von Alfons Markuske
Heinz Engelhardt, Jahrgang 1944, war Chef der Bezirksverwaltung Frankfurt/Oder des MfS, als er 1987 zum jüngsten General des Ministeriums befördert wurde. Zu Wendezeiten erhielt er erst den Auftrag zum Aufbau eines Verfassungsschutzes der DDR, zu dem es infolge Intervention des zentralen Runden Tisches nicht mehr kam, und wurde dann damit betraut, das MfS aufzulösen und dessen Mitarbeiter abzuwickeln.
Über die letztere Phase hat sich Engelhardt jetzt erstmals öffentlich geäußert. Bis es dahin kommt, gibt er auf 178 Seiten jedoch zunächst einmal Herkunfts-, Werdegangs-, Dienstalltags- und Karriere-Auskünfte eines MfS-Führungskaders, wie sie in dieser Ausführlichkeit dem Rezensenten bisher noch nicht vor die Lesebrille gekommen sind. Das ist nicht unbedingt spannende Lektüre, aber informative allemal. Allerdings auch eine mit handfesten Ambivalenzen.
So bekennt sich Engelhardt einerseits dazu, „dass wir [Angehörigen des MfS – A.M.] unkritisch und in falsch verstandener Parteidisziplin die fehlerhafte Sicherheitsdoktrin der Partei- und Staatsführung mittrugen und mit umsetzten“. Er konstatiert ebenfalls: „Das Vertrauen der Bürger in ihren Staat ging […] verloren. Am Ende fühlten sie sich von den eigenen Schutz- und Sicherheitsorganen mehr bedroht als vom Klassenfeind, zu dem sie dann in Scharen überliefen.“ Und er benennt – in sehr allgemeiner Weise – als Ursache, dass die vom MfS zum inneren Schutz der DDR getroffenen Maßnahmen „oft überzogen und unangemessen [waren]“. Dem folgen jedoch im Verlaufe des Buches – und dieses Mal in ausgesprochen konkreter Form – diverse Dementis und Relativierungen. Etwa: Maßnahmen, um „Einzelne zu diskreditieren oder Gruppen durch Indiskretionen zu sprengen […] waren […] vorbeugende Maßnahmen, um Straftaten zu verhindern. Sie trugen nur das Etikett ‚Zersetzung‘“. Oder: Das Problem der Nichtzulassung von Schülern (in der DDR von solchen mit christlicher Orientierung) „wird es immer geben“. Und: „[…] 24-Stunden-Verhöre, Blendlampen oder gar Folter waren bei uns absolut tabu. Sie waren verboten.“
In diese Rubrik fällt auch Engelhardts Gegenüberstellung der 81.224 Antragsteller auf Stasiopfer-Rente und der circa 200.000 Verfahren und rund 10.000 Verurteilungen „nach dem KPD-Verbot im Jahr 1956 in der BRD“. In Bezug auf die erwähnten Antragsteller fragt sich Engelhardt darüber hinaus „allen Ernstes, wo diese Opfer herkommen, wodurch sie überhaupt zu ‚Opfern‘ geworden sind“, und äußert: „[…] mir kommt es manchmal so vor, als würde die Ablehnung eines Studienplatzes schon zum Opferstatus reichen“.
Dazu passt, worin Engelhardt die primäre Ursache für die allgemeine Verteufelung des MfS seit der Wende sieht: „[…] Krenz, Modrow und andere wollten die Partei retten, und so wurden wir den Medien zum Fraß vorgeworfen.“
Wenn der Verlag auf der Rückseite des Bucheinbandes damit wirbt: „Sachlich […], souverän und ohne Larmoyanz erzählt der Insider“, dann scheint zumindest die Feststellung angebracht, dass der dieser Nobilitierung keineswegs durchgängig gerecht wird.
Nach Abschluss der MfS-Auflösung schulte Engelhardt übrigens auf Reiseverkehrskaufmann um, legte eine IHK-Prüfung ab und arbeitete bis zu seiner Verrentung in dieser Branche.
Heinz Engelhardt (mit Peter Böhm): Der letzte Mann. Countdown fürs MfS, edition ost, Berlin 2019, 284 Seiten, 16,99 Euro.
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