von Jerry Sommer
China und Russland bezeichnen sich schon seit über 20 Jahren als „strategische Partner“. In den vergangenen Jahren haben sie jedoch ihre Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet erheblich intensiviert. Russland hat 2014 seine Einschränkungen beim Export von Hightech-Waffen nach China aufgehoben. Peking kaufte daraufhin das modernste russische Raketen- und Flugabwehrsystem S-400 sowie das neueste russische Kampfflugzeug, die Su-35. Das Rüstungsgeschäft hat einen Wert von mehreren Milliarden Dollar. Vor kurzem kündigte der russische Präsident Wladimir Putin außerdem an, China beim Aufbau eines Frühwarnsystems gegen anfliegende Raketen zu unterstützten. Damit habe die russisch-chinesische Militärkooperation eine neue Stufe erreicht, sagt der Politikwissenschaftler Tong Zhao vom Carnegie-Tshinhua-Zentrum in Peking: „Diese Bereitschaft Russlands kann erheblich dazu beitragen, Chinas Fähigkeit zur nuklearen Abschreckung zu erhöhen. Es ist bemerkenswert, dass sich die Zusammenarbeit damit auch auf die strategische Sicherheit ausweitet.“
Gemeinsame militärische Übungen gibt es zwar schon seit über 15 Jahren. Doch sie haben zugenommen, erläutert Thomas Eder vom Mercator-Institut für China-Studien in Berlin: „Gemeinsame Marinemanöver unter dem Namen Joint Sea gibt es seit 2012. Die fanden auch schon im Mittelmeer und im Südchinesischen Meer statt. 2017 gab es auch gemeinsame Übungen im Bereich der Raketenabwehr. Und letztes Jahr sahen wir sogar eine erste chinesische Beteiligung an Russlands gigantischen jährlichen Armeemanövern Wostok 2018.“
An Wostok 2018 beteiligten sich 3500 chinesische Soldaten. Im Juli hat es zudem gemeinsame Patrouillen-Flüge russischer und chinesischer Kampflugzeuge in Asien gegeben.
Das chinesische Militär kann bei diesen Übungen von den kampferfahrenen russischen Streitkräften lernen. Gleichzeitig versuchen sowohl China als auch Russland auf diese Weise die USA zu beeindrucken. Thomas Eder sieht es so: „Mit diesen Übungen signalisiert man, dass China und Russland durch die engeren gemeinsamen Beziehungen in einer stärkeren Position seien und man ihnen keine Zugeständnisse abringen könne.“
Allerdings sollte man die Bedeutung dieser Manöver nicht überbewerten, meint Erhard Crome vom Welttrends-Institut in Potsdam: „Das sind eher symbolische Gesten. Und darüber hinaus hat das Ganze natürlich einen defensiven Charakter: Man übt, wie man denn in bestimmten Gegenden des Interessengebietes des einen eine gewisse Kooperation mit dem anderen gewinnt.“
Wie würden China und Russland beispielsweise im Fall eines militärischen Konflikts zwischen Nordkorea und den USA reagieren? Dmitri Trenin, Direktor des Carnegie-Zentrums in Moskau, glaubt nicht, dass sie militärisch eingreifen. „Aber sie könnten Informationen austauschen, sich beraten, ihre Radarsysteme koordinieren. Das soll durch diese Zusammenarbeit geprobt werden.“
Ein förmliches Militärbündnis zwischen Russland und China mit gegenseitiger Beistandsverpflichtung halten die meisten Experten für ausgeschlossen. Denn zu groß sind die Interessenunterschiede zwischen den beiden Staaten. China erkennt zum Beispiel die Krim nicht als russisches Territorium an. Russland wiederum unterstützt nicht die chinesischen Ansprüche im Südchinesischen Meer. Dmitri Trenin ist deshalb sicher: „Russland wird nicht an der Seite Chinas und China nicht an der Seite Russlands gegen die USA Krieg führen. Daran denken weder die chinesische noch die russische Führung.“
Diese Einschätzung teilt der chinesische Sicherheitsexperte Tong Zhao. Doch er glaubt, dass Peking mit der Kooperation die Hoffnung verbindet, „bei einem möglichen Konflikt im Südchinesischen Meer gegenüber den USA mehr Gewicht in die Waagschale werfen zu können“.
Russland beliefert Indien und Vietnam weiterhin mit modernsten Waffensystemen. Mit beiden Staaten hat China ungelöste territoriale Konflikte. Das ist ein weiterer Interessenkonflikt, der der militärischen Zusammenarbeit von China und Russland Grenzen setzt.
Trotz dieser Interessenunterschiede wird die russisch-chinesische militärische Zusammenarbeit wohl weiter ausgebaut. Es heißt, ein neuer Vertrag über militärische Kooperation werde angestrebt. Für den Politikwissenschaftler Michael Staack von der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr haben Peking und Moskau das gemeinsame Interesse, „dass sie eine Dominanz der USA verhindern oder einer zu dominierenden Rolle der USA in der Weltpolitik entgegentreten wollen. Russland hat dort auf der einen Seite seine Rüstungstechnologie einzubringen, auf der anderen Seite aber auch seinen Status als zahlenmäßig größte Nuklearmacht der Welt – während China ja nur über ein sehr kleines Nuklearpotenzial verfügt.“
Beide Länder hoffen, durch die militärische Zusammenarbeit international politisch an Gewicht zu gewinnen. Russland setzt zudem darauf, durch seinen militärischen Status in der Kooperation nicht weiter als Juniorpartner des wirtschaftlich dominanten Chinas zu erscheinen.
Die intensivere Annäherung Moskaus an China begann 2014, nach der Ukraine-Krise, als der Westen gegen Russland wegen dessen Vorgehen Sanktionen verhängte. Ein weiterer Grund ist die konfrontative Handels- und Militärpolitik der USA, schätzt Michael Staack: „Die USA haben Russland und China zu Gegnern erklärt und im Sinne einer self-fulfilling prophecy haben diese beiden Gegner dann auch stärker zueinander gefunden, als das vorher der Fall gewesen ist.“
Nach der Kündigung des INF-Abkommens planen die USA, in Asien landgestützte Mittelstreckenraketen gegen China zu stationieren. Das dürfte insbesondere die russisch-chinesische Zusammenarbeit bei Frühwarn-, Luft- und Raketenabwehrsystemen weiter verstärken, vermutet der Pekinger Sicherheitsexperte Tong Zhao: „Sowohl Russland als auch China gehen davon aus, dass die USA eine hegemoniale und unilateralistische Politik betreiben und neue Raketen stationieren wollen, um ihre militärische Überlegenheit zu sichern. Deshalb haben Peking und Moskau ein Interesse daran, gemeinsam der möglichen Stationierung von Mittelstreckenraketen entgegenzutreten.“
Die USA könnten auf die verstärkte russisch-chinesische Militärkooperation antworten, indem sie ihre bisherigen Rüstungsprogramme noch weiter aufstocken. Das entspräche einer rein militärischen Logik. Die Hauptverantwortung für die damit verbundenen Rüstungsprozesse trage aber die westliche Welt, glaubt Politikwissenschaftler Erhard Crome: „Der Westen rüstet vor, insbesondere die USA, auch im qualitativen Bereich, und die anderen müssen sehen, wie sie hinterherkommen.“
Die zunehmende russisch-chinesische Militärkooperation könnte die Aufrüstungsspirale weiter anheizen, befürchtet auch Michael Staack. Doch er warnt davor, die militärischen Gefahren überzubewerten: „Die chinesisch-russische Militärkooperation stellt keine direkte Bedrohung für Deutschland und die Europäische Union dar. Sie liegt aber politisch nicht in unserem Interesse. Nach dem Weißbuch 2016 ist die Zielsetzung deutscher Politik, Russland als Partner langfristig zurückzugewinnen. Und China ist immerhin der wichtigste Handelspartner Deutschlands.“
Realistische Rüstungskontrollvorschläge gegenüber China könnten auch helfen, die Spannungen im Südchinesischen Meer zu vermindern. Allerdings müssten die USA bereit sein, eigene militärische Systeme in der Region ebenfalls zur Disposition zu stellen.
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für die Senderreihe „Streitkräfte und Strategien“ (NDR-Info, 14.12.2019).
Schlagwörter: China, Jerry Sommer, Militärallianz, Militärkooperation, Russland, Rüstung