von Jerry Sommer
Seit dem 1. September 2019 haben die französischen Streitkräfte einen neuen militärischen Organisationbereich: das „Vereinigte Weltraumkommando“. Im Unterschied zu der von US-Präsident Trump als eigenständige Teilstreitkraft geplanten US-Space Force, ist das französische Kommando allerdings Teil der Luftwaffe. Paris spricht nun von „Luft- und Weltraumstreitkräften“.
Die Umorganisation der militärischen Weltraumaktivitäten verbindet Frankreich auch mit einem personellen Ausbau des Kommandos, so Xavier Pasco vom Pariser Institut für Sicherheitsforschung „Fondation pour la recherche stratégique“: „Es wird anfangs aus rund 200 Personen bestehen und später einige hundert Stellen zusätzlich erhalten.“ Diese Strukturreform hat die französische Verteidigungsministerin Florence Parly schon im Juli im Rahmen einer neuen französischen „Weltraum-Verteidigungsstrategie“ angekündigt. Für Experten war diese Strategie keine Überraschung. Denn die Bedeutung des Weltraums für Gesellschaft, Wirtschaft und auch das Militär hat erheblich zugenommen. Gleichzeitig sind immer mehr Staaten technisch in der Lage, die Satelliten-Kommunikation zu stören oder gar Satelliten abzuschießen.
Frankreich verfügt über ein Dutzend ausschließlich militärisch genutzter Satelliten. Sie dienen zum einen der Aufklärung und Überwachung im Rahmen der strategischen Nuklear-Abschreckung; außerdem der Informationsgewinnung und Kommunikation bei Militäroperationen wie zum Beispiel in Mali.
In den USA unterstehen rund 170 Satelliten direkt dem Militär, in Russland rund 80 und in Deutschland sind es weniger als zehn. Alle Militärs nutzen jedoch auch andere Satelliten, die vorwiegend zivile Aufgaben haben – zum Beispiel Wettersatelliten.
Mit der neuen „Weltraum-Verteidigungsstrategie“ wird Frankreich seine militärischen Aktivitäten im All weiter verstärken. Die Verteidigungsministerin Florence Parly kündigte sogar konkrete Waffenprojekte an: „Wenn unsere Satelliten bedroht sind, werden wir erwägen, die Satelliten unserer Gegner zu blenden. Dies kann auch den Einsatz von starken Lasern bedeuten, die von unseren Satelliten oder von unseren Nanosatelliten eingesetzt würden.“ Frankreich plant, bis 2030 eine solche sogenannte „aktive Verteidigung“ mit auf Satelliten stationierten Lasern aufzubauen. Dabei setzt die französische Verteidigungsministerin Parly auch auf die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, insbesondere mit Deutschland und Italien.
Diese Pläne sind jedoch höchst umstritten. So stellt sich zunächst die Frage der technischen Machbarkeit. Der Raumfahrtexperte und ehemalige deutsche Marineoffizier Patrick O’Keefe vom Kieler „Institut für Sicherheitspolitik“ ist skeptisch: „Lasergestützte Systeme oder hochenergiegewinnende Systeme gibt es schon. Die kann man in großen Containerlösungen auch in Bodensituationen anwenden. Aber wenn man sagt, man möchte diese Fähigkeit in den Weltraum verlegen, in einen kleinen Satelliten ein Meter mal ein Meter mal ein Meter, ist das aus derzeitiger Perspektive noch sehr unrealistisch.“
Ein weiteres Problem: Gegnerische Satelliten könnten sich zumindest teilweise gegen Laserstrahlen schützen – zum Beispiel durch stärkere Außenwände und durch verschließbare Klappen, die verhindern, dass angreifende Laserstrahlen die Optik blenden oder beschädigen. Und: Laserwaffen im All können keineswegs nur defensiv verwendet werden. Patrick O’Keefe urteilt: „Technisch gesehen können sie auch für offensive Funktionen genutzt werden. Aber das können viele Waffen, die für einen defensiven Charakter benutzt werden können.“
Der Weltraumvertrag von 1967 verbietet lediglich die Stationierung von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen im Weltraum. Dem Wortlaut dieses Vertrages würden Laserwaffen auf Satelliten also nicht widersprechen. Der Konfliktforscher Götz Neuneck vom Hamburger „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ stellt allerdings fest: „Im Geiste des Weltraumvertrages ist das nicht. Denn der spricht ja von einem gemeinsamen Erbe der Menschheit. Er spricht davon, dass man den Weltraum nur für friedliche Zwecke verwenden sollte.“
Die eigener Satelliten gegen Einflussnahme von außen mit technischen, passiven Mitteln besser zu schützen, das hält Neuneck für legitim, „ aber nicht, offensive Fähigkeiten in den Weltraum zu bringen oder Fähigkeiten, die offensiv interpretiert werden können, die dann andere Staaten dazu einladen, einen eigenen Rüstungswettlauf zu starten.“
Deutschland sollte deshalb nicht auf den französischen Wunsch eingehen, sich an Forschung und Entwicklung von Laserwaffen zur Stationierung auf Satelliten zu beteiligen, fordert Götz Neuneck. Tatsächlich hat die Bundesregierung bisher auf den französischen Vorstoß offiziell nicht reagiert – und eine öffentliche Zustimmung sei auch nicht zu erwarten, schätzt Patrick O’Keefe: „Das ist eine Forderung, die mit dem Charakter von den deutschen Streitkräften oder allgemein der Rhetorik aus Deutschland nicht so ganz kompatibel ist. Wir stellen unsere Fähigkeiten nicht so offensiv nach außen hin dar.“
Auch habe die Bundeswehr bisher keine Bedrohung ihrer Satelliten festgestellt, sagt Patrick O’Keefe. Jedoch werde natürlich auch in Deutschland an Hochenergielasern geforscht – und das ebenfalls im Verbund mit anderen Staaten. Zum Beispiel mit dem Ziel, mit Laserstrahlen im All die Flugbahn von Weltraumschrott zu ändern oder ausgemusterte Himmelskörper zu beseitigen. Solche Forschungsergebnisse könnten auch militärisch genutzt werden.
Ein anderer Grund für die deutsche Zurückhaltung gegenüber der französischen Kooperationsaufforderung dürften auch die unterschiedlichen strategischen Zielvorstellungen sein, glaubt Xavier Pasco von der „Fondation pour la recherche stratégique“: „Frankreich hat sich immer dafür eingesetzt, die Rolle der Europäischen Union in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen zu stärken. Im Unterschied dazu sehen Partner wie Deutschland und andere Staaten dies vor allem als Aufgabe der NATO an. Diesen Unterschied gibt es auch im Bereich des Weltraums“.
Die NATO hat auf ihrem Gipfeltreffen Anfang Dezember, den Weltraum zu einem eigenen neuen Operationsgebiet des Bündnisses erklärt. Dies wird aber kaum praktische Auswirkungen haben. Denn es ist nicht geplant, eigene NATO-Systeme im Weltraum zu stationieren. Es geht erst einmal nur darum, die NATO stärker zum Austausch von Informationen und Fähigkeiten zu nutzen, die durch die nationalen Weltraumsysteme der einzelnen NATO-Staaten zur Verfügung gestellt werden können.
Mit dieser NATO-Vorstellung sind die französischen Weltraumpläne durchaus kompatibel, meint der französische Sicherheitsexperte Xavier Pasco. Der Hamburger Konfliktforscher Götz Neuneck befürchtet jedoch, dass sowohl die französischen Pläne wie auch die neue NATO-Erklärung den Rüstungswettlauf im All anheizen werden: „Natürlich werden Russland und China, die ja seit langem Vorschläge gemacht haben zu Verboten auf diesem Sektor, daraus ihre Schlussfolgerungen ziehen. Und natürlich werden auch andere Staaten wie Indien selbst technologisch darauf reagieren.“
Diplomatische Lösungen – zum Beispiel ein vertragliches Stationierungsverbot von Waffen im Weltall oder auch nur einen vertrauensbildender Verhaltenskodex – seien dringend notwendig, sagt Götz Neuneck. Das befürwortet auch der französische Sicherheitsexperte Xavier Pasco. Doch er hofft, dass Frankreichs Pläne, eigene Satelliten mit Laserwaffen zu bestücken, die Diplomatie voranbringen: „Ich bin überzeugt davon, dass wir ein internationales Regelwerk für den Weltraum brauchen. Und ich glaube, dass die Verteidigungsministerin ganz bewusst die Pläne für Laserwaffen im Weltraum erwähnt hat, um andere Länder davon zu überzeugen, dass noch Zeit ist, darüber zu verhandeln.“
Aufrüstungspläne um Rüstungskontrollvereinbarungen zu erzielen – das wäre ein fragwürdiges Konzept. Es ist zu bezweifeln, ob Frankreich Weltraumrüstungskontrolle erleichtert – zumal bei einer Abstimmung in den Vereinten Nationen Anfang November Frankreich – wie auch die anderen NATO-Länder – gegen eine Resolution gestimmt hat, die eine Stationierung von Waffen im Weltall verbietet. Die Resolution wurde mit Zweidrittelmehrheit angenommen. Auch lehnt Frankreich Verhandlungen über einen entsprechenden Vertragsentwurf ab, den Russland und China schon vor Jahren vorgelegt hatten. Wer wirklich einen Rüstungswettlauf im All verhindern will, sollte den Vertragsentwurf als Basis für Gespräche nutzen und konkrete Veränderungsvorschläge machen statt die Stationierung von Laserwaffen im Weltraum anzustreben.
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für die Senderreihe „Streitkräfte und Strategien“ (NDR-Info, 02.11.2019).
Schlagwörter: EU, Frankreich, Jerry Sommer, NATO, Rüstungskontrolle, Weltraumwaffen