 1,5 Mrd. Dollar für eine neue strategische Interkontinentrakete (Ground Based Strategic Deterrent),
- 1,2 Mrd. Dollar für die Lebensdauerverlängerung der seegestützten Langstreckenrakete Trident II D5,
- 500 Mio. Dollar für einen neuen Langstrecken-Marschflugkörper für Bomber (LRSO) und
- 160 Mio. Dollar für die nukleare Zertifizierung des Mehrzweckkampfflugzeugs F-35, die bis 2024 abgeschlossen sein soll sowie für den Anteil der US-Luftwaffe an der Entwicklung der nuklearen Bombe 61-12.
Je nachdem wie gerechnet wird, sollen zudem 4,2 Mrd. oder sogar 7 Mrd. Dollar für die Modernisierung der nuklearen Kommando- und Kontrollsysteme fließen. Weitere kleinere Vorhaben werden voraussichtlich erst bekannt, wenn die Details des Haushaltsplans und die zugehörigen Begründungen an den Kongress übermittelt werden. Dann wird sich vermutlich auch zeigen, ob und bei welchen Mittelstreckenflugkörpern, die seit der Kündigung des INF-Vertrags durch die USA wieder beschafft werden können, in Zukunft eine nukleare Option angedacht werden könnte. Ähnliches könnte für die Entwicklung von Hyperschallwaffen gelten, an denen die USA bislang ganz überwiegend Interesse mit konventioneller Bewaffnung signalisiert haben.
Deutlich steigen soll das Budget der National Nuclear Security Administration (NNSA) des Energieministeriums. Der NNSA-Haushalt für militärisch-nukleare Aufgaben soll um ca. 25 Prozent auf knapp 20 Milliarden Dollar steigen, der Anteil für die Entwicklung und Betreuung nuklearer Sprengköpfe auf 15,6 Mrd. Dollar. In dieser Gesamtsumme verstecken sich laufenden, jährlichen Kosten für die Modernisierung und Lebensdauerverlängerung der B61-Bomben, der B80-Gefechtsköpfe für Marschflugkörper und der Modifizierung der strategischen Sprengköpfe vom Typ W88 und W87-1. Beantragt wurden wohl auch die jüngst entdeckten Zusatzkosten für die Modernisierung vorhandener Atomsprengköpfe. In ihrer Pressemitteilung zum Haushaltsentwurf für 2021 kündigt die NNSA zudem an, dass sie – erstmals seit Jahren – wieder Geld für die Entwicklung einer neuen Kernwaffe ausgeben will. Das lässt jedenfalls die Bezeichnung erwarten unter der diese entwickelt werden soll – W93 soll der neue Sprengkopf heißen.
Überraschend kommt dieser Vorstoß nicht. Schon im Nuclear Posture Review Trumps wurde 2018 explizit die Vorgabe Barack Obamas außer Kraft gesetzt, „keine neuen Atomsprengköpfe“ zu entwickeln und keine modernisierten Sprengköpfe „mit neuen Fähigkeiten“ anzustreben. Diese Vorgabe – so damals die Begründung der Trump-Administration – könne die Entwicklung neuer Sprengköpfe für die angestrebte, auf unterschiedliche Kontrahenten zugeschnittene, maßgeschneiderte Abschreckung (tailored deterrence) behindern. Jetzt will die Administration 2021 die Entwicklung eines Atomsprengkopfes für seegestützte Langstreckenraketen initiieren, der ab Mitte des nächsten Jahrzehnts als Bewaffnung für den geplanten Nachfolger der Trident II D5- Flugkörper eingesetzt werden kann. Das zuständige interministerielle Nuclear Weapons Council hat offenbar bereits beschlossen, mit konzeptionellen Vorarbeiten für diesen Sprengkopf zu beginnen. Erste Mittel dafür werden mit dem Haushalt für 2021 beantragt. Noch ist nicht klar, welches der beiden großen Atomwaffenlaboratorien, Los Alamos oder Lawrence Livermore, bei diesen Arbeiten die Federführung bekommen soll oder ob beide zunächst im Wettbewerb Entwürfe ausarbeiten sollen. Die Bezeichnung des geplanten Sprengkopfs – W93 – deutet jedoch darauf hin, dass es sich dabei um einen neu entwickelten Sprengkopf handeln dürfte. Zum einen gibt es bislang noch keinen Sprengkopf mit dieser Bezeichnung, zum anderen werden modernisierte Sprengköpfe traditionell immer als Modifikationen des Originalsprengkopfs bezeichnet (z. B. B61-12 für die jüngste Modifikation der Bombe B61). Der neue Sprengkopf soll einfach zu modifizieren sein, sodass man ihn leichter auch mit anderen nuklearen Trägersystemen der Marine verwenden kann.
Der Oberkommandierende des für die Nuklearwaffen zuständigen US-Strategic Commands, Charles A. Richard, kündigte vor dem Streitkräfteausschuss des Senates zudem an, dass die Entwicklung dieses Sprengkopfes, ähnlich wie bei dessen Vorläufer W76 in Kooperation mit einem parallelen Entwicklungsvorhaben in Großbritannien erfolgen soll und somit ein zugleich erneut ein technisch eng verwandter neuer britischer Sprengkopf entstehen soll. Während des jährlichen Nucear Deterrence Summits 2020 bestätigte Alan Shaffer, aus der Leitung des Pentagons dieses Vorhaben: „Ich denke, es ist wunderbar, dass das Vereinigte Königreich zur gleichen Zeit auch an einem neuen Sprengkopf arbeitet und dass wir darüber diskutieren und in der age sein werden, Technologie miteinander zu teilen.“ Shaffer beeilte sich zugleich zu betonen, dass es zwei verschiedene nationale Entwicklungsprogramme geben werde.
Im US-Kongress dürfte das Vorhaben trotzdem aus verschiedenen Gründen auf erheblichen Widerstand stoßen. Viele Abgeordnete und Senatoren halten den unter Trumps Vorgänger Obama praktizierten Verzicht auf neue Atomwaffentypen nach wie vor für richtig. Davon abzuweichen signalisiere eine Bereitschaft, das Atompotential der USA wieder zu vergrößern und verstärke schnell den Eindruck, Washington wolle Waffen beschaffen, mit denen ein Atomkrieg tatsächlich wieder geführt werden könne. Ein solches Vorgehen wirke kontraproduktiv für die Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. Andere dürften befürchten, dass die Einführung neuer Atomwaffen neue atomare Tests notwendig machen könnte, um festzustellen, ob das neue Design auch zuverlässig funktioniert. Damit drohe eine Schwächung sowohl des atomaren Teststoppvertrags (CTBT) als auch das bislang von allen Nuklearmächten außer Nordkorea eingehaltene Moratorium für nukleare Tests jeder Sprengkraft. Manche werden auch einen Zusammenhang mit den jüngsten US-Vorwürfen an Russland vermuten, dem die USA seit 2019 vorwerfen, neue Atomwaffen unter Umgehung des strikten Moratoriums zu entwickeln, indem sie den „Null-Sprengkraft-Standard“ für das Testen atomarer Waffen umgehen. Eine ähnliche Entwicklung wie vor dem Abschied aus dem INF-Vertrag sei zu erwarten. Vorwürfe der Vertragsverletzung an andere könnten nur das Vorspiel dafür sein, um später ungeliebte Fesseln im der Rüstungskontrolle abzustreifen und selber mehr Freiheit für neue qualitative Aufrüstung zu bekommen. Die Befürchtung, Präsident Trump könne dann die US-Unterschrift unter den CTBT rückgängig machen, um freie Hand zu haben, neue Nuklearwaffen zu testen, würde lauter.
Fortschritte macht Trumps Umbau der Nuklearstreitkräfte schon jetzt. Kurz bevor der Haushaltsentwurfs vorgelegt wurde, ist ein atomar angetriebenes strategisches Raketen-U-Boot (SSBN) der US-Navy in See gestochen. Es trug erstmals einige Trident II D5-Raketen mit einer neuen Sprengkopfversion W76-2. Diese wurde nach Trumps Amtsantritt kurzfristig entwickelt und gebaut. Die neue Version hat eine deutlich kleinere Sprengkraft als der bisherige Standard-Sprengkopf. Während die Versionen W76 und W76-1 mit rund 100 Kilotonnen Explosionskraft detonieren, gehen Experten davon aus, dass der W76-2 mit weniger als 10 Kilotonnen explodiert, also mit einer geringeren Sprengkraft als die Bombe von Hiroshima. Das senke die Schwelle für dessen Einsatz. Man kann davon ausgehen, dass bei diesem modifizierten Sprengkopf nur noch der primäre Zündsprengsatz (Primary) explodiert und das für die größere Sprengkraft des W76 hauptverantwortliche sekundäre Hauptsprengsatz weggelassen wurde. Der erforderliche Umbau war technisch nicht besonders anspruchsvoll und deshalb kurzfristig und mit vergleichsweise wenig Geld zu realisieren. Zudem konnten die Ingenieure auf britische Erfahrungen zurückgreifen, die einen solchen Umbau bereits vor Jahren für einige ihrer Trident II-D5-Sprenköpfe vorgenommen hatten.
Schon im Juni vergangenen Jahres veröffentlichten die US-Joint Chiefs of Staff zudem eine neue teilstreitkraftübergreifende Vorschrift zur Nukleardoktrin der US-Streitkräfte, die Joint Publication 3-72 „Nuclear Operations“, 15 Jahre nachdem die Vorgängerdokumente 2005 außer Kraft gesetzt wurden.
Schlagwörter: Atomwaffen, Atomwaffen-Teststopp-Vertrag (CTBT), Donald Trump, nukleares Potenzial, Otfried Nassauer, USA