22. Jahrgang | Nummer 15 | 22. Juli 2019

Bilde, Künstler, rede nicht!

von Ingeborg Ruthe

Dass der Kunstbetrieb launisch ist, Kunstkritik sehr subjektiv sein kann und die Nutzer der Social Media-Plattformen in Zeiten von politischen Spannungen und Fake-News bisweilen gereizt, höhnisch, bösartig bis absurd agieren, ist nicht neu. Und dass es mittlerweile mit einer souveränen Streitkultur nicht sehr weit her ist, weiß man auch. Die Gemengelage ist ein Spiegel der Gesellschaft und die Meinungs- und Kunstfreiheit ein hohes Gut – für alle: Liberale, Linke, Konservative.
Neo Rauch, ein prominenter Leipziger Maler, steht unter Verdacht […]. Einer, dem der Bundespräsident 2018 den Verdienstorden der Bundesrepublik anheftete. Der weltberühmte Künstler hatte sich missverstanden gefühlt, als er letztes Jahr dem die Flüchtlingspolitik kritisierenden Uwe Tellkamp („Der Turm“) mit einem verunglückten Stauffenberg-Vergleich beisprang, nachdem der Schriftsteller einen „Meinungskorridor“ beklagt hatte. Rauch revidierte sein Statement später – es sei ihm um Zivilcourage gegangen.
Ende Mai hatte der Zeit-Kunstkritiker Wolfgang Ullrich dem Maler in einem Artikel mit dem anspielungsreichen Titel „Auf dunkler Scholle“ vorgeworfen, er würde mit „Motiven“ eines „rechten Denkens“ arbeiten. Ullrich machte das an Werktiteln wie „Vaters Acker“ oder „Fremde“ fest und deutete das explizit politisch. Einer wie Neo Rauch weiche der „verhassten Gegenwartsgesellschaft“ aus. Im Spiel mit leicht surrealen Bildräumen schaffe er eine autonome Gegenwelt mit viel Platz für unerfüllte Sehnsüchte.
Allerdings wirkt die Exegese eher an den Haaren herbeigezogen. Ohnehin geht es in Ullrichs Text nur am Rande um Neo Rauch. Zudem war figürliche, gegenständliche Malerei noch nie gefeit vor Interpretation, auch der ideologischen. Das war schon im Mittelalter so und wer wüsste das nicht besser, als der in der DDR aufgewachsene, an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausgebildete Neo Rauch.
Die Vorwürfe sind auch deshalb problematisch, weil der Angegriffene zwar ein Maler verrätselter, komplexer Bildwelten ist, aber mitnichten ein politischer Aktivist. Ullrich indes stellt ihn auf eine Ebene mit Pegida-Leuten und AfD-Sympathisanten. Der Künstler reagierte auf den Anwurf der „Wahlverwandtschaft mit Reichsbürgern und Preppern …“ in der Manier: Auf grobem Klotz ein grober Keil. Ganz in diesem Sinne veröffentlichte Die Zeit in der vergangenen Woche eine gemalte Replik mit dem Titel „Der Anbräuner“. Zu sehen ist ein Mann mittleren Alters, erkennbar als der besagte Kunstkritiker, wie dieser mit seinen Exkrementen eine den Hitlergruß machende Gestalt auf die Leinwand schmiert. Darunter die Initialen W.U. Hinten, durchs Fenster, lugt der Braunauer. Neben dem Nachttopf im spitzweghaften Dach-Ambiente liegt ein Stapel Zeitungen. Klopapier? Nein, feinmalerisch ist diese Antwort nicht. Und wie das Kunstmagazin Monopol süffisant anmerkt, habe Rauch schon früher mal auf Kritik mit grobem Pinsel reagiert.
Die derbe Karikatur soll, wie die Berliner Zeitung erfuhr, demnächst für einen sozialen Zweck versteigert werden, zugunsten des Kinderhospizes Leipzig. Die Reihe der Bieter, heißt es, sei lang. Sammler also begehren diese Mal-Attacke gegen eine Wort-Attacke. Angesichts dieses Schlagabtausches sind Meinungen gespalten. Malerkollegen Rauchs, die wir befragen wollten, lehnten eine Äußerung ab.
Die in Berlin lebende Filmemacherin Nicola Graef sagt der Berliner Zeitung: „Neo Rauch als ‚rechten’ Künstler zu bezeichnen, halte ich für eine nicht nachvollziehbare These. Was sollen ‚rechte’ Motive in seinem Werk sein? Die Klärung dieser Frage bleibt in dem Zeit-Artikel auf der Strecke, wie viele der angedeuteten Thesen.“ Für ihren Dokumentarfilm habe Graef viel Zeit mit Rauch verbracht. „Wir hatten viele politische Diskussionen – mit geteilter Meinung. Ich teile auch seinen Pessimismus nicht. Aber kaum jemand ist so bereit, sich politisch auseinanderzusetzen wie er.“ Neo Rauch, so Graef, verstecke sich nicht. Sein Blick auf Politik sei vielen suspekt, manche seiner öffentlich getroffenen Aussagen seien definitiv diskutabel, aber ihn in einem Text suggestiv in die Ecke der AfD zu manövrieren, das sei absurd. „Andere Künstler halten sich aus allem raus. In seinen Bildern werden Stimmungen sichtbar, Ängste und Albträume. Es ist seine bildnerische Weltaneignung und das ist gesellschaftlich lesbar. Persönlicher geht es kaum. Mit jedem Bild setzt er sich aus. Wenige Maler werden so angegriffen wie er. Dabei sind seine Bilder eine Aufforderung, sich auf einen menschlichen und damit den gesellschaftlichen Dialog einzulassen.“ Die Gegenreaktion mit dem zugespitzten Bild zeige seine Verletzung. „Nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass der Autor nie das persönliche Gespräch mit Rauch gesucht hat. Das empfinde ich als Journalistin übrigens als fahrlässig.“
Der langjährige Begleiter des Malers und zudem sein Freund seit den Leipziger Studienjahren ist Eigen+ Art-Galerist Judy Lybke. Dem Maler rechtes Denken zu unterstellen sei für ihn ein bizarrer Anwurf. „Nun hat Neo Rauch mit den ihm gemäßen Mitteln auf eine absurde Situation geantwortet, nämlich malend. Das ist das gute Recht eines Malers“, so Lybke. Und er glaubt, das besagte Gemälde werde demnächst Kunstgeschichte schreiben. Lybke sagt auch, er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Kritiker seit Jahren schon einen sehr persönlichen Zwist mit Rauch und dessen Bildsprache austrage.
In der Tat zählt Ullrich den Protagonisten der „Neuen Leipziger Schule“ in seinem Buch von 2016 zu den „Siegerkünstlern“, einen Akteur und Profiteur „der neofeudalen Machtstrukturen in der heutigen Kunstwelt“. Im Kunstmagazin Art bezeichnete er Rauch als Salonmaler, die Bilder seien Ausdruck eines schwülstigen Historismus.
Ein gescheiter Mensch hat mal geschrieben, das einzig Gute an Gerüchten sei, dass man so vieles von sich selber erfahre, was man gar nicht wusste. Vermutlich wird der sich als wertkonservativ verstehende und in wichtigen sozialen Projekten, vor allem für kranke, bedürftige – und in seiner Ascherslebener Kunststiftung – für Kinder, auch von Zuwanderern, engagierte Neo Rauch über den Spruch kaum lachen können. Er hat sich völlig zurückgezogen: Kein Kommentar mehr. Ganz nach Goethes Empfehlung: Bilde, Künstler, rede nicht!

Berliner Zeitung, 04.07.2019. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlages.