23. Jahrgang | Nummer 1 | 6. Januar 2020

„Die Rettung der Welt“ – war’s das?

von Literat

Vorweg: Gemeint ist das Ergebnis von – so der informative Untertitel – „Entspannungspolitik im Kalten Krieg 1950–1991“. Es kam nicht zur gewalttätigen Systemauseinandersetzung, obgleich diese Periode mit der Eliminierung des „real existierenden Sozialismus“ zugunsten des nunmehr weltumspannenden Kapitalismus endete. Wiederholung: weitgehend friedlich!

Was da tatsächlich in dem eingegrenzten Zeitraum geschah, widersprach allen zuvor offen verkündeten Konzeptionen: Für den Fall der existenziellen Auseinandersetzung sowohl im Angriff als auch bei der Verteidigung würde mit allen Mitteln gekämpft werden. Die Begriffe „Endkampf“ und „Harmagedon“ wären dafür wohl angemessen. Denn alles auch um den Preis, dass infolge der Vernichtungen Sieg und Niederlage in der Auswirkung soweit relativiert würden, dass das klassische Ergebnis des Schießkrieges: „aber gewonnen“, kaum noch von Bedeutung wäre. Obwohl man das eigentlich wusste, schlossen die Texte der militärischen Manuals bei allen Akteuren das nicht aus. Vor diesem Hintergrund ist der Titel, zunächst 2016, danach in unveränderter Fassung erschienen, sachlich nicht vermessen.

Was Absicht und Leistung des Autors Wilfried Loth anlangt, ergibt sich zusätzlich Allerlei darum herum. In einer umfassenden Neuauflage vom Jahr 2000 gibt es dessen Werk „Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges 1941 – 1955“, das er selbst als „grundlegend“ bezeichnet. Für Blättchen-Akteure besonders interessant ist aber vermutlich eine andere Arbeit von Loth – 2007 erschienen –, die nicht nur in Fachkreisen Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen war: „Die Sowjetunion und die deutsche Frage. Studien zur sowjetischen Deutschlandpolitik. Von Stalin bis Chruschtschow“. Mit eigenen Recherchen und originären Ableitungen kam er zu dem Schluss, dass die Deutung sowjetischer Deutschlandpolitik als sozialistische Expansion den Tatsachen nicht Stand hält. Insbesondere an der sogenannten „Stalin-Note“ von 1952 konnte er nachweisen, dass es Stalin wirklich um ein bürgerliches, demokratisches Gesamtdeutschland ging, weitgehend in Verfasstheit gemäß der „Weimarer Verfassung“. Der „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR war demnach keineswegs das Hauptziel, sondern eine ungeliebte Notlösung für fast alle Machthaber in Moskau, auch danach. In einer sehr frühen Phase hatte Loth eine Arbeit trefflich „Stalins ungeliebtes Kind“ getitelt.

Mit diesen Forschungsergebnissen hatte er es nicht leicht, in der antisowjetischen Atmosphäre der BRD und bei der Mehrzahl der Historiker. Denn eine Nebenwirkung war die daraus resultierende Erkenntnis, dass die Adenauer-Politik keineswegs die Einheit Deutschlands als Hauptziel gewollt oder gefördert hatte.

Vielleicht hätte alles auch ganz anders kommen können? Ich darf versichern, dass auch diese Forschungsergebnisse in angemessenem Umfang in unsere in Rede stehende Veröffentlichung Eingang gefunden haben; ohne etwa nur die deutsch-deutschen Wege, Irrwege und auch Pfade bis hin zur Vereinigung abzuschreiten und das Ergebnis leserfreundlich vorzulegen.

Insbesondere, was sich als Entspannungsprozess in seinem Verlauf und auch in seiner internen Dramaturgie „oberhalb“ Deutschlands in den Führungszentren der Sowjetunion, bei ihren Gegenspielern in den USA und bei den europäischen Verbündeten der Bundesrepublik vollzog, wird auch methodologisch gelungen aufbereitet. So hat Loth eigentlich einen Sammelband zusammengestellt, mit ihm als alleinigem Autor. Das reicht aber völlig aus, da es weitgehend um Information geht, womit das Werk vor allem – fast zeitlos – für die Wissensvermittlung, aber auch für die politische Unterhaltung nützlich ist.

In der Form dient diesem Zweck die Aufgliederung in zehn Themenbereiche, diese wiederum auch im Inhaltsverzeichnis jeweils weiter aufgegliedert. Das reicht von „Koreakrieg und Stalinnoten“ bis zu „Der Zerfall der Sowjetunion“; dazwischen die deutsche Vereinigung mit Vor- und Nachgeschichte und auch manch kleiner „Geschichten“ dabei. Alles stets bezogen auf den Zeitraum bis 1991, obwohl der Autor ja hinreichend durch seine aktuellen Veröffentlichungen bewiesen hat, dass er weiß, was danach bis in die Gegenwart geschah. Er entgeht aber der Versuchung, seinen Text aus sich wandelnden Auffassungen zu seinem Thema abzuleiten, sondern aus dem Gegenstand in zeitlicher Abgrenzung und in zeitgenössischem Rahmen. Wie gut Loth das mit und bei der Materialfülle macht, ist zusätzlicher Anlass, sich mit der „Rettung der Welt“, gemäß dieses Berichts durch die friedliche Beendigung des Systemgegensatzes realisiert, zu beschäftigen. Ungeachtet erneuter und durchaus ernster Gefährdungen – aber das ist ein anderes Thema.

Wilfried Loth: Die Rettung der Welt – Entspannungspolitik im Kalten Krieg 1950–1991, campus Verlag, Frankfurt am Main 2016, 375 Seiten, 29,95 Euro.