von Wolfgang Brauer
Mir kommt es so vor, als hätten wir ihm erst vor kurzem zum „80.“ gratuliert – am 7. Mai starb Georg Katzer in Zeuthen. Der Komponist wurde 84 Jahre alt. Leicht sagen sich Sätze daher, die von „schmerzlichen Lücken“ und „großen Verlusten für …“ sprechen. Auf Katzer träfen sie jedoch zu. Der Meisterschüler von Hanns Eisler, Ruth Zechlin und Leo Spieß gehört zu den großen deutschen Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er ist einer der wichtigsten Vertreter der Neuen Musik in Deutschland, abseits der die Konzertsäle derzeit dominierenden Polaritäten diverser Neo-Strömungen und modischer atonaler Verrenkungen. Und Katzer brach mit Listigkeit und Verve der elektroakustischen Musik in der DDR auch im „E-Bereich“ Bahn.
Georg Katzer nahm das Eislersche Postulat, dass man gegen „den ganzen Schmutz, der aus den diversen Ost- und Weströhren“ quelle angehen müsse, ernst. Er schrieb Opern, Ballett- und Filmmusiken. Er komponierte für die avantgardistische Bläservereinigung Berlin, hielt enge Arbeitskontakte zum Leipziger „Gruppe Neue Musik Hanns Eisler“. Zu seinen letzten Arbeiten für große Ensembles gehört die oratorische Szenenfolge „Medea in Korinth“ (uraufgeführt am 6. September 2002 im Berliner Konzerthaus) nach einem Libretto von Christa und Gerhard Wolf. Das Auftragswerk der Berliner Singakademie liegt bei ARTE NOVA Classics in einer hervorragenden Einspielung vor.
Katzer wusste, dass man gegen die Dummheit in der Musik nur etwas erreichen kann, wenn man die Ohren und Herzen der Kinder gewinnt. Seine Filmmusik für Herrmann Zschoches „Lütt Matten und die weiße Muschel“ (1964), die Hörspielmusik zu Anna Elisabeth Wiedes „Das Untier von Samarkand“ (1963) und vor allem die nach einem Libretto von Rainer Kirsch geschriebene Kinderoper „Das Land Bum-Bum“ (1978 an der Komischen Oper Berlin uraufgeführt) sind geradezu Belege für die Sinnhaltigkeit des Gorki-Satzes, dass man für Kinder schreiben müsse wie für Erwachsene – nur besser. Diese Kindermusiken sind nach wie vor von erstaunlicher Frische und kompositorischer Klarheit. Sie müssen nur aufgeführt werden … Scheinbar ganz nebenbei gelingt Kirsch und Katzer mit „Bum-Bum“ eine geradezu unverschämt-freche Satire auf den Stasi-Überwachungswahn. Aber auch Katzer, der fast bis zum Ende den Stift nicht aus der Hand legt, muss in seinem Komponieren feststellen, dass die ersehnte Befreiung von den alten Zwängen mitnichten die Hohe Zeit menschlichen Glückes brachte. Eine seiner letzten Kompositionen – für die sich noch kein Verlag fand – für „sprechenden Kontrabassisten plus Zuspiel“ nach eigenen Texten nennt er „Pandoras Kiste“ (2016).
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Am 28. Mai starb in Berlin André Asriel. Auch Asriel geht bei Hanns Eisler „in die Schule“. Allerdings erst nach einem langen und schmerzlichen Umweg. Der 1922 in Wien geborene Komponist kann von seiner Mutter als 16-jähriger nach dem „Anschluss“ Österreichs gleichsam im letzten Moment mit einem der legendären „Kindertransporte“ in das rettende England geschickt werden. Der Mutter gelingt die Flucht nicht mehr. Über den fast gleichaltrigen Erich Fried kommt Asriel zur Exil-FDJ, die ihm auch die Fortsetzung seines Musik-Studiums ermöglicht. 1946 geht der junge Komponist in den Osten Deutschlands. Sein Bekenntnis zum sozialistischen Deutschland hat entscheidend mit den Erlebnissen und Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend zu tun.
Auch Asriel – der bis 1980 die Professur für Tonsatz an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ innehat – schreibt ebenso wie Katzer sehr viel „Gebrauchsmusik“. Er komponiert die Musik zu fast 20 Spielfilmen, allein neun davon für Ralf Kirsten. Das Spektrum reicht von „Auf der Sonnenseite“ (1961), Manfred Krug machte der Film seinerzeit schlagartig bekannt, über den ambitionierten Gegenwartsfilm nach Karl-Heinz Jakobs „Eine Pyramide für mich“ (1975) bis zum Fontane-Krimi „Unterm Birnbaum“ (1973). Dazu kommen Theatermusiken, so für Peter Hacks‘ „Der Frieden“ (1963) oder Schatrows Lenin-Stück „Blaue Pferde auf rotem Gras“ (1980). Zu Texten von Hacks, Brecht und Kästner gelangen Asriel einige der besten Chansons, die in der DDR komponiert wurden. Diese leicht angejazzten Arbeiten ecken nicht nur wegen ihrer Texte bei den Gralshütern der sozialistischen Kulturpolitik an. André Asriel gehört zu den Komponisten, die dafür sorgten, dass der Jazz in der DDR aus der Schmuddelecke imperialistischer Unterschleife herauskam. „Eine kleine Jazzmusik für Gitarre solo“ zu schreiben, war in Zeiten denunziatorischer Kulturpolitik schon ein Bekenntnis.
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Der Ohrwurm „Wer möchte nicht im Leben bleiben“ aus dem Kinderfilm „Sie nannten ihn Amigo“ (1959) stammt nicht von André Asriel. Den hat Kurt Schwaen auf einen Text von Wera Küchenmeister geschrieben. Schwaen – wohl einer der vielseitigsten und produktivsten Komponisten der DDR – soll hier Erwähnung finden, obwohl er schon am 9. Oktober 2007 in Berlin verstarb. Kurt Schwaen war nicht unbedingt ein Bahnbrecher der Moderne wie Georg Katzer. Er gehört nichtsdestotrotz zu den wenigen Tonsetzern, die sich mit großer Selbstverständlichkeit aus dem Werkzeugkasten der zeitgenössischen Musik des 20. Jahrhunderts zutiefst glaubwürdig frei bedienen konnten – im Potsdamer „Barberini“ konnte man jetzt studieren, dass Picasso das in der bildenden Kunst nicht anders machte … – und jenseits der zeitbedingten Moden ein sehr eigenständiges Werk schufen. Schwaen arbeitete viel für und mit Kindern. Drei Kinderopern stammen aus seiner Feder – darunter die zauberhafte „Pinocchios Abenteuer“ (1969/70) nach einem Libretto von Wera und Claus Küchenmeister. 1958 schreibt er nach einem Text von Günter Kunert die szenische Kantate „König Midas“. Auch Schwaen weiß, dass der Schlüssel für das Verständnis der Neuen Musik die Seelen der jungen Hörer und Musiker sind. Eine seiner letzten Arbeiten für eine größere Besetzung ist das „Concert pour la jeunesse“ für Klavier und Streichorchester (1999).
Am 21. Juni war der 110. Geburtstag Kurt Schwaens zu feiern.
Schlagwörter: André Asriel, elektroakustische Musik, Georg Katzer, Kurt Schwaen, Musik für Kinder, Neue Musik, Wolfgang Brauer