von Bernhard Romeike
In dem seit 2001 in mehreren Auflagen erschienenen globalisierungskritischen Buch „Schwarzbuch Markenfirmen“ erscheint auch die Bayer AG. 1863 gegründet ist sie einer der größten deutschen Konzerne, mit 117.000 Beschäftigten weltweit und einem Konzernumsatz von etwa 40 Milliarden Euro ein deutscher „Global Player“.
Auf der diesjährigen Hauptversammlung am 26. April 2019 in Bonn verweigerten die Anteilseigner dem Vorstand jedoch die Entlastung: 55,5 Prozent des anwesenden Grundkapitals stimmten gegen und nur 44,5 Prozent für die Entlastung. Für Vorstandschef Werner Baumann war das „eine schallende Ohrfeige“, „eine Blamage“, „eine Schande“ hieß es im Wirtschaftsteil großer Zeitungen und bei der „Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz“. Das Votum hat zwar keine direkten Folgen für den Vorstand, der Komment in diesen Sphären deutschen Gesellschaftslebens besagt jedoch, dass „man“ dann das Feld räumt.
Grund ist der Kauf des umstrittenen US-Konzerns Monsanto. Die auf der Hauptversammlung geäußerte Wut ist auch deshalb verständlich, weil Management und Aufsichtsrat es den Aktionären verweigert hatten, über diesen Riesen-Kauf mit abzustimmen. Zuvor galt Bayer als eines der wertvollsten deutschen Großunternehmen. Auf seinem Höchststand am 19. Juni 2017 lag der Aktienkurs bei 121,34 Euro. Für Monsanto bezahlte Bayer 128 US-Dollar je Aktie, insgesamt 63 Milliarden US-Dollar. Das war die bis dahin größte Übernahme durch einen deutschen Konzern. Im Juni 2018 schloss Bayer die Übernahme als alleiniger Eigentümer von Monsanto ab, nachdem alle kartellrechtlichen Bedingungen der US-Behörden erfüllt wurden.
Im Juli 2018 wurde bekannt, es gibt „einige Hundert“ Klagen in den USA von Bauern, Gärtnern und anderen Menschen, die das Herbizid Roundup von Monsanto angewendet hatten und an Krebs oder anderen Leiden erkrankt waren. Diese Klagen wurden bei einem Bundesgericht in Kalifornien gebündelt. Bayer meinte, man hätte genügend Erfahrung mit Produkthaftungsklagen und könne das aussitzen. Bereits im August 2018 wurde in einem gesonderten Prozess dem Hausmeister Dewayne Johnson wegen einer solchen Krebserkrankung jedoch eine Entschädigung in Höhe von 289 Millionen US-Dollar zugesprochen. Die wurde zwar im Oktober auf 79 Millionen reduziert, aber es ist trotzdem eine Riesensumme unter der Voraussetzung, dass Ende Oktober 2018 bereits von 9.300 Klagen die Rede war, Ende Januar 2019 von 11.200. Im März wurden Edwin Hardeman, einem anderen Kläger, 80 Millionen Dollar zugesprochen. Das war jedoch bereits ein Musterprozess, der richtungsweisend sein kann. Bayer geht in Berufung. Das Risiko wird jedoch unkalkulierbar. Der Aktienkurs fiel auf 56,29 Euro am 28. März 2019. Damit hatte sich der Börsenwert des Konzerns halbiert.
In einem dritten Glyphosat-Prozess gegen die Bayer AG wurde eine Bußgeldzahlung von einer Milliarde Dollar gefordert. Monsanto – für das jetzt Bayer haftet – soll über Jahrzehnte die Gesundheitsrisiken des glyphosathaltigen Roundup verschleiert haben. Ein älteres Ehepaar – Alva und Alberta Pilliod – macht geltend, dass sie an Krebs erkrankt seien, weil sie Roundup ausgesetzt waren. Der Anwalt des Paares erklärte, die Milliardenforderung basiere auf dem Profit von Monsantos Abteilung für landwirtschaftliche Chemikalien; das waren vor Steuern im Jahre 2017 892 Millionen Dollar. „Das ist eine Zahl, die einen Unterschied macht“, sagte der Anwalt und forderte außerdem weitere 55 Millionen Dollar als Schadenersatz für das Ehepaar. Am 10. Mai, wurde die Urteilsverkündung auf den kommenden Montag angesetzt.
Monsanto hatte schon seit langem einen üblen Ruf, nicht nur in der globalisierungskritischen Bewegung. Das während des Vietnamkrieges von den USA eingesetzte Entlaubungsmittel Agent Orange hinterließ in Vietnam schlimmste Schäden. In den 1990er Jahren verbreitete der Konzern in Argentinien ein Service-Paket aus glyphosat-resistenter Gentech-Soja und glyphosathaltigem Herbizid Roundup sehr preisgünstig – und beschleunigte so die rasche Erweiterung des Soja-Anbaus. Die riesigen Felder konnten sehr praktisch und preiswert vom Flugzeug aus mit Roundup behandelt werden – die Landarbeiterfamilien in angrenzenden Dörfern bekamen gleich noch eine Dusche mit ab. Dass sich Beschwerden über gehäufte Krebserkrankungen immer dort häuften, wo dieses Mittel eingesetzt wurde, war immer offensichtlicher.
Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation ist das Pflanzengift Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend“. Dass die EU die Zulassung für das Gift Ende 2017 – nicht zuletzt auf Betreiben der deutschen Bundesregierung – um weitere fünf Jahre verlängert hat, ist für Bayer bares Geld, sozusagen regierungsamtliche Beihilfe zur Monsanto-Übernahme.
2001 erschien „Deutsche Pleiten. Manager im Größen-Wahn oder Der irrationale Faktor“, eines der letzten Werke des bekannten Soziologen Erwin Scheuch (1928–2003) und seiner Frau Ute Scheuch. Die beiden schrieben über die deutschen „Wirtschaftsführer“ nach dem Zweiten Weltkrieg und ihr Treiben im vereinten Deutschland und auf den Weltmärkten nach 1990. Scheuchs Grundannahme ist, dass es ein Sonntagsbild ist, in der Wirtschaft ginge es rein rational und kühl kalkuliert zu. Tatsächlich sind Erwägungen und Motive auch wirtschaftlicher Entscheidungen nicht immer rational, oft irrational, geleitet nicht nur und nicht immer von Gewinnstreben, sondern oft von Moden, Eitelkeiten, Machtstreben und Größenwahn.
Scheuch nennt insbesondere Daimler-Chef Schrempp, der die Fusion mit Chrysler betrieben hatte, um die Nummer drei in der Welt-Auto-Industrie zu werden. Scheuch vergleicht das mit Kaiser Wilhelm II. Kolonialismus. Bekanntlich scheiterten beide. Heute könnte man Winterkorn hinzufügen, der aus VW unbedingt den weltgrößten Autokonzern machen wollte, auch um den Preis von Betrug und Täuschung der Käufer wie der Behörden in Sachen Diesel und Umwelt.
Nun also Baumann und Bayer. In einer Petition der Kampagne „Rettet den Regenwald“ gegen die Bayer-Monsanto-Fusion vom März 2018, die an die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gerichtet wurde, hieß es, dass Verbraucher, Bauern und Umwelt unter dieser Marktkonzentration leiden werden. „Monsanto verdient vor allem in Nordamerika Milliarden Dollar mit gentechnisch manipulierten Pflanzen. Jetzt wird Bayer versuchen, die umstrittene Gentechnik auch in Europa durchzusetzen.“ Die Marktmacht von Bayer „führt zu einer weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft, die auf Gentechnik, Pestizide und Monokulturen setzt. Einer ökologischen, Ressourcen schonenden Landwirtschaft wird die Zukunft verbaut.“ Damit werden die Landwirte „noch abhängiger vom Saatgut und den Agrarchemikalien weniger Produzenten. Diese werden immer weniger Arten etwa von Getreide anbieten. Die Ernährung der Weltbevölkerung wird von einem Oligopol rund um Bayer dominiert. Eine Weltherrschaft Weniger über Äcker und Teller Aller droht.“
Gerade teilte der Weltbiodiversitätsrat mit, dass eine Million Arten in den kommenden Jahren vom Aussterben bedroht sind, wenn es nicht zu grundlegenden Änderungen bei der Landnutzung kommt. Baumann wollte nicht nur den größten Chemiekonzern bauen, sondern auch noch gottgleich der Herr über die globale Landwirtschaft werden. Mehr Macht und eitler Größenwahn geht eigentlich nicht. Hoffen wir, dass ihn die Aktionäre oder die Gerichte in den USA an der Ausführung hindern.
Schlagwörter: Artenaussterben, Bayer AG, Bernhard Romeike, Erwin und Ute Scheuch, Glyphosat, Landwirtschaft, Monsanto, USA