23. Jahrgang | Nummer 2 | 20. Januar 2020

2020: Besteht Anlass zur Sorge?

von Ulrich Busch

Das Wirtschaftsjahr 2019 ging verhalten zu Ende. Die Weltwirtschaft entwickelte sich ohne Schwung und Furore. Deutschland ist nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt. Als besonders trübe stellt sich die Lage in der Industrie dar. Soweit überhaupt noch Wachstum zu verzeichnen ist, wird dies vom Dienstleistungssektor getragen, nicht aber von der Industrie. Das Welthandelsvolumen ging im Laufe des Jahres 2019 leicht zurück. Für das neue Jahr sehen die Prognosen nicht viel besser aus: Es wird ein sehr moderates Wirtschaftswachstum erwartet und vielleicht eine leichte Erholung der globalen Industrie, keinesfalls aber eine durchgreifende Dynamisierung der wirtschaftlichen Entwicklung.

Da Wirtschaftswachstum aber die maßgebende Voraussetzung für ökonomische Stabilität ist, insbesondere für Finanzstabilität, bedeutet dies, dass mit dem Ausbleiben des Wachstums die Risiken für die Stabilität wachsen.

Genau dies ist auch die Botschaft des aktuellen „Finanzstabilitätsberichts“ der Deutschen Bundesbank. Dort ist zu lesen, dass die „zyklischen Systemrisiken“ im globalen, im europäischen und im deutschen Finanzsystem zuletzt spürbar zugenommen haben. Als Begründung dafür wird auf „eine systematische Unterschätzung von Risiken durch Marktteilnehmer“ verwiesen. Diese Unterschätzung aber resultiert nicht zuletzt aus der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft seit 2010 eine kontinuierlich positive Entwicklung durchlaufen hat. Ebenso die globale Wirtschaft. Das Zinsniveau ist historisch niedrig und die Konsumlaune der Menschen ungebrochen hoch. Was liegt da näher als eine Extrapolation der Erfolge aus der Vergangenheit in die Zukunft?

Ein Blick in den Rückspiegel aber schützt einen nicht vor Fehlannahmen über das, was vor einem liegt. Indizien, die zu denken geben, sind eine ungewöhnlich starke Zunahme des Kreditvolumens, ein Anstieg der privaten und der öffentlichen Verschuldung und ein „Gefühl der Sicherheit“ bei den Menschen, das heißt ein abnehmendes Risikobewusstsein: Die Menschen werden übermütig und leichtsinnig, neigen zu Fehleinschätzungen, wenn es um die Beurteilung ihrer wirtschaftlichen Lage und ihrer finanziellen Möglichkeiten geht. Ein Blick in die Wirtschaftsstatistik könnte sie warnen, aber dafür fehlt es ihnen meist an ökonomischer Bildung. Was ihnen bei einer entsprechenden Analyse ökonomischer Daten auffallen würde, ist unter anderem, dass derzeit positive Aussagen zur Investitionsbereitschaft weitgehend fehlen.

Investitionen aber sind entscheidend für die Zukunft! Fehlen sie, so fehlen künftig auch das Wirtschaftswachstum, die Zunahme der Einkommen, des Konsums, des Wohlstands und damit die Garantie für Sicherheit. Dafür wachsen die Risiken – für die Arbeitsplätze, für die Finanzen, für die Währung. Im Finanzstabilitätsbericht ist von „konjunkturellen Abwärtsrisiken“ die Rede, die sich bei einigen Indikatoren bereits deutlich zeigen. Ferner wird eine bedrohliche Zunahme der „Verwundbarkeit des Finanzsystems“ diagnostiziert.

Die Kredit/Bruttoinlandsprodukt-Lücke ist ein Indikator dafür – und diese Lücke „öffnet sich zusehends“. Die Risiko-Vorsorge der Banken liegt – wegen der guten Konjunktur im zurückliegenden Jahrzehnt – auf „einem sehr niedrigen Niveau“. Deutlicher lässt sich die nächste Finanzkrise kaum vorhersagen! Und die Fachleute teilen diese Bedenken. So äußerte zum Beispiel der frühere Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank und prominente Kritiker der Geldpolitik der EZB Otmar Issing am 15.12.2019, dass uns demnächst vielleicht „eine Krise von neuer Dimension“ ins Haus steht. Das hohe Kursniveau an den Aktienmärkten stelle seiner Meinung nach keine Beruhigung dar, denn die derzeitigen Kurse spiegelten die Risiken, die tatsächlich dahinterstehen, nicht richtig wider. Die Lage sei vielmehr „ähnlich fragil“ wie 2006 oder 2007, also kurz vor Ausbruch der letzten großen Finanzkrise.

Viele Menschen in Deutschland haben das niedrige Zinsniveau und die steigenden Mieten zum Anlass genommen, um in Immobilien zu investieren. Im Lichte gestiegener Immobilienpreise und deutlicher Wertsteigerungen auf dem Immobilienmarkt erscheint dies durchaus klug und richtig. Was aber wird passieren, wenn die Zinsen wieder ansteigen? Die Bundesbank geht davon aus, dass bereits eine marginale Zinsänderung eine starke Reaktion auf dem Markt hervorrufen könnte. Die Folge wäre ein starker Anstieg der Volatilität der Vermögenspreise. Großanleger könnten dies wahrscheinlich verkraften, aber Kleininvestoren wären dem kaum gewachsen. Da die Preise für Immobilien sich in vielen Regionen derzeit auf einem absoluten Höchststand befinden, ist in diesem Fall mit einem „Preisverfall“ zu rechnen, welcher Kettenreaktionen auslösen würde. Die Analogie zur Immobilienmarkt- und Finanzkrise in den USA 2007 liegt auf der Hand. Nichts spricht wirklich dagegen, dass sich eine solche Entwicklung wiederholen könnte! Zwangsläufig ist eine solche aber auch nicht.

Einige Apokalyptiker und Pessimisten prophezeien bereits für dieses Jahr einen großen Finanzcrash und das Ende des Euro. Vorsichtshalber bringen sie ihr Geld deshalb in Sicherheit, zum Beispiel auf Bankkonten in den USA, in London oder in der Schweiz. Einige kaufen auch in großem Stil Immobilien, möglichst auf Kredit. Das Sicherheitsversprechen aber, das sie dafür erhalten, trügt. Denn erstens sind große Finanzkrisen heutzutage globale Krisen. Ihre Wirkung auf einzelne Währungen ist zwar ungewiss, aber niemals neutral. Zweitens haben Finanzkrisen immer auch Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Welche genau das sind, ist ebenfalls ungewiss. Dass aber die Immobilienbranche im Falle eines großen Crashs ungeschoren bliebe, ist ein frommer Wunschtraum der Käufer. Das Mindeste wäre die sofortige Fälligkeit der Immobilienkredite. Zudem würde sich die Werthaltigkeit der Kreditsicherheiten spürbar verändern, so dass die ganze Konstruktion möglicherweise in einer Privatinsolvenz endet.

Die Bundesbank sieht in der Unterschätzung von Kreditrisiken, gepaart mit einer Überschätzung von Vermögenswerten, große Gefahren für die Zukunft. Gefährdet sind dadurch natürlich in erster Linie Unternehmen und Banken. Aber niemand sollte so naiv sein, zu glauben, dass der Bankensektor bereit wäre, die Risiken und die Folgen der Nichtbeherrschbarkeit derselben allein zu tragen. Auch hierfür erscheint es lohnend, die Erfahrungen der letzten großen Banken- und Finanzkrise heranzuziehen: Bezahlt haben letztlich alle! Und eines ist sicher: Das wird bei der nächsten Krise, wenn sie denn eintritt, nicht anders sein!