22. Jahrgang | Nummer 15 | 22. Juli 2019

„Zersotten nicht in süßem sud noch seim“

von Clemens Fischer

Barbaren sind wir roh von fleisch und seele
Zersotten nicht in süßem sud noch seim
Versklavt nicht von der heuchler feiger zunge
Gelähmt nicht von des mitleids zähem leim
Wir greifen an. Und wenn die welt in flammen
Und morsche mauern rauchen schwarz im land
Dann lassen wir die fackel nicht verglimmen
Und setzen singend eignen leib in brand.

Wie klingt das?
Nach einer für Rechtsintellektuelle im Stephan-George-Sound verfassten Umdichtung von „Wir werden weiter marschieren …“?
Jedenfalls wird dieser völkisch gefühlige Hymnus des Blut- und Bodenbarden Storm Linné – dieses auch als „Rechts-Rilke“ oder „Spessart-Spengler“ bezeichneten Dichters und lyrischen wie ideologischen Protagonisten in Jörg-Uwe Albigs neuestem Roman „Zornfried“ – dem Leser gleich zu Beginn zugemutet. Versehen mit der Ansage des Ich-Erzählers Jan Brock: „[…] er (Linné – C.F.) hatte mich überfallen wie ein übler Geruch: Man kann nicht anders als nachschauen, woher er kommt.“
Das gilt für die national-chauvinistische Führungsriege der AfD von Gauland über von Storch und Weidel bis Höcke sowie Meuthen nicht minder. Obwohl deren Anhänger die olfaktorische Konnotation dieses Statements kaum teilen dürften. Aber es gibt ja nicht nur optische und kongnitive Fehlwahrnehmungen.
Albig selbst, so bekannte er im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur, hat sich zum Dichten der zahlreichen Linné-Verse zuvor jeweils entsprechend angefixt – durch Konsum von George-Lyrik „in Stimmung“ gebracht. Und er hat damit parodistische Resultate erzielt, die – losgelöst von seiner Satire – mindestens bei entsprechend Infektionsgefährdeten ohne weiteres als Originale von ganz eigener Faszination durchgehen dürften. Die Verse durchziehen den Roman wie Marmorierung gutes Rindfleisch. Insgesamt vielleicht etwas zu üppig, aber eben doch als Geschmacksträger.
Der Roman spielt im Spessart, der spätestens seit Wilhelm Hauff ja aufs engste mit Schauergeschichten verbunden ist. Aber die Parallelen zur neurechten Realwelt sind unübersehbar. Insbesondere zum Verleger, Publizisten und Aktivisten Götz Kubitschek und seinem als Rittergut apostrophierten Haus im sachsen-anhaltinischen 200-Seelen-Mookchen Schnellroda sowie seiner Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ wie nicht minder zu den Homestorys, mit denen auch (selbst ernannte) Qualitätsmedien von FAZ über DIE ZEIT bis Tagesspiegel dieser angebraunten Fauna und Flora Öffentlichkeit verschafft haben.
Der neue Albig ist bereits breit besprochen worden. Die Kollegen haben da etliches zusammengetragen, das hier durchaus zitiert werden kann:
„Ein […] Gedicht heißt ‚Rattenkönig‘: ‚Der eklen horden giftend schwarzes Drängen / Zerplatzt an Zornfrieds rauem schieferhut.‘ Wenn man sie kennt, können einem dazu die Bilder aus jenem Nazi-Propagandafilm einfallen, in dem Massen von Ratten durch die Gänge getrieben werden und als Ungeziefer die arische Rasse bedrängen. Es ist eine der großen Fähigkeiten Albigs, solche Anspielungen immer nur anzutippen und nicht auszuwalzen.“; Cord Riechelmann, FAZ. – (Bisweilen genügt Albig dafür ein einziges Wort. So spricht er zum Beispiel von einem Blog namens „karlmartell.com“. Karl Martell? War der erste, der die Islamisierung des Abendlandes stoppte – im Jahre 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers.)
„Der Journalist Brock und der Dichter Linné leiden […] unter derselben Krankheit. Sie sind hypnotisiert von einer Zeit, über die ihre Väter sagten, sie bewusst nicht erlebt zu haben sei eine Gnade, nämlich die der späten Geburt.“; Ulrich Gutmair, taz.
Zornfried ist […] ein fast uneingeschränkter Lektüregenuss, weil der komische Stoff in einer eleganten Prosa erzählt wird. So entsteht ein leicht überspannter Stil […].“ Aber: „Die Freude […] wird allein getrübt durch die Skizzenhaftigkeit der Präsentation. Albigs Roman muss man einen für Romane seltenen Vorwurf machen: Er ist mit knapp 160 Seiten zu kurz.“; Johannes Franzen, DIE ZEIT.
Natürlich gibt es bei bissiger Satire auch immer die anderen Stimmen. Unter dem Datum vom 28. Februar hieß es etwa in der Sezession: „In den nächsten Tagen erscheinen zwei ‚tolle‘ Bücher, die sich mit uns beschäftigen. Das eine ist ein ‚Satireroman‘ von einem Bremer Mann namens Albig, der zuvor als Altenpfleger gearbeitet hat.“ Was ihn, versteht sich, zur Schaffung von Literatur hinreichend disqualifiziert. Die Autorin lässt sich als „Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern“ vorstellen, womit sie das entscheidende Kriterium für das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter in Gold, 1938 gestiftet vom Führer höchstpersönlich, tatsächlich nur um einen Spross, respektive eine Sprosse verfehlt hätte. Sie heißt Ellen Kositza und ist die von diesem gesiezte Lebensgefährtin von Kubitschek.
Eine Schüsselpassage von Albigs Roman lautet: „Es hat keinen Sinn, an der Gegensprechanlage abzuweisen, was längst vor der Wohnungstür steht. Wir werden uns […] auseinandersetzen müssen.“ Da ist Satire schon mal ein Schritt in die richtige Richtung – allerdings einer, von dem man nicht erwarten sollte, dass er allein ausreichen wird. Dabei muss man nicht zuletzt im Blick behalten, dass man sich nicht auf eine Weise auseinandersetzt, bei der die Grenze zum Sich-Einlassen touchiert oder gar überschritten wird. Denn anderenfalls könnte es einem ergehen wie Albigs Ich-Erzähler: „Längst bildete ich mir nicht mehr ein zu wissen, was richtig oder falsch war.“

Jörg-Uwe Albig: Zornfried, Klett-Cotta, Stuttgart 2019, 159 Seiten, 20,00 Euro.