22. Jahrgang | Nummer 19 | 16. September 2019

Gratulation, Frau Clara

von Renate Hoffmann

Als Fräulein Clara Josephine Wieck (1819–1896) Herrn Robert Schumann (1810–1856) am 31. März 1828 im Hause eines Leipziger Musikfreundes erstmals begegnete, lag nicht einmal ein Fünkchen Ahnung von dem Weg, den sie fürderhin miteinander gehen würden, über ihr.
Aus Roberts erstem Brief, den er an das zwölfjährige Fräulein sandte (11. Januar 1832): „Liebe verehrte Clara! […] Ich denke oft an Sie, nicht wie der Bruder an seine Schwester, oder der Freund an die Freundin, sondern etwa wie ein Pilgrim an das ferne Altarbild …“ – Und in ihrem ersten Brief schrieb Clara an Robert (17. Dezember 1832): „Mein lieber Herr Schumann, […] Ich freue mich sehr auf Weihnachten, und das Stückchen Stolle, was ich Ihnen aufheben werde, wartet jetzt schon auf Sie, damit es von Ihnen gegessen werden möchte, obgleich es noch nicht gebacken ist. […] schreiben Sie mir bald wieder, aber ja hübsch deutlich. Mit der Hoffnung, Sie bald bei uns zu sehen, schließe ich meinen Brief und bleibe Ihre Freundin Clara Wieck.“
Ihrer beider langjährige Gemeinsamkeit mit Höhen und Tiefen, Erfolg, Trauer, mit Wohl und Wehe beschließen zwei Schreiben. – Roberts letzter Brief aus der Nervenheilanstalt Bonn-Endenich vom 5. Mai 1855: „Liebe Clara! Am 1. Mai sandte ich Dir einen Frühlingsboten; die folgenden Tage waren aber sehr unruhige; Du erfährst aus meinem Brief, den Du bis übermorgen erhältst, mehr. Es wehet ein Schatten darin. Aber was er sonst enthält, das wird Dich, meine Holde, erfreuen. […] Leb wohl, Du Liebe! Dein Robert.“ – Tagebucheintragung von Clara Schumann am Tag von Roberts Abschied am 29. Juli 1856: „Seine letzten Stunden waren ruhig, und so schlief er auch ganz unbemerkt ein, niemand war in dem Augenblick bei ihm. Ich sah ihn erst eine halbe Stunde später. […] Ich stand an seiner Leiche, des heißgeliebten Mannes, und war ruhig; […] einige Blumen legte ich ihm noch aufs Haupt, meine Liebe hat er mit sich genommen.“
Zwischen Anfang und Ende dieser Verbindung zweier außergewöhnlicher Menschen, die einander viel bedeuteten, liegt ein außergewöhnliches Leben. Zu Clara Schumanns 200. Geburtstag sei an manches daraus erinnert.
Robert Schumann, der um neun Jahre Ältere, beschreibt das elfjährige Fräulein Wieck als „wild und schwärmerisch, sie rennt und springt wie ein Kind und spricht dabei die tiefsinnigsten Dinge: Kaum drei Schuh hoch liegt ihr Herz schon in einer Entwicklung, vor der mir bangt.“ – Wenige Jahre später kann Herr Robert Zuneigung und Sehnsucht nicht mehr verbergen (28. August 1835): „Mitten unter all den Herbstfesten und sonstigen Freudenhimmeln guckt immer ein Engelskopf hindurch, der dem einer mir sehr wohlbekannten Clara aufs Haar gleicht …“
Am 25. November 1835 ist Robert Schumann Gast bei Familie Wieck. Gegen Abend begleitet ihn die sechzehnjährige Clara zur Tür. Auf der Treppe – hier ist kein Ausweichen möglich – küsst er sie. Zum ersten Mal! Zu dieser Zeit ist er aber mit einer anderen Dame verlobt. Clara möchte sich versichern und fragt nach seinem Verlöbnis, von dem sie Kenntnis hat. Herr Schumann schwindelt ein bisschen und lässt seine Ernestine von Fricken bereits anderweitig verlobt sein.
Clara wird 18 Jahre alt und der Musiker, Komponist und Publizist Robert bittet Friedrich Wieck um die Hand seiner Tochter. Es schlägt fehl. – Dem zeitweiligen väterlichen Verbot, ihren heimlichen Verlobten zu sehen, begegnet Clara mit weiblicher Diplomatie: „Sei punkt 9 Uhr vor unserm Fenster; winke ich mit einem weißen Tuch, so gehe langsam zu dem alten Neumarkt, ich komme dann nach. […] Geh aber langsam, weil ich mich dann erst zurecht machen muß …“
Die beharrliche Weigerung Friedrich Wiecks zur Eheschließung zwingt die Liebenden im Jahr 1839 zu einer Eingabe an das Leipziger Appellationsgericht mit dem Ersuchen um den Heiratskonsens: „Wir Endunterzeichneten hegen seit langen Jahren bereits den gemeinen und innigen Wunsch, uns ehelich miteinander zu verbinden […]“ Ein Hindernis steht dem allerdings entgegen „der mitunterzeichneten Clara Wieck Vater verweigert uns nämlich seine Zustimmung […] “ Nach langwieriger juristischer Prüfung der Sachlage erfolgt endlich im August 1840 die amtliche Genehmigung zur Heirat. Und am 12. September gleichen Jahres werden Robert Schumann und Clara Wieck in der Gedächtniskirche Leipzig-Schönefeld getraut. Am Tag darauf, am 13. des Monats begeht Clara ihren 21. Geburtstag. – Notiz in Claras Tagebuch vom 12. September: „Eine Periode meines Lebens ist nun beschlossen. […] Jetzt geht ein neues Leben an, das Leben in dem, den man über alles und sich selbst liebt […]“
Clara Schumann – die bereits in jugendlichen Jahren verehrte und gerühmte Pianistin. Bald ist sie gefragt von Wien bis Paris, von Kopenhagen bis St. Petersburg und Moskau. Sie spielt im Leipziger Gewandhaus und gastiert in Weimar. Und zwischen Konzertreisen und Haushalt kommen bei den Schumanns acht Kinder auf die Welt. – Sie ist eine bewundernswerte Frau. Chopin wartet in Leipzig eine volle Stunde auf sie, um sie zu sehen. Paganini schreibt ihr eine schmeichelhafte Widmung. Wer beizeiten neben der musikalischen Leistung auch ihre unglaubliche Energie erkennt, ist der Geheimrat Goethe. Sie spielt ihm als kleines Mädchen vor. Als so kleines Mädchen, dass er ihr ein Kissen unterschiebt, damit sie besser zur Tastatur hinaufreicht. Hernach sagt er: „Das Mädchen hat mehr Kraft als sechs Knaben zusammen.“
Franz Liszt meinte, nachdem er sie in einem Konzert gehört hatte: „Ihr Talent entzückte mich; vollendete technische Beherrschung, Tiefe und Wahrheit des Gefühls und durchaus edle Haltung.“ Und Grillparzer bedichtet sie im Überschwang. – Die schönste Huldigung aber erweist Robert seiner Clara: „Du bist es doch, von der ich alles Leben empfange.“