Landminen sind tückisch. Einmal gelegt, liegen sie verdeckt in der Erde, bis sie ein unbedarftes oder unvorsichtiges Opfer auslöst. Dann explodieren sie und töten das Opfer oder verletzen und schädigen es lebenslang. Letzteres ist der militärisch bevorzugte Effekt, denn er wirkt langfristig.
Donald Trump, der Präsident der USA, funktioniert fast so wie eine Landmine. Letztlich ist nichts und niemand vor ihm sicher. Und er bevorzugt den langfristigen Schaden – natürlich für andere. Das zeigt auch seine jüngste Entscheidung, den weltweiten Einsatz von Landminen durch das US-amerikanische Militär wieder zu erleichtern. Sie hat erhebliche Sprengkraft.
Am 31. Januar 2020 setzte Donald Trump eine Entscheidung außer Kraft, die sein Vorgänger Barack Obama 2014 getroffen und im Januar 2016 in der Presidential Policy Directive 37 niedergelegt hatte. Obama hatte dem Militär den Einsatz von Antipersonenminen mit einer einzigen Ausnahme verboten: Nur auf der koreanischen Halbinsel durften sie noch genutzt werden. Nun also erneut eine Kehrtwende unter Donald Trump.
Künftig, so sehen es jetzt die Durchführungsbestimmungen von Trumps Verteidigungsminister Mark Esper vor, dürfen alle elf Oberbefehlshaber der regionalen und funktionalen Oberkommandos weltweit wieder den Einsatz von Landminen anordnen, wenn sie sich davon einen operativen Vorteil versprechen und es dem Erfolg ihrer militärischen Mission dient. Eingesetzt werden dürfen Minen sowohl bei größeren Konflikten als auch unter außergewöhnlichen Umständen. Voraussetzung ist, dass es sich technisch um moderne Minen und nicht um klassische Tretminen handelt. Die Erlaubnis gilt explizit auch für Artilleriegeschosse oder Bomben, mit denen Streumunition aus der Ferne verlegt wird, sogenannte Clusterbombs. Auch diese müssen mit einem Selbstzerstörungs- und einem Selbstdeaktivierungsmechanismus ausgestattet und mit handelsüblichem Minenortungsgerät aufspürbar sein.
Zu den Kommandeuren, die einen Einsatz anordnen dürfen, gehören nicht nur die Befehlshaber regionaler teilstreitkraftübergreifender Befehlsstellen wie Pazifik-, Europa- oder Afrika-Kommando, sondern absurderweise auch die Oberbefehlshaber für bestimmte Funktionsbereiche, wie zum Beispiel das Cyber- oder das Weltraumkommando. Eine vorherige Zustimmung des Verteidigungsministers benötigen sie alle nicht. Sie müssen ihn nur bei passender Gelegenheit nachträglich über ihren Einsatzbefehl informieren.
Natürlich soll modernste Technik zum Einsatz kommen, damit man nicht Gefahr läuft, offensichtlich gegen von Washington selbst ratifiziertes Völkerrecht zu verstoßen und das Leben unendlich vieler Zivilisten zu gefährden. Das Hightech-Land USA soll künftig mit modernsten Landminen und Streumunitionen kämpfen, die sich nach spätestens 30 Tagen selbst zerstören oder abschalten – falls entsprechend präpariert oder programmiert, auch schon früher. Vorräte moderner Minen können wieder angelegt, entsprechende Waffen können neu entwickelt und beschafft werden. Ausdrücklich erwähnt wird auch die Möglichkeit, neue Geländesperrtechnik zu beschaffen, bei der die Explosionswirkung aus der Ferne an- und wieder abgeschaltet werden kann. Die wehrtechnische Industrie darf sich wie so oft bei Trump freuen: Es winken größere Geschäfte.
Victorino Mercado, ein hochrangiger Pentagonmitarbeiter, schwärmte laut Washington Post von der Sicherheit der neuen Waffen. Erfahrungsgemäß funktioniere der Selbstzerstörungs- und Selbstdeaktivierungsmechanismus nur bei sechs von einer Millionen eingesetzten Sprengkörpern nicht. Die Zahl der Waffen, die nach dem Einsatz weiter eine Gefahr darstellten, sei also äußerst gering. Das zu behaupten, braucht viel Chuzpe und noch mehr Gottvertrauen. Es soll nämlich besagen, dass moderne Landminen fast so sicher seien wie Atomwaffen. Die nämlich werden in den USA nach dem Prinzip der One Point Safety konstruiert. Dieses Prinzip erfordert, dass sie nur in einem von einer Million Fällen versagen dürfen und es zu einer ungewollten Kettenreaktion kommt.
Erfahrungen mit Landminen und Streumunition lassen dagegen an einer solchen Aussage zweifeln. Vor etwas mehr als zehn Jahren untersuchte das militärische Forschungsinstitut Norwegens in einer detaillierten Studie, ob die Versagerquote bei einer der damals modernsten Streumunitionen mit Selbstzerstörungsmechanismus die von der Industrie behauptete Quote von nur einem Prozent erreicht. Analysiert wurde die in Israel entwickelte Submunition M85, von der auch in der Schweiz, Deutschland und anderen Industriestaaten verbesserte Varianten genutzt werden. Das Ergebnis: Fast alle untersuchten Versionen versagten in etwa zehn Prozent der Fälle, etliche häufiger und keine erreichte auch nur annähernd einen Fehlerquotienten von nur einem Prozent. Zehn Jahre sind zwar eine lange Zeit, aber kaum lang genug, um die Fehlerquote so radikal zu senken wie Herr Mercado es im Gespräch mit der Washington Post behauptete.
Donald Trump setzt im Kontext der internationalen Beziehungen offenbar konsequent auf das Recht des Stärkeren, nicht auf die Stärkung des Rechts, das den Schwächeren schützt. Humanitäres Denken und Handeln ist ihm scheinbar fremd, es sei denn, es verspräche ihm einen größeren Vorteil. Zu Trumps bevorzugten Opfern gehören die Rüstungskontrolle und das humanitäre Völkerrecht. Sie schränken die Anwendung des Rechts des Stärkeren ein und machen diejenigen rechtlich und moralisch angreifbar, die sich nicht an Verträge und internationales Recht halten.
In den ersten drei Jahren seiner Amtszeit hat Trump in der internationalen Politik enormen Schaden angerichtet, vor allem im Bereich der Rüstungskontrolle: Dem Ausstieg aus dem Atomvertrag mit Iran folgten die Kündigung des Verbots landgestützter Mittelstreckenraketen (INF), die Ankündigung, aus dem Vertrag über den offenen Himmel und dem internationalen Waffenhandelsvertrag (ATT) aussteigen zu wollen, die bisherige Weigerung, Obamas Neuen Start-Vertrag zur Begrenzung strategischer Atomwaffen zu verlängern, bevor der im kommenden Jahr ausläuft, und jetzt die neue Landminenpolitik. Donald Trump macht internationale Politik so wie Geschäfte. Der Stärkere soll sich durchsetzen, befreit von allen hinderlichen Regeln. Martial Arts statt Völkerrecht. Das Verbot von Landminen sollte eine humanitäre Katastrophe beenden. Trumps Entscheidung ist eine Art neuer humanitärer Katastrophe.
Eine besondere Herausforderung hält Trumps Alleingang auch für die NATO bereit. Deren Oberbefehlshaber ist in Personalunion auch Chef des European Commands der USA. Auch das europäische Oberkommando der US-Streitkräfte (USEUCOM) ist dazu befugt. In dieser nationalen Funktion könnte er den US-amerikanischen Truppen in Europa den Einsatz von Landminen oder Streumunition befehlen. Damit aber wäre ein Konflikt in der NATO programmiert. Denn alle anderen NATO-Mitglieder gehören mittlerweile zu jenen 164 Staaten, die das Abkommen über ein Verbot von Anti-Personenminen unterzeichnet und ratifiziert haben.
Zu weit hergeholt? Victorino Mercado, der hochrangige Pentagonmitarbeiter, weiß auch diese Hoffnung zu zerstören. Seit Obamas Direktive 2016 habe die Welt sich erheblich verändert. Landminen könnten gerade in Konflikten mit großen Mächten wie Russland oder China nützlich sein, die deren Einsatz auch nicht eingeschränkt hätten. „Wir sind mit einer Ära strategischen Wettbewerbs konfrontiert“, erklärt Mercado. Das Pentagon verlautbarte in seiner Presseerklärung zum Thema, man schließe eine „kritische Fähigkeitslücke“ – zwei Wörter, die man in den letzten Jahren immer wieder als Begründung für allzu vieles zu hören bekommt.
Schlagwörter: Donald Trump, Landminen, Otfried Nassauer, Rüstungskontrolle, Victorino Mercado, Völkerrecht