von Waldemar Landsberger
Die Thüringer Landtagswahl gilt am 7. November als abschließend ausgezählt. Die Freien Demokraten haben nun 73 und nicht nur fünf Stimmzettel über der Fünf-Prozent-Marke und dürfen sich auf Abgeordnetenbüros freuen.
Das Ergebnis ist landauf, landab erörtert: die CDU fiel von 33,5 Prozent bei der Landtagswahl von 2014 auf nunmehr 21,7 Prozent und ist nur noch drittstärkste Partei in diesem Freistaat – hinter Bodo Ramelows Linkspartei mit 31,0 Prozent und der AfD mit 23,4 Prozent. Gleichwohl haben die Koalitionspartner verloren: die SPD kam auf gerade noch 8,2 Prozent, die Grünen gar auf nur 5,2 Prozent. Dabei ist die Wahlbeteiligung von 52,7 Prozent (2014) auf 64,9 Prozent (2019) deutlich gestiegen; es sind etwa 160.000 mehr Menschen zur Wahl gegangen.
Am lautesten wurden überall die Wahlergebnisse der AfD diskutiert. Bei der Landtagswahl in Sachsen am 1. September hatte sie 27,5 Prozent erreicht, hinter der CDU mit 32,1 Prozent, in Brandenburg 23,5 Prozent, hinter der SPD mit 26,2 Prozent. In Thüringen nun ebenfalls der zweite Platz. In den Medien wurden diese zweiten Plätze der AfD als gewaltiger Sieg der anderen gefeiert. Doch auch wenn sie irgendwo auf dem ersten Platz gelandet wäre, hätte dies an den beabsichtigten oder möglichen Regierungsbildungskonstellationen der anderen Parteien nichts geändert.
Von der CDU bis zu Linken und Grünen war im Wahlkampf von „Faschisten“ geredet worden; nur hat dies die Wähler nicht von ihrer Wahlentscheidung abgehalten – nun werden immer öfter diese beschimpft. Tatsächlich führt das „Faschismus“-Gerede zu einer Entwertung und Veralltäglichung des Etiketts. Ganz abgesehen davon, dass damit der real existent gewesene deutsche Faschismus von 1933 bis 1945 verharmlost wird.
Hier sind zwei Punkte wesentlich. Zunächst resultierte der Zweite Weltkrieg nicht aus hetzerischen Tiraden der Naziführer, sondern daraus, dass das deutsche Großkapital nach der Niederlage von 1918 den Revanchekrieg wollte. Das deutsche Großkapital von heute ist ein zentraler Akteur auf den globalisierten Weltmärkten und hat sich geopolitisch in der Rolle des Juniorpartners der USA eingerichtet. Nationalistische und fremdenfeindliche Bekundungen schaden dem „Wirtschaftsstandort Deutschland“, weshalb die AfD der deutschen Exportindustrie eher im Wege steht. Während die NSDAP der Revanchekrieg-Fraktion schon vor 1933 politischen Ausdruck verlieh.
Zweitens, wenn die AfD in der Tat eine faschistische Partei wäre, wäre sie längst verboten. Die Bundesrepublik Deutschland von heute ist ein starker Staat, nicht mit der Weimarer Republik der 1930er Jahre vergleichbar. Es liegt stets in ihrem Ermessen, Parteien oder andere Organisationen zu verbieten, sofern sie Geist und Buchstaben des Grundgesetzes widersprechen. Der Verweis auf den Verfassungsschutz greift zu kurz; der hat Anfang 2019 mitgeteilt, dass die „Junge Alternative“, die Organisation adoleszenter AfD-Mitglieder, und der „Flügel“, der parteiinterne Strömungszusammenschluss um Björn Höcke, der zugleich Thüringer AfD-Chef ist, als „Verdachtsfälle“ behandelt werden. Darauf verweisen gern auch Aktivisten der Linkspartei und vergessen dabei völlig, dass Ende der 2000er Jahre die „Kommunistische Plattform“, das „Marxistische Forum“, der „Geraer Dialog“ und andere Zusammenschlüsse der Linken ebenfalls beobachtet wurden und als „offen extremistische Zusammenschlüsse“ galten, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurden. Mit anderen Worten: Verdachtsfälle bedeuten politisch und juristisch nichts. Alles andere liegt auf dem Feld der politischen Auseinandersetzung.
Die AfD mag reaktionär und rückwärtsgewandt sein, sie ist im Kern aber nicht „rechter“, als es die CDU von Alfred Dregger war. Dass sie in wesentlichen Punkten neoliberaler Wirtschaftspolitik völlig mit Christdemokraten und FDP übereinstimmt, wird durch das „Faschisten“-Gerede der CDU eher verhüllt als verdeutlicht.
Die nunmehrige Debatte in der Thüringer CDU entbehrt nicht verschiedener Verlogenheiten. Zunächst hatte bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 2016, bei der die AfD auch schon 24,3 Prozent erreichte und die Linke 16,3 Prozent, CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff SPD und Grüne auf „staatspolitische Verantwortung“ eingeschworen und in die Landesregierung genötigt. Dasselbe tat jetzt Michael Kretschmer in Sachsen. Es heißt, die Koalitionsverhandlungen verliefen „geräuschlos“. Nachdem Landesvater Ramelow in Thüringen der Sache nach nun die CDU aufforderte, dieser „staatspolitischen Verantwortung“ nachzukommen, verweigert sich diese. Unterstützt von Kanzlerin Merkel und der Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer erklärte CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring nach einigen Pirouetten, es gelte die Beschlusslage der CDU im Land und im Bund, nicht mit den „Rändern“ – also der Linken und der AfD – zu koalieren.
Nun hat Ramelow keine Mehrheit mehr im Parlament. Rot-Rot-Grün kommt auf 42 Mandate (von 90), das „bürgerliche Lager“ von CDU, FDP und AfD auf 48 Sitze. Da auch die FDP erklärte, Rot-Rot-Grün nicht zu neuen Mehrheiten verhelfen zu wollen, setzt Ramelow auf eine Minderheitsregierung, die stillschweigend von CDU- und/oder FDP-Abgeordneten unterstützt wird. Das hat Mohring inzwischen infrage gestellt. Zunächst orakelte er, „die Mitte“ hätte in Thüringen erstmals keine Fähigkeit mehr zur Regierungsbildung. Das meinte, Linke und AfD kommen zusammengerechnet auf 51 Sitze, die anderen, Mohrings „Mitte“, auf 39. Zugleich könne er – trotz der massiven Stimmenverluste der CDU – gegen Ramelow im Landtag antreten. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Hirte, seines Zeichens „Ostbeauftragter“ der Bundesregierung, ermunterte ihn dazu. Der CDU-Vizefraktionschef in Thüringen, Michael Heym, sprach sich ausdrücklich für eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Etliche thüringische CDU-Mandatsträger unterstützen diese Idee. Mohring schwafelt zwar, er wolle sich nicht mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Dabei ist jedoch völlig klar, dass die rot-rot-grünen Abgeordneten in einer Kampfabstimmung Mohring gegen Ramelow kaum gegen letzteren stimmen werden. Eine Ministerpräsidenten-Mehrheit für den CDU-Mann gibt es nur mit der AfD oder gar nicht. Alles andere ist Lüge.
Hier ist noch einmal an die Situation nach der Landtagswahl von 2014 zu erinnern. Als es um die Wahl von Bodo Ramelow im Thüringer Landtag ging, war Christine Lieberknecht, die vorherige CDU-Ministerpräsidentin, nicht mehr angetreten. Doch die CDU setzte darauf, dass es durch abweichendes Wahlverhalten einzelner Abgeordneter, etwa aus der SPD, in den ersten beiden Wahlgängen nicht für die erforderliche absolute Mehrheit von 46 Stimmen für Ramelow reichen werde. Hier hatte Mike Mohring, damals schon Landesvorsitzender der CDU und Fraktionsvorsitzender, mit der AfD vereinbart, einen CDU-Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufzustellen. Ein oder zwei Enthaltungen von SPD oder Grünen hätten gereicht, den durch eine Zählgemeinschaft von CDU und AfD durchzubringen. Das widersprach zwar der offiziellen Erklärung von Angela Merkel und der Spitze der Bundes-CDU, mit der AfD nicht zusammenarbeiten zu wollen. Aber Mohring erklärte intern, für diese Operation das Placet der Kanzlerin gehabt zu haben. Dazu passte auch, dass später ruchbar wurde, ein einflussreicher CDU-Mann habe versucht, einen SPD-Abgeordneten zu diesem Zwecke ganz ordinär zu bestechen.
Zur Erinnerung: Anfang der 2000er Jahre gab es die populistische „Schill-Partei“, die 2001 bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft mit 19,4 Prozent drittstärkste Partei wurde. CDU-Spitzenmann Ole von Beust hatte keine Skrupel, mit Schill und der FDP eine Koalition zu bilden, um den rot-grünen Senat aus dem Amt zu jagen. Mohrings Agieren wäre also nichts Neues. Es ist seit langem klar, dass die CDU in vermutlich nicht allzu ferner Zukunft den „bürgerlichen“ Charakter der AfD entdecken und akzeptieren wird. Wenn nicht jetzt, dann nach dem Abgang von Merkel. Und vielleicht doch in Thüringen. Denn was man eines Tages im Bund haben will, muss man zuvor auf Landesebene erproben.
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