22. Jahrgang | Nummer 15 | 22. Juli 2019

Der Dreißigjährige Krieg: widersprüchliche Konsequenzen

von Lutz Unterseher

Reiterüberfall auf einen Bauernhof im Spessart:
„[…] Das erste, was diese Reiter thaten, und in den […] Zimmern meines Knans anfingen, war, daß sie ihre Pferde einstellten. Hernach hatte ein jeglicher seine besondere Arbeit zu verrichten, deren jede lauter Untergang und Verderben anzeigte.
Denn obzwar etliche anfingen zu metzgern, zu sieden und zu braten, so daß es sah, als sollte eine lustige Schmauserei gehalten werden, so waren hingegen andere, die durchstürmten das Haus unten und oben; ja das heimliche Gemach war nicht sicher, gleichsam als wäre das goldene Fell von Kolchis darin verborgen. Andere machten von Tuch, Kleidungen und allerlei Hausrat große Pakete zusammen, als ob sie irgendwo einen Krempelmarkt anstellen wollten; was sie aber nicht mitzunehmen gedachten, wurde zerschlagen und zu Grunde gerichtet.
Etliche durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen, als ob sie nicht Schweine genug zu stechen gehabt hätten. Etliche schütteten die Federn aus den Betten und füllten hingegen Speck, anderes dürres Fleisch und sonstiges Gerät hinein, als ob alsdann besser darauf zu schlafen wäre; andere schlugen Ofen und Fenster ein, gleichsam als hätten sie einen ewigen Sommer zu verkündigen.
Kupfer- und Zinngeschirr schlugen sie zusammen und packten die verbogenen und verderbten Stücke ein; Bettladen, Tische, Stühle und Bänke verbrannten sie, obzwar doch viele Klafter dürres Holz im Hofe lagen; Häfen und Schüsseln mußten endlich alle entzwei, entweder weil sie lieber Gebratenes aßen, oder weil sie bedacht waren, nur eine einzige Mahlzeit allda zu halten.
Unsere Magd ward im Stalle dermaßen behandelt, daß sie nicht mehr aus demselben herausgehen konnte, was eine Schande ist zu melden!
Den Knecht legten sie gebunden auf die Erde, stellten ihm ein Sperrholz in den Mund und schütteten ihm einen Melkkübel voll garstiges Mistlachenwasser in den Leib – das nannten sie den schwedischen Trunk, der ihm gar nicht schmeckte, sondern in seinem Gesicht sehr wunderliche Mienen verursachte. Dadurch zwangen sie ihn, eine Partei anderwärts zu führen, allda sie Menschen und Vieh hinwegnahmen und in unseren Hof brachten, unter welchen mein Knan, meine Meuder und unsere Ursel auch waren.
Da fing man nun erst an, die Steine von den Pistolen und hingegen statt deren die Daumen der Bauern aufzuschrauben und die armen Schelme so zu foltern, als wenn man hätte Hexen brennen wollen; maßen sie auch einen von den gefangenen Bauern in den Backofen steckten und mit Feuer hinter ihm her waren, ungeachtet er noch nichts bekannt hatte, einem anderen machten sie ein Seil um den Kopf und reitelten es mit einem Bengel zusammen, so dass ihm das Blut zu Mund, Nase und Ohren heraussprang. Kurz, es hatte jeder seine eigene Erfindung, die Bauern zu peinigen, und also auch jeder Bauer seine besondere Marter.
Allein mein Knan war meinem damaligen Bedünken nach der Glücklichste, weil er mit lachendem Munde bekannte, was andere mit Schmerzen und jämmerlicher Wehklage sagen mussten; und solche Ehre widerfuhr ihm ohne Zweifel darum, weil er der Hausvater war.
Sie setzten ihn nämlich zu einem Feuer, banden ihn, so daß er weder Hände noch Füße regen konnte, und rieben seine Fußsohlen mit angefeuchtetem Salze, welches ihm unsere alte Geiße wieder ablecken und dadurch also kitzeln mußte, daß er vor Lachen hätte zerbersten mögen.
Mir kam das so artlich und anmutig vor, weil ich meinen Knan niemals ein solches langwieriges Gelächter verführen gehört und gesehen, daß ich der Gesellschaft halber, oder weil ich‘s nicht besser verstand, von Herzen mitlachen mußte. In solchem Gelächter bekannte er seine Schuldigkeit und öffnete den verborgenen Schatz, welcher an Gold, Perlen und Kleinodien reicher war, als man hinter den Bauern hätte suchen mögen.
Von den gefangenen Weibern, Mägden und Töchtern weiß ich etwas Besonderes nicht zu sagen, weil die Krieger mich nicht zusehen ließen, wie sie mit ihnen umgingen. Nur das weiß ich recht wohl, daß man zum Teil hin und wieder in den Winkeln erbärmlich schreien hörte, und ich schätze wohl, es sei meiner Meuder und unserer Ursel nicht besser ergangen als den anderen. Mitten in diesem Elende wandte ich Braten und war um nichts bekümmert, weil ich noch nicht recht verstand, wie dieses alles gemeint wäre; ich half auch nachmittags die Pferde tränken, durch welches Mittel ich zu unserer Magd im Stalle kam, welche wunderwerklich zerstobelt aussah. Ich kannte sie nicht; sie aber sprach zu mir mit kränklicher Stimme: „O Bub! Lauf weg, sonst werden dich die Reiter mitnehmen […].“
Diese Textpassage ist einem der ersten Kapitel des „Simplicius Simplicissimus“ entnommen, dem ersten großen Roman in deutscher Sprache, einem barocken Meisterwerk (zuerst veröffentlicht 1668/69).
Der Autor Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen entstammte einem verarmten thüringischen Adelsgeschlecht und war evangelisch getauft. Schon früh „ging er zu den Soldaten“, war zunächst Trossjunge und später Schreiber in einem kaiserlichen – also katholischen – Regiment. Diese Tatsache und seine Heirat mit einer Katholischen dürften ihn dazu bewogen haben, zu deren Glauben überzutreten.
Nach seiner Militärzeit während des Dreißigjährigen Krieges versuchte er sich ohne sonderlichen Erfolg als Gastwirt, um seine letzten Jahre dann im Dienst des Fürstbischofs von Straßburg zu verbringen – und zwar als Schultheiß einer kleinen Gemeinde. Damit war er dort für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig sowie eine Art „Sheriff“ und auch Steuereintreiber.
Die zentrale Figur des Simplicius ist ein Ich-Erzähler, der seine Erlebnisse und Abenteuer während des Dreißigjährigen Krieges sowie in den Jahren unmittelbar danach auf eine höchst farbige Weise kundtut.
Sicherlich gibt es dabei Parallelen zu den Erfahrungen, die der Autor selbst gemacht hat. Doch um ein biografisches Werk im engeren Sinne handelt es sich nicht. Manches geht wohl eher auf Hörensagen zurück. Im Übrigen nutzt der Autor mehrfach Versatzstücke, die er der zeitgenössischen Literatur entlehnt hat. Denn er ist sehr belesen.
Über alle Wendungen seines Lebens hinweg bleibt der Ich-Erzähler ein „Simplex“ – ein Simpel, der die Welt mit den Augen des hoffnungslos Naiven sieht, der immer wieder aufs Neue zutiefst verwundert ist.
Diese Naivität erfährt gleichsam eine Verdoppelung, als der Ich-Erzähler sich in die Rolle eines Buben versetzt, der Grauenvolles mit ansehen muss. Dadurch wird die Schilderung des Geschehens auf eine Weise verfremdet, die uns mehr als jedes sachliche Protokoll eines vermittelt: blankes Entsetzen.

*

Der Dreißigjährige Krieg begann 1618 als bewaffneter Religionskonflikt zwischen Protestantismus und Katholizismus, entwickelte sich jedoch alsbald zu einem religiös nur verbrämten Kampf vormoderner Staatsgebilde und deren Allianzen um die Hegemonie im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.
In diesem Krieg, in dem wir bei genauerem Hinsehen eine Abfolge von vier Teilkriegen zwischen unterschiedlichen Kräftekonstellationen finden, trat trotz der überlagernden religiösen Frontstellung vor allem auch der Gegensatz zwischen katholischen Mächten zu Tage: die Habsburger, mit Spanien und Österreich, gegen Frankreich. Die religiöse Frontlinie hingegen sah den Habsburgischen Kaiser und die Katholische Liga kleinerer Staatsgebilde auf der einen Seite und die Protestantische Union samt Dänemark, den Niederlanden und Schweden auf der anderen.
Der sich hinschleppende Krieg wurde mit Truppen geführt, die sich in aller Kürze wie folgt charakterisieren lassen: in der Tendenz mangelhaft ausgebildet, undiszipliniert, von fragwürdiger Loyalität, also mit „Wechselbereitschaft“, weil schlecht oder sehr unregelmäßig besoldet.
Die damalige „Staatlichkeit“ war noch nicht so weit entwickelt, dass die Schaffung eines geordneten, leistungsfähigen Abgabensystems zur Unterstützung stehender Heere mit professioneller Ausbildung generell möglich schien.
Doch gab es Ausnahmen im Hinblick auf militärische Effizienz und Verlässlichkeit. Zu nennen sind etwa: das schwedische Heer (allerdings nur in der Anfangsphase seiner Operationen), die kaiserlichen Truppen des Warlords Wallenstein oder die – gefürchtete – spanische Infanterie.
Militärische Operationen stützten sich wesentlich auf die Ausplünderung der Landstriche, durch die man gerade zog. „Der Krieg ernährt den Krieg“ hieß es zynisch. Die Plünderungen sowie die mit ihnen einhergehenden Verwüstungen und Gewaltakte führten zu einem Ausbluten Mitteleuropas.
Der durch den Krieg verursachte Bevölkerungsschwund war äußerst dramatisch. Allerdings gehen die Schätzungen des Umfanges der Verluste weit auseinander.
In Zahlen: Die Reichsbevölkerung umfasste bei Beginn des Dreißigjährigen Krieges etwa 16 Millionen Menschen (wobei die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Niederlande damals noch dazugehörten). Bei Ende der Kampfhandlungen hatte sich diese Zahl um 20–45 Prozent verringert – also um etwas über drei bis mehr als sieben Millionen Menschen.
Selbst wenn die niedrigere Größe für realistischer gehalten wird, ergibt sich das Bild einer menschlichen Katastrophe, die – relativ gesehen – alles übertrifft, was in Mitteleuropa seither an Fürchterlichem geschehen ist. Auch die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, den Ersten Weltkrieg, und die noch größere Tragödie, den Zweiten.
Besonders litten im Dreißigjährigen Krieg Pommern, Mecklenburg, Thüringen und Württemberg. Dabei hatte die Landbevölkerung zumeist mehr Opfer zu beklagen als die in den Städten. In manchen Gebieten gingen die entsprechenden Zahlen bis gegen 70 Prozent (!).
Mitteleuropa war also ausgeplündert und ausgeblutet, die Ressourcen der kriegführenden Parteien waren erschöpft. Weitere – verzweifelte – Anstrengungen versprachen allenfalls noch marginale Gewinne. In dieser Situation ging es daran, Frieden zu schließen. Doch dauerten die dazu erforderlichen Verhandlungen immerhin noch fünf Jahre, bis es zum „Westfälischen Frieden“ von 1648 kam. Dieser gründete sich auf simultan laufende Beratungen, die durch die katholische Fraktion in Münster und in Osnabrück durch die protestantische geführt wurden. (Letztere bestand aus der lutherisch-evangelischen Richtung sowie den Reformierten: Diese wurden erst im Rahmen der Verhandlungen formal akzeptiert.)
Der Westfälische Frieden brachte eine Rejustierung der Machtverhältnisse im Reich (aus dem die Niederlande und die Eidgenossenschaft ausschieden). Er gilt als wichtiger Beitrag zur Entwicklung des modernen souveränen Nationalstaates. In diesem Kontext entstand schrittweise eine allgemeine Geltung beanspruchendes Regelwerk für den Umgang der Staaten miteinander: das Völkerrecht und insbesondere auch das Kriegsvölkerrecht.
Im Übrigen entwickelte sich eine umtriebige, zunehmend professionelle Diplomatie. Hinzu kamen Geheimdienste wachsender Effizienz. Man wollte in der Konkurrenz der Staaten Kontakt halten und die Motive des jeweils anderen im eigenen Sicherheitsinteresse verstehen können.
Krieg würde fürderhin zwar weiterhin möglich sein, etwa um bei Potentialverschiebungen zwischen den Staaten neue Balancen zu generieren, doch sollte er eingehegt, rechtlich und organisatorisch diszipliniert werden. Auf jeden Fall sollten die ausufernden Gemetzel und Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges sich nicht wiederholen – das darauf folgende Aufbauwerk, welches unter zunehmend straffer zentralistisch-staatlicher Ägide geschah, nicht wesentlich gefährdet werden.
In der Konsequenz wurden auf der Grundlage einer effizienteren staatlichen Verwaltung der kargen öffentlichen Ressourcen überall stehende Heere geschaffen, deren Soldaten man zumeist verlässlich alimentierte. Größere Plünderungen in den militärischen Operationsgebieten sollten dadurch und durch die Entwicklung eines leistungsfähigen Depotwesens zur Truppenversorgung tendenziell überflüssig werden.
Hinzu kamen rechtliche Regeln etwa zur humaneren Behandlung von Gefangenen (beziehungsweise ihres Austausches nach Beendigung der Feindseligkeiten) oder über Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen sowie deren Voraussetzungen. Die relativ gut ausgebildeten Heere waren kostbar, Soldaten ein knappes Gut: hatte doch der Dreißigjährige Krieg die Rekrutierungsbasis so grausam geschmälert. Es entwickelte sich eine allgemeine Tendenz zur Risikoscheu. Die Heere, Statussymbole des jeweiligen Herrschers, sollten in ihrem Bestand geschont werden, Krieg durch geschicktes Manövrieren zur Einnahme überlegener Positionen oder auch Wegnahme wichtiger gegnerischer Versorgungsmagazine gewonnen, Schlachten eher zur Ausnahme werden können.
In diesem Bezugsrahmen, man spricht vom Zeitalter der „Kabinettskriege“, konnten bewaffnete Zusammenstöße zwischen Staaten durchaus auch etwas länger währen, ohne an deren Substanz zu gehen. Man denke etwa an den vorwiegend in Westeuropa geführten Spanischen Erbfolgekrieg, der von 1701 bis 1714 dauerte!
Doch einer brach aus diesem System der kalkulierten Schadensminimierung durch Einhegung aus: der Preußenkönig Friedrich II. Als er sich im Gefolge der Raubkriege um Schlesien (1740–42 und 1744–45) durch eine von Österreich zusammengebrachte europäische Koalition, der außerdem Frankreich, Russland und Schweden angehörten, bedroht sah, schritt er 1756 zur Prävention.
Prävention: Das ist das militärische Zuvorkommen auf puren Verdacht hin, das damals bereits internationales Naserümpfen zur Folge hatte und das heute durch die Charta der Vereinten Nationen geächtet ist.
Friedrich war von Ruhmsucht getrieben. Bereits im Ersten Schlesischen Krieg schrieb er an einen französischen Freund: „Ich liebe den Krieg des Ruhmes wegen.“ Er meinte, alles auf eine Karte setzen zu müssen: sich mit großer Wucht auf den relativ bedrohlichsten Gegner zu stürzen, im vorliegenden Falle Österreich, um durch dessen rasche Niederwerfung die gegnerische Koalition entscheidend zu schwächen oder gar zum Aufgeben zu bewegen.
Preußen war trotz der hingebungsvollen Entwicklungsarbeit seines Vaters, des „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelms I., immer noch ein recht ärmliches Gebilde. Einen längeren Krieg glaubte Friedrich, sich auf keinen Fall leisten zu können. So lautete sein – alternatives – Rezept der Schadensminderung: Anstreben eines blitzartigen Sieges unter Aufbietung aller Kräfte und ohne Rücksicht auf – kurzfristige – Verluste. Doch ging sein Kalkül nicht auf: Die Hauptmacht des Königs rückte im Frühjahr 1757 von Schlesien, der gerade erst „erworbenen“ Provinz, und dem überrannten, zu Kontributionen gezwungenen Sachsen aus nach Böhmen vor. Bei Prag kam es zur Schlacht mit den dort verschanzten Österreichern.
Dieses Treffen wäre für den König beinahe verloren gegangen, wenn nicht sein kleiner Bruder Prinz Heinrich einen Sturmangriff zweier Bataillone des Regiments Itzenplitz improvisiert hätte, der das preußische Zentrum von einer Flankenbedrohung durch Panduren (Österreichs leichte Infanterie aus östlichen Landesteilen) befreite. Doch der preußische Sieg war keineswegs entscheidend. Die eigenen Verluste an Toten und Verwundeten lagen bei 20 Prozent der Ausgangsstärke.
Der wirklich entscheidende Sieg sollte wenig später bei Kolin erzwungen werden: aus zahlenmäßiger Unterlegenheit gegen einen wiederum verschanzten Gegner, aber mit brandenburgisch-preußischem Ungestüm. Friedrich erlebte ein Desaster und wollte sich das Leben nehmen. Am Ende des Tages waren etwa 40 Prozent seiner Soldaten tot oder verwundet, während die entsprechenden Verluste der Verteidiger bei 17 Prozent lagen.
Was bedeutete diese Niederlage? Sie war eindeutig niederschmetternd: „Friedrich ist verzweifelt. Er wünscht zu sterben. […] Die Initiative ist verloren; von nun an arbeitet die Zeit gegen die Mittelmacht mit ihren begrenzten Reserven. Wenn nur der Ring der Feinde um sie hält, muss sie am Ende ausbluten und unterliegen.“ (Christian Graf von Krockow, einer der vielen Biographen Friedrichs II.)
Im Grunde war der Krieg für Friedrich schon sehr früh ein aussichtsloses Unterfangen. Doch er wollte das nicht akzeptieren und machte weiter. Es begann eine lange Serie von Gefechten und Schlachten, die nirgendwohin führte. Schließlich wurde der König gegen Ende des siebenjährigen Ringens gleichsam durch den Gong gerettet: nämlich durch das Ausscheiden Russlands aus der gegnerischen Koalition.
Um seinen Krieg führen zu können, presste der König das Letzte an Ressourcen aus den preußisch kontrollierten Gebieten heraus, und systematisches Plündern gehörte zum Alltag der von ihm befehligten Truppen. Sein Bruder Heinrich hingegen, der in der zweiten Hälfte des Krieges mit militärischem Genie einen beträchtlichen Teil des preußischen Heeres kommandierte, ließ ertappte Plünderer unter seinen Soldaten kurzerhand erschießen. Die positive Entsprechung ist, dass er die bei zahlreichen siegreichen Gefechten gemachten Gefangenen schonte. So meldet der englische Gesandte am preußischen Hof Andrew Mitchell nach London: „Ich hatte das Vergnügen, die Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart zu bewundern, mit der Seine Königliche Hoheit während des Kampfes die Befehle gaben, ebenso die Menschlichkeit und Güte, mit der er nach Beendigung des Kampfes seine Gefangenen behandelte […].“
Auch vor willkürlichen Verwüstungen schreckte der große Bruder nicht zurück. Da war etwa „die Beschießung Dresdens, die ohne militärischen Sinn einen Großteil der Stadt und unersetzbare Kunstschätze vernichtete.“ (Krockow)
Der von Friedrich angezettelte Krieg kostete Preußen rund eine halbe Million Menschenleben: 180.000 Soldaten und noch größere Verluste unter der Zivilbevölkerung. 320.000 Bürgerinnen und Bürger kamen durch unmittelbare Kriegseinwirkungen, Seuchen und Hunger um. Zusätzlich wären noch die kriegsbedingten Geburtenausfälle zu berücksichtigen. Dies alles ist auf den bescheidenen Bevölkerungsumfang Preußens zu beziehen, der bei Kriegsbeginn bei etwa fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern gelegen haben dürfte.
Der Vergleich mit dem Grauen des Dreißigjährigen Krieges drängt sich auf. Doch bleiben die im Siebenjährigen Krieg zu verzeichnenden Opfer im Hinblick auf ihren Bevölkerungsanteil unter denen der Zeit zwischen 1618 und 1648. Allerdings: Die Verluste Preußens, 1756–1763, lagen – relativ gesehen – durchaus in der Größenordnung, die für das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg anzunehmen sind, wenn nicht gar etwas darüber.
Friedrich II. hat mit seiner Idee der „schnellen Entscheidung durch brachialen Angriff“ für die Kriegführung späterer deutscher Akteure ein problematisches Beispiel gesetzt. Akteure, die sich seltsamerweise – trotz der letztlich verlustreichen Strategie des Königs – gerne auf ihn als Vorbild beriefen. Zwei Angriffskriege, der von Preußen 1866 gegen Österreich geführte und der einer preußisch dominierten deutschen Koalition gegen Frankreich, 1870–71, schienen das Konzept Friedrichs zu bestätigen. Obwohl doch der letztere mit seiner Entwicklung in Richtung „Volkskrieg“ (auf französischer Seite) einen Vorgeschmack auf die Möglichkeit eines Ausufern des Konfliktes gab.
Doch dann kam Alfred Graf von Schlieffen, preußischer Generalstabschef, dessen berühmter Plan für die Eröffnungspartie eines Zweifrontenkrieges Deutschlands die blitzartige Niederwerfung Frankreichs vorsah, um danach ebenso zügig Russland schlagen zu können, für dessen Armeen fälschlicherweise eine längere Mobilisierungs- und Anmarschzeit kalkuliert worden war.
„Weihnachten sind wir wieder zu Hause“ haben bekanntlich viele deutsche Soldaten zum Abschied gerufen, als sie im August 1914 in den Krieg und vielfach in den Tod zogen.
Die ersehnten Blitzerfolge des Deutschen Reiches sollte es erst 1939 und 1940 geben, in den Feldzügen gegen Polen und Frankreich. Der geplante dritte schnelle Sieg, gegen die Sowjetunion, blieb allerdings aus. Die Angriffsplanung war so fehlerhaft, in sich so widersprüchlich, dass allzu bald der Widerstand der anderen Seite relevant wurde und sich am Ende dann sagen ließ, dass die Rechnung ohne den Wirt gemacht worden war.
Allzu oft scheint die Unterschätzung des Gegners auch in die sachlichsten Kalküle in Bezug auf militärische Kräfteverhältnissen und mögliche Erfolgschancen einzusickern. Die Strategie der Schadensbegrenzung mittels plötzlichen Vernichtungsschlags entpuppt sich dann als – unter Umständen selbstmörderischer – Selbstbetrug. Und oft wurzelt dieser Selbstbetrug – jenseits aller Zweckrationalität – im ethnozentrisch oder gar rassistisch unterlegten Glauben an den höheren Wert eigenen Wesens.

Der Beitrag basiert auf dem Buch „Gesichter des Krieges – Schlaglichter und Visionen“, das in nächster Zeit im Lit-Verlag, Berlin, erscheinen wird.