von Mario Keßler
US-Präsident Trump ist sich treu geblieben: Trotz massiver Kritik, hieß es in der Tagesschau-Meldung, attackiere er weiter linke Demokratinnen. In Greenville (North Carolina) hatte er in der Tat andernorts schon Gesagtes wiederholt: Die Kongressabgeordneten Ilhan Omar, Rashida Tlaib, Alexandria Ocasio-Cortez und Ayanna Pressley, vier dunkelhäutige Frauen, von denen nur die Erstgenannte nicht in den USA (sondern in Somalia) geboren ist, würden die Vereinigten Staaten „hassen.“ Sie sähen die USA als „eine Kraft des Bösen. Sie wollen unsere Verfassung zerstören.“ – „Schickt sie zurück!“, skandierten Trumps Parteigänger, die selbst den in den USA geborenen Abgeordneten das Recht absprachen, sich Amerikanerinnen nennen zu dürfen. Trump quittierte dies mit triumphierendem Lächeln.
Man könnte all dies als die üblichen, wenngleich gefährlichen Flegeleien abtun. Pressley und besonders Ocasio-Cortez waren in Trumps Sicht nichts als linke Aufrührerinnen. Doch gegen Omar und Tlaib richtete er nicht zum ersten Mal den Vorwurf des Antisemitismus. Die jüdische Öffentlichkeit, aber auch viele Nichtjuden reagierten darauf zum Teil verhalten: Besonders Ilhan Omar habe sich in einer Weise gegenüber Israel und den Juden geäußert, die in der Tat verwerflich sei, war der allgemeine Tenor der liberalen Presse. Worum geht es?
Im Februar des Jahres hatte Ilhan Omar auf Twitter geschrieben, die israelfreundliche Haltung in den USA gehe auf Spenden einer proisraelischen Lobbygruppe zurück. Israel habe „die Welt hypnotisiert. Möge Allah den Menschen helfen, die bösen Taten Israels zu sehen.“
Nach massiver Kritik auch aus der eigenen Partei suchte sie nach Worten der Entschuldigung und schrieb allen Ernstes, ihr sei nicht klar gewesen, dass ihre Worte verletzend seien. Kurz danach behauptete Omar jedoch, amerikanische Juden hätten eine gespaltene Loyalität gegenüber ihrer Heimat. Einige hätten einem fremden Land die Treue geschworen – dies war natürlich Israel. In umständlicher Sprache schrieb Rashida Tlaib, nach der furchtbaren Verfolgung von Juden überall auf der Welt seien es ihre, Tlaibs, palästinensische Ahnen gewesen, die den Juden „einen Platz zur Verfügung gestellt“ hätten. Die Palästinenser, die von den Juden Vertriebenen wie ihre Nachkommen, aber hätten ein Rückkehrrecht. Von einem Rückkehrrecht der aus den arabischen Ländern vertriebenen Juden schrieb Tlaib nicht. Eine Zweistaatenlösung für Israel/Palästina lehnte sie ab. Diese erinnere sie an die Rassentrennung der Apartheid in Südafrika.
Wovon die Wortmeldungen der beiden Abgeordneten immer zeugen mögen – von Geschichtskenntnis jedenfalls nicht.
In der Tat kann das militärische Machtdenken rechter israelischer Politiker dem Land und der Region insgesamt noch teuer zu stehen kommen. Die Hamas, für deren Raketenangriffe auf Israel Omar und Tlaib Verständnis zeigten, ist freilich weit gewalttätiger. Im Gaza-Gebiet, aus dem sich Israel 2005 zurückzog, errichtete die Hamas ein autoritäres und repressives, auch gegen Frauen gerichtetes Regime. Die Unterstützer der Hamas in Teheran stehen für religiösen und nationalistischen Fanatismus, gekoppelt mit Antikommunismus und Judenhass. Es wäre hilfreich, würden Omar und Tlaib dies klar aussprechen.
Sind Ilhan Omar und Rashida Tlaib Antisemitinnen? Sicher nicht in dem Sinn, wie Trump es behauptet, lässt er doch auch keine rationale und berechtigte Kritik an der israelischen Politik und an den Methoden des Besatzungsregimes im Westjordanland gelten. Eine solche Kritik ist jedoch ebenso legitim wie nötig, und wäre dies das einzige Antriebsmotiv von Omar und Tlaib, könnte man ihre Äußerungen als bloß fehlgeleitet abtun (obwohl von Kongressabgeordneten eine sorgfältigere Wortwahl zu erwarten wäre). Doch haben beide auch Sympathie für die Bewegung Boycott-Divestment-Sanction (BDS) erkennen lassen, also der Boykottbewegung nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen seine Wissenschaftler und Kulturschaffenden. Dieser Boykott solle (so die extremste Variante) andauern, bis die Besetzung allen arabischen Landes beendet, also Israel von der Landkarte verschwunden sei.
Solange Omar und Tlaib hier keinen klaren Trennungsstrich ziehen, solange ist der Vorwurf des Antisemitismus nicht vom Tisch – wenn auch in einem ganz gegenteiligen Sinn, als Trump ihn erhebt. Wer Israelis oder Palästinenser, Juden oder Araber, Iraner oder Amerikaner pauschal als solche für eine falsche Politik in Haft nimmt, nützt nur all den Reaktionären, die heute wie seit jeher die Völker aufeinanderhetzen möchten, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Hinter dem Knäuel von Konflikten im Nahen Osten stehen harte Machtinteressen, schrieb der Agrarökonom Theodor Bergmann kurz vor seinem Tod im Jahre 2017: „Der Iran will zur regionalen Vormacht werden, der Irak-Krieg der USA hat diese Entwicklung gefördert. Er finanziert und bewaffnet die Hamas und Hisbollah gegen Israel und unterstützt schiitische Milzen im Irak. Teheran will durch den Kampf gegen Israel die arabischen Länder, die fast ausnahmslos nicht der Schia folgen, hinter sich scharen.“ Die Linke habe fast überall darin versagt, sogenannte nationale Forderungen als Ausdruck sozialer Klassen- und Gruppeninteressen zu enthüllen.
Kritische Solidarität sei hingegen mit allen Kräften in Israel wie unter den Palästinensern zu üben, die auf einen Frieden hinarbeiten, so Bergmann, einst selbst nach Palästina geflüchtet. Die arabischen Aufnahmeländer hätten sich niemals bemüht, die vertriebenen Palästinenser nach 1948 wirklich zu unterstützen und die Flüchtlinge so in ihre Gesellschaft einzugliedern, wie dies beide deutsche Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg tun mussten.
Die Lösung des Konfliktes, so das Fazit des alten Gelehrten und Aktivisten, müsse „von innen kommen, aus dem Zusammenwirken der Arbeiter und Bauern in beiden Völkern“, denn: „Die aktuellen Regierungen in Jerusalem und Gaza sind nicht willens, Frieden zu schließen. Sozialisten dürfen keine der beiden Regierungen in ihrer Intransigenz und ihren maximalistischen Forderungen unterstützen. Daher muss die Mehrheit in beiden Völkern die Regierungen auswechseln. Diese Mehrheit zu sammeln und zu führen ist die Aufgabe von sozialistischen Organisationen in beiden Ländern.“ So utopisch diese Perspektive derzeit erscheint, so nötig ist es, an sie zu erinnern. Denn die Fortschreibung der gegenwärtigen Zustände bedeutet immer neuen Krieg.
Ein Nachtrag: Während ich diese Zeilen schreibe, vermelden die Nachrichten den Tod des südafrikanischen Jazzmusikers und Apartheid-Gegners Johnny Clegg. Ihm war 1988 die Mitwirkung am legendären Konzert zu Ehren Nelson Mandelas im Londoner Wembley-Stadion von den Veranstaltern verweigert worden – nicht, weil sie Clegg vor möglichem Schaden bewahren wollten, der ihm in Südafrika hätte drohen können, sondern schlicht und einfach deshalb, weil er Südafrikaner war. Südafrikaner aber verfielen per se dem Boykott – so wie heute, auch nach Meinung von Ilhan Omar und Rashida Tlaib, Israelis, selbst wenn sie als Friedensaktivisten an Universitäten unterrichten (was sie in Israel, aber nicht im Iran dürfen).
Ist es wirklich so schwer zu begreifen, dass den Mächtigen wie Trump letztlich nur dann Paroli geboten werden kann, wenn jede Gegenstrategie international ausgerichtet ist und sich nicht durch das Beharren auf nationale oder sonstige Identität selbst entmündigt?
Zum Weiterlesen empfohlen: Theodor Bergmann: Der 100-jährige Krieg um Israel. Eine internationalistische Position zum Nahostkonflikt, VSA Verlag, Hamburg 2017, 94 Seiten, 9,80 Euro.
Schlagwörter: Alexandria Ocasio-Cortez, Antisemitismus, Ayanna Pressley, Ilhan Omar, Iran, Israel, Mario Keßler, Palästina, Rashida Tlaib, Theodor Bergmann, Trump