von Manfred Orlick
Harald Hauswald (Jahrgang 1956) war einer der fotografischen Chronisten der DDR, dabei druckte ihn damals kaum eine Zeitung zwischen Ostsee und Erzgebirge. Anonym hatte er für westdeutsche Journale gearbeitet, so dass seine Fotos nur in Kirchenzeitungen erscheinen konnten. Ohne Auftraggeber und ohne Zwang wurde Hauswald aber so zu einem unbestechlichen Beobachter des DDR-Alltags. In den späten 1980er Jahren wagten sich schließlich einige DDR-Medien wie Sonntag und Das Magazin an eine Veröffentlichung seiner Fotos. 1990 gehörte Hauswald zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Agentur OSTKREUZ, deren Mitglied er bis heute ist.
Im Leipziger Lehmstedt Verlag erschienen 2013 zwei repräsentative Hauswald-Bildbände: „Vor Zeiten – Alltag in der DDR“ mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen von 1976 bis 1990 sowie „Ferner Osten – die letzten Jahre der DDR“ mit noch unbekannten Farbfotos der Jahre 1986 bis 1990. Letzterer Fotoband erlebte nun, pünktlich zu „70 Jahre DDR“, eine Neuauflage und will noch einmal den Widerspruch zwischen Sein und Schein, Anspruch und Realität in der DDR aufzeigen.
1985 hatte sich Hauswald beim Hamburger Magazin GEO um Fotoaufträge beworben und wurde großzügig mit Kodak-Filmen unterstützt. So ausgestattet entstand sein erster Auftrag, eine Fotoserie über die unabhängige Kunst- und Musikszene Ostberlins. Neben diesem Thema fotografierte Hauswald auch das Treiben auf der Straße – am Prenzlauer Berg, in der Schönhauser Allee oder in Berlin-Lichtenberg. Aufnahmen abseits der offiziellen Parolen von Punks vor dem Kino „Kosmos“, von jungen Pionieren in der S-Bahn oder Wehrpflichtigen auf dem ND-Pressefest. Beliebte Motive waren für Hauswald auch Kohlenschlepper, Feierabendbiertrinker oder Straßenkehrer … und das zum Beispiel ausgerechnet am Fuße des Fernsehturmes. Auch der sogenannten „Datschenkultur“ am Rande Berlins widmete er sich.
Hauswald fotografierte aber nicht nur in der DDR-Hauptstadt. So entstand eine Serie auf Hiddensee, wo er sich weniger für die landschaftlichen Schönheiten, sondern für das einfache ländliche Leben interessierte. Auch im Harz, in der Oberlausitz, auf dem Pferdemarkt in Havelberg oder im Leipziger Land (kurz vor der Räumung eines Dorfes für den Abbau der Braunkohle) war er unterwegs. Trotz der Farbigkeit vergegenwärtigen die Fotos die Tristesse der grauen, bröckelnden Fassaden (zum Beispiel in der Halberstädter Altstadt), vielleicht noch stärker als Hauswalds gewohnte Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Diese Farbfotoserien, die zumeist ohne Auftrag entstanden, wurden nach dem Zusammenbruch der DDR nicht mehr publiziert; hier sind nun wieder ausgewählte Beispiele versammelt und wecken beim Betrachter persönliche Erinnerungen.
Die letzten Seiten zeigen schließlich die Endphase des Arbeiter-und-Bauern-Staates. Beginnend mit Fotos vom Pfingsttreffen der FDJ im Mai 1989. Alles schien wie immer: Aufmärsche, Hochrufe und Fähnchenschwenken. Doch Hauswald schaute auch hinter die Kulissen, wo all die Fahnen, Plakate und Losungen schließlich in riesigen Müllcontainern landeten. Aufnahmen von der Berliner Umweltbibliothek, vom Demonstrationszug am 4. November 1989 vor der Volkskammer bis hin zum D-Mark-Jubel am 1. Juli 1990 auf dem Alexanderplatz zeigen dann den rapiden Umbruch innerhalb eines Jahres.
Eingerahmt wird die ungeschönte Chronik von zwei doppelseitigen Farbfotos, die quasi eine Klammer um die letzten Jahre der DDR darstellen – 1986 das Getümmel während eines Solidaritätsbasars auf dem Alexanderplatz und am Schluss eine marode Hausfassade, vor der nach den Wendeereignissen die Werbetafeln von BILD, praline, BUNTE, taz und so weiter Spalier stehen. Hauswald hat die Schattenseiten und schließlich den Abgesang eines Systems authentisch, ohne Pathos, aber auch ohne Häme … und mit einer Portion Sympathie dokumentiert.
„Ferner Osten“ – der Bildband erzählt nüchtern und kritisch von einem verschwundenen Land, das bereits nach dreißig Jahren so fern scheint wie ein Land aus grauer Vorzeit. Und dennoch: Die DDR, das waren wir selbst.
Harald Hauswald: Ferner Osten – Die letzten Jahre der DDR, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2019, 2. Auflage, 176 Seiten, 28,00 Euro.
Schlagwörter: DDR, DDR-Hauptstadt, Farbfotos, Harald Hauswald, Manfred Orlick